Washington. Mit Spannung erwarten die Amerikaner die Verlesung der Anklageschrift gegen Trump – und spekulieren, ob er in Handschellen gelegt wird.

14.15 Uhr. In der 15. Etage des klobigen Gebäudes mit der Hausnummer 100 Centre Street in Manhattan, New York, schreibt Donald Trump am Dienstag Geschichte. Vor Richter Juan Merchan wird dem 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika die bis dahin versiegelte Anklageschrift verlesen – nicht nur im spezifischen Fall von Schweigegeldzahlungen an die Porno-Darstellerin Stormy Daniels, die mutmaßlich illegal abgerechnet und zu Wahlkampfzwecken genutzt wurden.

Insgesamt über 30 individuelle Straftatbestände sollen nach US-Medien in dem Dokument enthalten sein, mit dem Bezirksstaatsanwalt Alvin Bragg in der vergangenen Woche eine Geschworenen-Jury überzeugt hatte, zu tun, was in über 230 Jahren US-Geschichte noch nie passiert ist: Ein Ex-Präsident wird strafrechtlich vor den Kadi gezerrt. Wie der Tag ausgeht, weiß man schon – durch Trump.

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Nach dem Haftprüfungstermin, dem wie bei jedem Angeklagten erkennungsdienstliche Rituale – also das Nehmen von Fingerabdrücken und die sogenannten Mug-Shots vorausgehen, will der bereits am Montag in New York angereiste Trump nach eigenen Angaben abends um 20.15 Uhr vor geladenen Gästen in seinem Florida-Domizil Mar-a-Lago eine kämpferische Rede halten. Gegen den „tiefen Staat“ und eine „korrupte Justiz”, die ihm, dem favorisierten Präsidentschaftskandidaten für 2024, „politisch nach dem Leben trachten“, wie Eingeweihte wissen wollen.

Trump könnte das Blitzlichtgewitter für seine Zwecke nutzen

Bis es so weit ist, stehen der Metropole am Hudson River einige turbulente Stunden ins Haus. Ginge es nach Staatanwalt Bragg, würde die Vorführung des Angeklagten T. geräuschlos durch einen Hintereingang ohne Blitzlichtgewitter und ohne die bei diesen Terminen in der Regel kurzzeitig benutzten Handschellen über die Bühne gehen. Ähnlich sollen sich auch Trumps Anwälte geäußert haben.

In New York herrscht Nervosität angesichts der Drohung von Trump, dass eine Anklage „Tod und Zerstörung“ bringen werde.
In New York herrscht Nervosität angesichts der Drohung von Trump, dass eine Anklage „Tod und Zerstörung“ bringen werde. © Getty Images via AFP | Spencer Platt

Ob sich Trump dem angeratenen Verzicht auf publikumswirksame, schnell monetarisierbare Bilder fügen wird, steht noch dahin. Die Vorstellung, auf dem Weg zum Gericht an Hunderten Reportern, Fotografen und Schaulustigen entlang zu defilieren, soll dem 76-Jährigen durchaus behagen. Vor dem Richter, dem Trump nachsagt, ihn zu „hassen”, werden die Anwälte Trumps voraussichtlich auf unschuldig plädieren. Weil die in Rede stehenden Delikten nichts anderes zulassen, kommt Trump unmittelbar nach dem offiziellen Akt frei.

Erster Gerichtstermin in New York erst in einem Jahr?

Bis zu einem Gerichtstermin kann es aufgrund besonderer Umstände in New York nach Angaben von Rechtsgelehrten der Columbia Universität „leicht ein Jahr oder noch länger dauern”. Weil Trump vor „Tod und Zerstörung“ für den Fall einer Anklage gewarnt hat und weil diverse Gruppen zu Demonstrationen in New York aufgerufen haben, scannen die Behörden soziale Medien nach Auffälligkeiten.

Außerdem sind alle 35.000 Streifendienst-tauglichen Cops der New Yorker Polizei zum Bereitschaftsdienst eingeteilt worden. Rund um den Schauplatz des Gerichtsgebäudes wie auch rund um Trumps Hochhaus an der 5. Avenue stehen Absperrgitter. Etliche Straßen sind blockiert. Vorläufige Lagebeurteilung der Polizei: „Keine Hinweise auf größere Menschenansammlungen oder gewalttätige Zwischenfälle.”

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Unterdessen macht Trump, der dem historischen Tag nach Angaben von Vertrauten mit einer Mischung von „Angespanntheit und Siegeszuversicht” entgegenblickt, mit seinen juristischen Verwicklungen weiter Kasse. Das Spenden-Aufkommen aus der Bevölkerung seit der Geschworenen-Beschluss vom vergangenen Donnerstag, ihn anzuklagen, beläuft sich auf über fünf Millionen Dollar. Auch die Aktien einer Firma, die Trumps Kommunikations-Plattform „Truth Social” börsentauglich trimmen soll, sind massiv gestiegen.