Washington. Hilfe bis zum Lebensende: Die Wutrede eines US-Satirikers und die Reaktionen darauf haben die Politik erfolgreich unter Druck gesetzt.

Als Jon Stewart noch hinter dem Fernseh-Schreibtisch seiner „Daily Show“ saß und 16 Jahre lang mit brachialer Satire Abend für Abend sehr erfolgreich die Deformationen des politischen Betriebs in Amerika freilegte, wusste man: Der Mann ist viel mehr als ein smarter, auf die Einschaltquote schielender Faxenmacher. Stewart wollte die Welt schon damals besser, fairer, ehrlicher machen; und vor allem denen zugewandt, die wirklich Hilfe brauchen.

Jetzt hat der 56-Jährige es geschafft. Dank seines persönlichen Einsatzes, der unlängst im gefühlskalten Washington viele zu Tränen rührte, hat der Kongress einen Schandfleck beseitigt, der Amerika seit dem 11. September 2001 umtreibt. Die Feuerwehrleute, Polizisten und Arbeiter, die nach den Terroranschlägen am World Trade Center in New York über Monate zwischen Trümmerhaufen in giftigem Rauch und Staubwolken schufteten und dabei überproportional oft an Krebs erkrankten, müssen sich keine Sorgen mehr über die finanzielle Absicherung ihr Gesundheitsversorgung machen.

US-Senat verlängert Hilfsfonds für 9/11-Helfer bis Ende des Jahrhunderts

Ein Fonds, der 2015 mit 7,3 Milliarden Dollar gefüllt und in den nächsten Wochen erschöpft gewesen wäre, obwohl noch 19.000 Hilfsanträge auf Halde liegen, wurde am Dienstag im Senat mit sensationell überparteilichen 97 zu 2 Stimmen bis Ende dieses Jahrhunderts verlängert. Jon Stewarts Reaktion auf die Entscheidung ist im folgenden Video ab Minute 12:17 zu sehen.

Für die noch lebenden „first responder”, die gerade in New York in den ersten Tagen nach den Flugzeug-Anschlägen die Wiederaufbau-Mentalität der Metropole verkörperten, ist damit das jahrelange Betteln um annähernd angemessene Kompensation ihrer Leistungsbereitschaft vorbei.

Jon Stewart ist ein Lobbyist für die Helden des 11. September

Der New Yorker Satiriker Jon Stewart setzt sich für die Ersthelfer des 11. September 2011 ein, die nach ihrem Einsatz krank geworden sind.
Der New Yorker Satiriker Jon Stewart setzt sich für die Ersthelfer des 11. September 2011 ein, die nach ihrem Einsatz krank geworden sind. © Reuters | ERIC THAYER

Dass es so kam, dass der Kongress endlich von Lösungen mit kurzem Haltbarkeitsdatum Abstand nahm und somit Hunderten Familien Seelenfrieden gab, hängt vor allem mit einem denkwürdigen Auftritt Stewarts Anfang Juni zusammen. Der TV-Star, der seit Jahren ehrenamtlich als Lobbyist für die „Helden von 9/11” eine Lanze bricht und gegen das Vergessen anredet, hatte bei einer Anhörung im US-Parlament den Abgeordneten mit authentischer Wut derart gnadenlos die Leviten gelesen, dass die ganze Nation zuschaute. Und zitterte.

An seiner Seite damals: Luis Alvarez, ein früherer Polizist, der drei Monate auf Ground Zero gearbeitet hatte. Der 53-Jährige saß – von 68 Chemo-Therapien gezeichnet und bis auf die Knochen abgemagert – in Washington und mahnte die Volksvertreter mit brüchiger Stimme zur Eile. „Viele von uns haben nicht mehr viel Zeit”, sagte Alvarez.

Jon Stewarts Wutrede vor dem Kongress bewegte Millionen

Dass das Justizministerium den erkrankten Ersthelfern mitteilte, dass der Hilfsfonds bald ausläuft und ausstehende Zahlungen für die Arztrechnungen um bis zu 70 Prozent gekürzt werden müssten, sei „ein Schlag ins Gesicht derer, die am 11. September keine Sekunde gezögert haben, um unter Einsatz ihres Lebens zu helfen”.

Dass Demokraten wie Republikaner, die an jedem Gedenktag zum 11. September voller Pathos das hohe Lied auf die Selbstlosigkeit der Retter singen, der Anhörung weitgehend fernblieben, nannte Jon Stewart eine unglaubliche „Respektlosigkeit”. Hier haben sich Menschen „sterbenskrank” in die Hauptstadt geschleppt, donnerte er hochrotem Kopf und bebender Stimmen in die Kameras, „und nun ist niemand da, der ihnen zuhört”.

Menschen machten auch in sozialen Netzwerken Druck auf Politiker

Die Sequenz lief noch am gleichen Tag in fast allen großen Nachrichtensendungen. Verbunden mit dem Hinweis, dass bisher 350 Feuerwehrleute und Polizisten aus New York an den Folgen ihrer Vergiftungen gestorben sind, die sie an 9/11 erlitten haben. In vielen Fällen hatten die Angehörigen nicht einmal genug Geld für die Beerdigung. Stewart: „Das ist eine Schande für dieses Land.”

Binnen weniger Tagen wuchs gerade in sozialen Netzwerken der Druck auf den Kongress, die unwürdige Hängepartie zu beenden und den Spätfolgen-Opfern von 9/11 langfristig Planungssicherheit zu geben. Was, mit Ausnahme zweier republikanischer Senatoren (Paul und Lee), jetzt geschehen ist.

Der Satiriker Jon Stewart bei der Beerdigung des Polizisten Luis Alvarez, der kurz nach seinem Auftritt vor dem US-Kongress an den Folgen seiner Krebserkrankung starb.
Der Satiriker Jon Stewart bei der Beerdigung des Polizisten Luis Alvarez, der kurz nach seinem Auftritt vor dem US-Kongress an den Folgen seiner Krebserkrankung starb. © Reuters | SHANNON STAPLETON

Das neue Gesetz, das den Fonds mit weiteren Milliardensummen ausstattet und die Laufzeit bis 2092 verlängert, soll am Freitag von Präsident Donald Trump unterzeichnet werden. Es trägt die Namen von drei „Helden”, die an den Spätfolgen von 9/11 gestorben sind. Darunter ist auch Luis Alvarez. Wenige Tage nach seinem geschichtsträchtigen Auftritt in Washington versagte die Leber. Jon Stewart war bei der Beerdigung und sprach der Familie Trost zu. Selbstverständlich.