Berlin. Für mehr und mehr Menschen bietet der Wohnungstausch eine Alternative zum überlasteten Wohnungsmarkt. Doch einige Hindernisse bleiben.

Wohnungstausch – das klingt für einige nach Ferien. Für andere bedeutet es eine Chance. Eine Chance auf etwas Besseres, Passenderes und Praktischeres.

Wohnungstausch auf Zeit ist schon lange ein Renner für Menschen, denen ihr Privates nicht zu wertvoll ist und die offen sind für das Vertrauen in Fremde. Die Hollywood-Schnulze „Liebe braucht keine Ferien“ zeigt, wie ein rund um erfolgreicher Wohnungstausch aussehen kann: neues Land, neue Leute und sogar neue Liebe. Dass Wohnungstausch auf Zeit beliebt ist, zeigen all die vielen Portale, auf denen vor allem vergünstigte Ferien und solche der besonderen Art versprochen werden. Aber was ist mit einem Wohnungstausch auf Dauer?

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Auch diese Art findet mehr und mehr Interesse. Sebastian Bartels vom Berliner Mieterverein e.V. erklärt, wie das Thema in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen habe. Zumindest in der Theorie sei es deutlich mehr im Gespräch. „Der Wohnungstausch könnte eine gute Ergänzung zum Thema neuen Wohnraum schaffen sein.“, sagt Bartels. Denn auch der bereits vorhandene Wohnraum könne besser verteilt und somit effizienter genutzt werden. Auch John Weinert von dem Wohnungstausch-Portal tauschwohnung.com beschreibt: „Gerade jetzt in Zeiten, wo es um das Thema Neubau geht, stehen wir eher dafür ein, zu sagen: den Wohnraum, den es gibt, erstmal bedarfsgerechter verteilen, bevor man überlegt, wie viel neugebaut wird.“

Mehr Anreize für den Wohnungswechsel älterer Menschen schaffen

Ein Hindernis bleibt das Problem von Angebot und Nachfrage. Deutlich mehr Menschen sind auf der Suche nach einer größeren Wohnung, jedoch werden sehr viel seltener diese größeren Wohnungen zum Tausch angeboten. Die Ursache für das Problem beschreibt John Weinert als „die größte Hürde“: der sogenannte Lock-In-Effekt. Leute, die sich verkleinern wollen, würden am Ende genau so viel zahlen. Oder sogar mehr. „Das ist einer der Faktoren, die gerade diese Groß-Klein-Täusche, die wir forcieren, noch blockieren.“

Tauschwohnung.com vermittelt Wohnungen, WG-Zimmer und Häuser zum Tauschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Tauschwohnung.com vermittelt Wohnungen, WG-Zimmer und Häuser zum Tauschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. © dpa | Marijan Murat

Auch die emotionale Bindung an die Wohnung und den Ort spielt eine große Rolle. Tina wohnt mit ihrem Mann auf etwa 160 Quadratmeter in Kreuzberg. Seit fast zwei Jahren sind sie jetzt zu zweit. Die meiste Zeit zuvor haben sie zu viert in den fünf Zimmern gewohnt. „Im Moment schätze ich es noch, aber es ist schon überdimensioniert.“, sagt die Kreuzbergerin. Sie hätten viel Besuch, ein Zimmer sei eigentlich immer belegt. Trotzdem würde sie sich perspektivisch verkleinern wollen oder noch jemanden aufnehmen, das sei ganz offen. Ihr Mann, beschreibt sie, sehe das anders. Für ihn wäre das alles kein Thema und diesen Ort, an dem sie seit 1996 leben und wo er im Keller seine Werkstatt hat, würde er sicher nicht verlassen wollen. Tina ist da offener, beim Wechsel des Kiezes hingegen, ist sie zwiegespalten. „Wir haben es hier eigentlich ziemlich schön.“, beschreibt sie. Sie hätten damals unheimlich viel Arbeit und Geld reingesteckt. Warum sollte so etwas aufgegeben werden?

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Aber Tina denkt auch an die Zukunft. „Was ist, wenn der Partner nicht mehr da ist oder wenn einem etwas passiert?“, fragt sie sich manchmal. Die Wohnung ist nicht behindertengerecht. Gleichzeitig ist dieses günstige Wohnen ihre Absicherung im Alter mit niedrigen Renten. Die Miete einer zwar kleineren, aber dafür altersgerechten oder sogar behindertengerechten Wohnung könnten sie sich auf dem regulären Wohnungsmarkt niemals leisten. Ein Tausch wäre hier eine Möglichkeit, aber auch utopisch… Alternde Menschen in großen Altmietvertragswohnungen müssten laut John Weinert von tauschwohnung.com motiviert werden, in eine kleinere vielleicht eben auch barrierefreie Wohnung zu wechseln. „Man könnte die Chance ergreifen, Thema Altersarmut, indem man zum Beispiel einen Pflegedienst oder Sozialdienst mit einbindet, nach einem Tausch.“, schlägt Weinert vor.

In der Praxis noch wenige Tauschprozesse

Besonders in den Großstädten, wie zum Beispiel Berlin, wo der Wohnungsmarkt mehr als überlastet ist, bietet sich das Konzept des Wohnungstauschs an. Bis jetzt sehe die praktische Umsetzung, laut Sebastian Bartels, allerdings noch mau aus. Vom Tausch-Portal der sechs Landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU) in Berlin hatte sich John Weinert mehr erhofft: Aus dem Jahresbericht von 2021 der Wohnraumversorgung Berlin (WVB) zur Kooperationsvereinbarung mit den LWUs geht hervor, dass seit Inbetriebnahme des Portals im Jahr 2019 etwa 660 neue Mietverträge über einen Wohnungstausch abgeschlossen wurden. „Da gibt es noch viel Luft nach oben.“, findet Weinert. Auch von seinem eigenen Tausch-Portal berichtet er: „Wir haben in den letzten zwei Jahren ca. 5000 Haushalte über Wohnungstausch vermittelt.“ Es gebe also bei etwa 9 Millionen Umzügen pro Jahr noch eine riesige Diskrepanz zu der Anzahl Wohnungen, die über den normalen Weg vermittelt werden, sagt er.

Über das Internetportal tauschwohnung.com wurden in den letzten zwei Jahren über 5.000 Haushalte vermittelt.
Über das Internetportal tauschwohnung.com wurden in den letzten zwei Jahren über 5.000 Haushalte vermittelt. © tauschwohnung.com

Das Recht auf Wohnungstausch voranbringen

Sowohl John Weinert von tauschwohnung.com und Sebastian Bartels vom Berliner Mieterverein e.V. befürworten einen Rechtsanspruch auf Wohnungstausch in Deutschland. Momentan liegt das letzte Wort noch beim Vermieter. Über ein Gesetz soll der Tauschvorgang sowohl für die beiden Mieter als auch die beiden Vermieter vereinfacht und abgesichert werden. „Der Mieterverein fordert die gesetzliche Regelung im BGB und somit einen Rechtsanspruch auf einen Wohnungstausch.“, sagt Bartels. Auch Weinert betont: „Es wäre natürlich ein Hebel für das ganze Thema, wenn es dieses Recht auf Wohnungstausch gibt, wenn das mehr in die öffentliche Debatte kommt.“ Das Nachbarland Österreich beispielsweise hat den Wohnungstausch im § 13 des Mietrechtsgesetzes schon 1982 gesetzlich geregelt. Zudem wird gefordert, dass mit der Wohnung ebenfalls der Mietvertrag getauscht wird, um somit einer potenziellen Mieterhöhung im Zuge einer neuen Vertragspartnerschaft entgehen zu können. Denn auch dies macht das Tauschmodell aktuell noch für einige unattraktiv.

Auf politischer Seite wurde dieses Recht schon seit geraumer Zeit von den Grünen gefordert. Die Koalitionspartner lehnen das Vorhaben jedoch ab. Auch im Berliner Bündnis Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen wurden bereits im Juni letzten Jahres Maßnahmen zur Erleichterung des Wohnungstauschs festgeschrieben. Diese beziehen sich auch auf die privaten Wohnungsunternehmen: „Das Land Berlin prüft gemeinsam mit den Wohnungsunternehmen, ob mit Hilfe eines Pilotprojektes ein kiezbezogener Wohnungstausch ergänzend unterstützt werden kann, z.B. durch eine gemeinsame Plattform zum Wohnungstausch zwischen privaten Wohnungsunternehmen.“, steht im Bündnistext geschrieben.

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Doch Sebastian Bartels sind diese Formulierungen zu weich: „Dieses Bündnis ist eher ein ‚Runder Tisch‘, es werde geprüft, ob unterstützt werden kann, mehr nicht.“ Deshalb konnte der Mieterverein es nicht verantworten, das Bündnis zu unterzeichnen, erzählt Bartels. Er erhoffe sich eine Aufnahme des Themas im Koalitionsvertrag, nicht nur in einem Bündnis und sei gespannt, wie und ob die neue Regierungskoalition in Berlin das Thema Wohnungstausch angehen wird. John Weinert beschreibt: „Berlin wäre für uns nach wie vor sehr interessant. Gerade mit dem potenziell neuen Oberbürgermeister oder der geänderten Regierung, die das Thema auch vorantreiben wollen.“

Keine Wohnung, kein Tausch

Für einige vermittelt der Wohnungstausch-Markt ein Gefühl von Ausschluss, da sie nicht Mieter einer Wohnung sind und somit keine zum Tausch anbieten können. Das liegt nicht am Tausch-System selbst, sondern daran, dass jüngsten Berechnungen zufolge bundesweit 700.000 Wohnungen fehlen. Eine von denen ohne Wohnung ist Alis. Sie ist auf der Suche nach einer Bleibe in Berlin und begegnet den Tauschangeboten auch auf Portalen wie WG-Gesucht, eBay Kleinanzeigen oder ImmoScout24. Auf dem letzteren fand sie für die angegebene Preisklasse von etwa 500 Euro für eine Einzimmerwohnung fast nur Tauschanzeigen. „Ausgerechnet die schönen und günstigen Wohnungen sind meistens nur zum Tauschen. Ich gucke sie mir dann gar nicht weiter an.“ Ein Gefühl von Frust komme schon auf, aber das sei eher ausgelöst von der generellen Situation der Wohnungssuche in Berlin, beschreibt die junge Frau.

Die Wohnungssuche in Großstädten, wie Berlin erfordert ein großes Durchhaltevermögen.
Die Wohnungssuche in Großstädten, wie Berlin erfordert ein großes Durchhaltevermögen. © dpa | Kira Hofmann

Diesbezüglich sagt Bartels, dass die Größenordnung der Tauschprozesse noch irrelevant sei, was einen Ausschluss auf dem Wohnungsmarkt angeht. John Weinert betont außerdem, dass die Tauschangebote häufig viel länger auf den Portalen angezeigt werden würden, da sie nicht so schnell vermittelt werden wie einfache Wohnungsangebote. Das erkläre die starke Präsenz von Tauschangeboten.

Die faire Verteilung des bestehenden Wohnraums bleibt ein wichtiges Thema. Auch wenn der Wohnungstausch noch ein Randthema sei, spreche das nicht gegen eine ernste Aufnahme dessen, so Sebastian Bartels. Denn: „Randthema war vieles mal.“