Leipzig/Berlin. In Leipzig sind an Silvester Polizisten angegriffen und verletzt worden. Einer der Angeklagten wurde am Mittwoch schuldig gesprochen.

  • Ein 27-Jähriger wurde nach den Ausschreitungen in Leipzig-Connewitz zu einer Haftstrafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilt
  • Die Behörden ermitteln gegen elf weitere Tatverdächtige
  • Hat die Polizei mit ihrer Taktik in Leipzig an Silvester provoziert? Weiterhin werden die genauen Umstände ermittelt – auch in den Polizeiberichten gab es Widersprüche
  • Die Gewerkschaft der Polizei reagiert darauf scharf – Anwesenheit von Polizisten könne nicht als Provokation gewertet werden

Nach Ausschreitungen in der Silvesternacht in Leipzig ist am Mittwoch ein Beteiligter der Krawalle verurteilt worden. Gegen den 27-Jährigen verhängte das Amtsgericht Leipzig in einem beschleunigten Verfahren eine Haftstrafe von sechs Monaten auf Bewährung.

Wegen tätlichen Angriffs auf und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie wegen Körperverletzung muss der Mann laut Urteil außerdem 60 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Das Urteil ist bereits rechtskräftig.

Gewalt in Leipzig an Silvester: Verurteilter entschuldigt sich für „riesengroße Dummheit“

Ein Zusammenhang zu dem Gewaltausbruch am Connewitzer Kreuz kurz nach Mitternacht, bei dem ein Polizist schwer und zwei weitere leicht verletzt worden waren, bestand offenkundig nicht. In der Verhandlung räumte der 27-jährige Straßenkünstler ein, in dem linksgeprägten Stadtteil gegen 1.15 Uhr einem vorbeirennenden Polizeiobermeister ein Bein gestellt zu haben.

Der Beamte stürzte und zog sich trotz Schutzausrüstung Verletzungen an Knöchel und Unterarm zu. Der 27-Jährige entschuldigte sich mehrfach bei dem Mann und sprach von einer „riesengroßen Dummheit“, die ihm „wirklich, wirklich leid“ tue. Nach der Tat war bei dem nicht vorbestraften 27-Jährigen ein Alkoholwert von etwa 0,7 Promille gemessen worden. Er saß seit der Tatnacht im Gefängnis.

Eigenen Angaben zufolge hatte sich der Mann zum ersten Mal zu Silvester in dem linksgeprägten Stadtteil aufgehalten. Richter Uwe Berdon glaubte der Darstellung des 27-Jährigen, dass er sich nicht gegen Polizeipräsenz oder -gewalt habe wehren wollen, sondern unter alkoholisierter Enthemmung und aus Dummheit gehandelt habe.

Zusammenstöße in Connewitz: Ermittlungen gegen elf weitere Verdächtige

Rund eine Stunde vor der Tat waren am Connewitzer Kreuz drei Polizisten verletzt worden, einer davon schwer. Zuvor waren Beamte mit Flaschen, Steinen und Böllern beworfen worden. Wegen des Angriffs auf die Polizisten ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts des versuchten Mordes gegen Unbekannt.

Polizisten räumen in der Neujahrsnacht eine Kreuzung im Leipziger Stadtteil Connewitz.
Polizisten räumen in der Neujahrsnacht eine Kreuzung im Leipziger Stadtteil Connewitz. © dpa | Sebastian Willnow

Neben dem am Mittwoch Verurteilten ermitteln die Behörden gegen elf weitere Tatverdächtige. Drei von ihnen sitzen in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft sei bestrebt, die Ermittlungen zügig zu Ende zu bringen, sagte Sprecher Ricardo Schulz dem Evangelischen Pressedienst (epd). Den Verdächtigen wird laut Schulz „im Wesentlichen“ tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung vorgeworfen.

Bislang gebe es jedoch „keinen konkreten Anhaltspunkt“, dass die Verdächtigen an dem Geschehen kurz nach Mitternacht beteiligt waren, erklärte er. Deren Taten hätten sich wohl „im Umfeld und im Nachgang“ dessen ereignet.

Krawalle in Connewitz: War das Vorgehen der Einsatzkräfte angemessen?

Infolge der Ausschreitungen in Connewitz wurde die Frage aufgeworfen, ob das Vorgehen der Einsatzkräfte der Situation angemessen war. Für den Vize-Vorsitzenden der GdP offenbar ein Ärgernis: „Die Diskussion wird völlig falsch geführt. Man muss den Anlass des Polizeieinsatzes sehen, um die Taktik zu verstehen“, sagte Jörg Radek der „Welt“.

Nach Einschätzung der Ermittler zeichnet sich ein Linksextremist für die Verletzungen des Kollegen verantwortlich. Zeitweise war von einer Notoperation des verletzten Beamten in Folge des Angriffs die Rede, dies wurde zwischenzeitlich relativiert.

„Vom gesellschaftlichen Verständnis ist grundsätzlich etwas nicht richtig, wenn die Anwesenheit der Polizei als Provokation empfunden wird“, sagte Radek zu den Vorfällen. Gewalt gegen Uniformträger und Rettungsdienste lasse sich „nicht mit einer Einsatztaktik begründen, die angeblich provoziert“. Eine möglicherweise provozierende Polizeitaktik hatten Kritiker des Einsatzes unter anderem aus der Linkspartei geltend gemacht.

Ausschreitungen in Leipzig: Saskia Esken will Polizeitaktik überprüfen lassen

SPD-Chefin Saskia Esken hatte nach der mutmaßlichen Attacke eine Überprüfung des gesamten Polizeieinsatzes in der Silvesternacht gefordert. „Sollte eine falsche Einsatztaktik Polizistinnen und Polizisten unnötig in Gefahr gebracht haben, liegt die Verantwortung dafür beim sächsischen Innenminister (Roland Wöller/CDU). Dass es auch anders geht, hat sich vielfach gezeigt“, sagte die SPD-Vorsitzende weiter.

Esken verwies auf die Berliner Polizei, die aus den Erfahrungen vergleichbarer Ausschreitungen am 1. Mai oder zu Silvester über die Jahre eine Deeskalationsstrategie entwickelt habe, die sich bewährt habe.

Bereits am Freitagabend konkretisierte sie im ZDF: „Es geht mir nicht darum, Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte zu kritisieren in ihrem Handeln.“ Und weiter: „Dann sage ich, dass mir das leid tut, dass so eine Interpretation natürlich vollkommen falsch ist.“

Inhaltlich blieb sie aber bei ihrer Position: Es gehe ihr darum, in Frage zu stellen, ob es genug Polizisten gegeben habe und ob deren Vorgehensweise richtig gewesen sei – etwa hinsichtlich der Frage, „an welchen Ort begibt man sich und wie geht man mit der Eskalation um“.

Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl hatte Esken für ihre Aussagen heftig kritisiert.

Angriff in Silvesternacht – linksextremistischer Angriff aufgrund von Provokation?

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken fordert nach den Ausschreitungen an Silvester in Leipzig Aufklärung.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken fordert nach den Ausschreitungen an Silvester in Leipzig Aufklärung. © dpa | Kay Nietfeld

Noch immer wird an der Aufarbeitung der Silvesternacht in Leipzig gearbeitet. War es ein linksextremistischer Angriff auf die Polizei oder hat die Polizei durch ihre Einsatzstrategie eine Eskalation selbst provoziert?

Vergangene Woche hatte das sächsische Landeskriminalamt (LKA) sogar Ermittlungen wegen versuchten Totschlags eines Polizisten aufgenommen, die dann kurze Zeit später auf Verdacht des versuchten Mordes hochgestuft wurden.

Das Leipziger Amtsgericht hat gegen vier Männer Haftbefehle erlassen. Einer davon war ein sogenannter Hauptverhandlungshaftbefehl, um die Teilnahme des Beschuldigten an einem beschleunigten Gerichtsverfahren sicherzustellen, wie ein Sprecher des sächsischen Landeskriminalamtes (LKA) am Freitag mitteilte.

Ausschreitungen an Silvester in Leipzig: Neuer Polizeibericht teils abgeschwächt

Die Darstellungen über den Vorfall sind widersprüchlich. Zuerst hatte es in einem Bericht geheißen, dem Beamten sei der Helm vom Kopf gerissen worden, bevor er mit Pyrotechnik angegriffen worden sei und das Bewusstsein verloren habe. Er sei in der Nacht notoperiert worden. In dem Polizeibericht sei einem Bericht der „taz“ zufolge auch der Angriff auf mehrere Polizisten mit einem brennenden Einkaufswagen beschrieben worden.

Am Donnerstag veröffentlichte das LKA laut „taz“ allerdings einen weiteren Bericht. Darin sei der beschriebene Angriff auf die Polizei zum Teil abgeschwächt worden. Auch von der Notoperation des angeblich schwer verletzten Beamten sei keine Rede mehr gewesen, stattdessen von einer stationären Krankenhausaufnahme.

Wie die „taz“ bei einer Anfrage an das Krankenhaus zudem herausgefunden haben will, habe es lediglich einen Eingriff an der Ohrmuschel des Beamten unter lokaler Betäubung gegeben. Es habe weder Lebensgefahr noch ein drohender Gehörverlust bestanden.

Das klang nach den ersten Angaben des LKA noch anders. „Hier wurde jemand gezielt angegriffen und schwer verletzt“, hatte ein LKA-Sprecher nach dem mutmaßlichen Angriff auf die Polizei gesagt. Der Täter sei bislang noch nicht identifiziert worden. Die Soko LinX des Polizeilichen Extremismus- und Terrorismus-Abwehrzentrum (PTAZ) Sachsen des LKA hatte die Ermittlungen aufgenommen.

In dem linksalternativ geprägten Stadtteil Connewitz ist es schon häufiger zu Auseinandersetzungen von Linksextremen mit der Polizei gekommen.

Leipzigs Oberbürgermeister spricht im Zusammenhang mit Linksextremen von Terror

Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) hatte in diesem Jahr schon einmal vor gewaltbereiten Linksextremisten in seiner Stadt gewarnt – und die Kritik nun wiederholt. „Es gibt Erkenntnisse des Verfassungsschutzes, dass es ein hartes, kleines kriminelles und gewaltbereites Netzwerk gibt“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Nach einem Überfall auf eine Mitarbeiterin einer Immobilienfirma sowie einen Brandanschlag auf Kräne im Herbst hatte Jung gesagt: „Da soll Angst verbreitet werden, das ist Terror.“ Diese Worte wiederholte er auch im aktuellen Fall.

Politiker von CDU, SPD und AfD übten in sozialen Medien zum Teil heftige Kritik an Angehörigen der Linkspartei. Diese hatten der Polizei vorgeworfen, sie habe die Feiernden provoziert. Mehrere Menschen sollen dort am frühen Neujahrsmorgen Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper auf Einsatzkräfte geworfen haben.

Linke-Politiker kritisieren Polizeieinsatz in Connewitz

Die sächsische Linke-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel schrieb in den frühen Morgenstunden nach Jahreswechsel bei Twitter: „Uff. Cops raus aus #Connewitz gewinnt nach diesem Jahreswechsel ne neue Bedeutung. Ekelhafte Polizeigewalt, überrennen unbeteiligter, wirre Einsatzmanöver, kalkulierte Provokation.“

Der AfD-Innenpolitiker Martin Hess warf Nagel vor, sie rechtfertige „die linke Gewalt auch noch“. Er schrieb: „Wer so über die Staatsgewalt hetzt, lehnt unseren Rechtsstaat ab und darf sich im demokratischen Gemeinwesen nicht politisch betätigen.“

Mehrere Polizisten sind bei Ausschreitungen in der Silvesternacht in Leipzig angegriffen worden.
Mehrere Polizisten sind bei Ausschreitungen in der Silvesternacht in Leipzig angegriffen worden. © dpa | Sebastian Willnow

Michael Neuhaus, Bundessprecher der Jugendorganisation der Linken, kommentierte das Geschehen der Nacht mit den Worten: „Mich beschleicht das dumpfe Gefühl, dass in #Connewitz von vornherein ein Exempel statuiert werden sollte. Was ist das eigentlich für ein Staat, der aus politischen Profilierungsgründen in der Silvester Nacht gegen Feiernde vorgeht?“

Nach Kritik an seinen Äußerungen – unter anderem vom SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs – stellte Neuhaus später auf Twitter klar: „Ich finde es erschreckend, wenn ein Mensch schwer verletzt wird.“ Der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer schrieb: „Das waren keine „Feiernden“! Dieses Märchen kann @MichaNeuhaus (Bundessprecher @lijusolid) vielleicht seinen linksradikalen Parteifreunden erzählen.“

Leipzig: Zwölf Festnahmen nach Ausschreitungen in Connewitz

Drei weitere Beamte erlitten in der Nacht in Connewitz leichte Verletzungen. Die Polizei nahm zwölf Menschen fest, drei von ihnen wurden in der Nacht wieder entlassen. Zwei Frauen und sieben Männer wird unter anderem versuchte gefährliche Körperverletzung und Widerstand gegen Polizeibeamte vorgeworfen.

Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) erklärte: „Die Angriffe auf Polizistinnen und Polizisten in Connewitz waren bewusste und gezielte Angriffe auf Menschenleben. Zweck der provozierten Auseinandersetzung ist offensichtlich ausschließlich Gewalt.“ Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im sächsischen Landtag, Christian Hartmann, betonte: „Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, dass dieser Stadtteil nicht autonomen Gewalttätern überlassen wird.“

Ein weiterer erschreckender Vorfall ereignete sich an Silvester in Krefeld. Bei einem Brand im Affenhaus des Zoos starben mehr als 30 Tiere.

(dpa/br/ac/jkali/mbr)