Bochum:. Die SPD startet in die heiße Wahlkampfphase. Kandidat Scholz hat das Kanzleramt fest im Blick – und das Timing der Partei ist perfekt.

Er sagt, diesen "Moment" müsse man jetzt nutzen. "Sagt weiter, was hier zu spüren ist, ein Aufbruch ist möglich", ruft Olaf Scholz vor seinen Anhängern aus. 43 Tage vor der Bundestagswahl läuteten die SPD und ihr Kanzlerkandidat am Samstag bei strahlendem Sonnenschein in Bochum die "heiße Phase" ihrer Kampagne ein.

"Hoch Olaf" ist keine Sinnestäuschung und auch nicht mehr sozialdemokratischer Zweckoptimismus. Langsam dreht sich die politische Großwetterlage zugunsten der Genossen. In mehreren renommierten Umfrageinstituten rangiert ihre Partei bei 18 oder 19 Prozent nur noch knapp hinter den Grünen. Das Ergebnis von vier Jahren, 20,5 Prozent, ist wiederholbar.

Die Union verzweifelt an ihrem Kandidaten, die Grünen treten auf der Stelle – von den drei Kanzlerkandidaten spürt Scholz am ehesten nachvollziehbar Rückenwind. Ab nächste Woche gehen die Wahlunterlagen raus. In der zweiten Augusthälfte könnte schon eine nennenswerte Zahl der Wählerinnen und Wähler per Brief abgestimmt haben. Das SPD-Timing ist perfekt.

SPD-Wahlkampfauftakt: Menschen bleiben Zaungäste

Der Dr.-Ruer-Platz in Bochum ist nicht sonderlich groß, aber er liegt zentral. Wie ein Magnet zieht er die Leute an, die an diesem Morgen in der Stadt unterwegs sind, 1300 Menschen werden nach Polizeiangaben bei der SPD hängen bleiben.

Die knallrotdrapierte Bühne ist klein, rechts davon ragt der Slogan "Scholz packt das an" heraus, davor drei kurze Reihen mit Sitzbänken für die Parteiprominenz. Der gesamte Innenbereich wird von Metallabsperrungen umzäunt. Von einem Bad in der Menge kann keine Rede sein, die Menschen bleiben auf Distanz, buchstäblich: Zaungäste.

Um elf Uhr, etwa eine halbe Stunde vor Beginn, haben sich schon die ersten Reihen mit Schaulustigen gebildet. Als die Band den Uraltsong "We Are Family" von "Sister Sledge" anstimmt, wippen die ersten im Publikum mit.

Szene am Rand: Sicherheitsdienst lässt Parteichefin nicht rein

"Backstage" erkennt man DGB-Chef Reiner Hoffmann, der später ein Grußwort halten wird, ebenso das einzige SPD-Kabinettsmitglied aus Nordrhein-Westfalen, Umweltministerin Svenja Schulze. Die Sicherheitsvorkehrungen sind groß, der Sicherheitsdienst hat SPD-Chefin Saskia Esken nicht erkannt und will sie zunächst nicht reinlassen, sie wiederum nicht den Jedermann-Eingang nehmen.

Nach Bochum absolviert Scholz noch einen Termin in Dortmund, am Abend tritt er in Neuss auf. 90 Auftritte stehen noch auf seiner Agenda. Der Wahlkampf wird dort enden, wo er begonnen hat, in NRW, genauer gesagt: zum Schluss in Köln. Zwischendurch ist Scholz auch in Bielefeld und Münster.

NRW ist ein Schwerpunkt, weil es das bevölkerungsreichste Land ist und weil Hopfen und Malz insbesondere im Ruhrgebiet noch nicht verloren sind. Scholz konzentriert sich auf die Hochburgen: Norddeutschland, NRW, Berlin, seine neue Heimat Brandenburg, in Sachsen hat er einen Großauftritt in Leipzig eingeplant.

Die Sicherheitsvorkehrungen beim Wahlkampfauftakt sind scharf.
Die Sicherheitsvorkehrungen beim Wahlkampfauftakt sind scharf. © AFP | Ina Fassbender

SPD-Wahlkampf: Auch in Bayern, auch digital

Den Freistaat Bayern gibt er nicht kampflos auf, mehrere Großauftritte sind dort terminiert – anders als in Baden-Württemberg, in Saarland, in Thüringen oder Sachsen-Anhalt. Digital ist Scholz bereits in den vergangenen Monaten deutschlandweit an der Basis unterwegs gewesen, auch seine Bochumer Rede wird per Livestream übertragen.

Generalsekretär Lars Klingbeil macht den Conférencier, eine leichte Übung. "Wir konnten uns keinen besseren Ort Bochum als aussuchen", sagt er, "in dieser Erstliga-Stadt". Applaus. Der heimische VWL ist gerade aufgestiegen. Die Leute sind stolz.

Auch für Parteichef Norbert Walter-Borjans, ehemals Minister in Düsseldorf, ist es vertrautes Terrain. "Hallo Bochum", ruft er aus, "Hallo Perle des Reviers", eine kleine Anleihe beim Vorzeigebochumer Herbert Grönemeyer.

Saskia Esken: Etwas Werbung in eigener Sache

Walter-Borjans sagt, Scholz habe bewiesen, dass er es kann. "Die erste Geige in dieser Republik spielt man nicht larifari" – gemeint ist Unions-Kandidat Armin Laschet. Aber auch die Grüne Annalena Baerbock kriegt ihr Fett weg: "Von Null auf 100 in die Regierungszentrale ist ein Experiment, das ich nicht gut fände."

Walter Borjans redet frei, seine Co-Vorsitzende liest von Karteikarten ab. Esken sagt, "wir wollen "eine Gesellschaft des Respekts" – ein Schlüsselwort der Kampagne. Gemeint sind ein Mindestlohn von zwölf Euro und eine Rente, "die ein Leben in Würde" ermöglicht. Gemeint ist aber auch, dass die Frauen "die Hälfte des Kuchens" bekommen, nicht nur beim Geld, sondern in der Macht. "Und da ist Olaf Scholz genau der Richtige."

Da redet Esken in eigener Sache, gerade hat der Spitzenkandidat ihr ein Ministeramt in einem SPD-geführten Kabinett in Aussicht gestellt.

SPD setzt im Wahlkampf auf Scholz und Social Media

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