Berlin. Anastasia Biefang ist erste Trans-Offizierin. Dann bekam sie einen Verweis wegen eines Tinder-Posts. Seit Jahren kämpft sie dagegen.

Wenn Anastasia Biefang heute von diesem einen Klick erzählt, der ihr Leben auf den Kopf gestellt hat, dann sagt Biefang, dass sie diesen Post auf der Dating-Plattform Tinder „nicht unbedacht“ getan habe. Dass sie sich Zeit genommen habe, sich beim Formulieren Mühe gegeben habe. Und Anastasia Biefang sagt, dass sie damals auch schon geahnt hatte, dass dieser Klick anecken könnte. Trotzdem fühlte sie sich im Recht. Bis heute sieht sie es so, mehr als drei Jahre später.

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Biefang schrieb damals: „Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung und auf der Suche nach Sex. All genders welcome.“ Dazu ein Foto von ihr, im T-Shirt, die Arme frei, der Blick ein wenig verführerisch, sie sucht nach Dates. Ein Klick, dann ist der Text im Internet, neben etlichen anderen Kontaktanzeigen in den sozialen Netzwerken. Bald aber könnten ihre 14 Worte vor dem Bundesverfassungsgericht landen.

Biefang war zweimal als Soldatin in Afghanistan. Einmal als Mann, einmal als Frau

Anastasia Biefang, Oberstleutnant im Generalstab im Kommando Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr, ist an diesem Herbsttag in ihrer Berliner Wohnung nicht im Dienst. Sie trägt keine Uniform, sondern einen grauen Pullover mit Ausschnitt, eine goldene Kette mit Edelstein glitzert auf ihrer Brust. Sie läuft barfuß zum Sofa im Wohnzimmer, die Fußnägel schwarz lackiert, die Haare glatt, an der Seite ausrasiert, freundliches Lächeln. Die Katzen scheucht Biefang noch kurz in den Flur.

Anastasia Biefang in ihrer Wohnung in Berlin. Die Bundeswehr präsentierte sie lange als Symbol für Vielfalt in der Truppe.
Anastasia Biefang in ihrer Wohnung in Berlin. Die Bundeswehr präsentierte sie lange als Symbol für Vielfalt in der Truppe. © FUNKE Foto Services | Anikka Bauer

28 Jahre ist Biefang Soldatin. In den Neunzigern kam sie zur Bundeswehr, schon ihr Vater stellte sein Leben in den Dienst der Truppe. Tochter Biefang war beim Kommando Luftwaffe, später im Verteidigungsministerium. Sie führte danach ein Bataillon, und Biefang war im heiklen Einsatz in Afghanistan. Einmal als Mann, im Jahr 2011 bis 2012, und 2018 bis 2019 als Frau.

Auf ihrem Handy hat die 48-Jährige einen Aufkleber: „Vielfaltskämpfer:in“ steht dort. Biefang ist Transmensch, der erste, der es so hoch in der Führung der Bundeswehr geschafft hat. Sie hat ihr Geschlecht umgewandelt, sich Brüste operieren lassen, lebt nun mit einer anderen Frau in einer offenen Beziehung zusammen.

„Ich bin Soldat, ich bin es auch gerne. Aber ich darf auch Privatperson sein“

Geblieben ist sie in all den Jahren immer Soldatin. In einer Armee, die noch immer von Männern dominiert ist. In der die Frauen, und noch mehr schwule und queere Menschen, eher Ausnahme als Regel sind.

„Ich bin Soldat, ich bin es auch gerne. Aber ich darf auch Privatperson sein“, sagt Biefang. Ihr Verhältnis zu der Truppe ist ein anderes. Seit der Sache mit der Dating-Plattform, seit dem Klick. Die Bundeswehr und sie sind im Rechtsstreit. Biefang sagt, dass sie die Uniform gerne trage. Aber dass diese Uniform seit diesem Streit manchmal auch zu einem Korsett geworden ist, das ihr die Luft abschneidet.

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Es gibt diese Volksweisheit: „Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps.“ Er stammt aus einer Zeit, in der Büro und Kneipe noch zwei Pole einer Lebenswelt ohne Internet waren. Heute ist der Alltag vernetzter, die Grenzen zwischen privatem und beruflichem Leben weichen auf. Wie aber darf das Soldatsein in Biefangs privates Leben eindringen? Wie weit darf der Arbeitgeber mitreden? Darum geht es in diesem Rechtsstreit.

Biefangs Vorgesetzter rügt sie und sieht die „Wohlverhaltenspflicht“ verletzt

Er begann 2019. Der Post über Biefangs „Suche nach Sex“ auf der Plattform Tinder landet bei ihrem damaligen Vorgesetzten. Jemand muss im Internet einen Screenshot davon angefertigt haben. Biefangs Brigadegeneral rügt sie, stellt ein Dienstvergehen fest.

Das Soldatengesetz hält fest, dass Angehörige der Truppe das „Ansehen der Bundeswehr“ oder „die Achtung und das Vertrauen“ nicht „ernsthaft beeinträchtigen“ dürfen. Im Dienst, und außerhalb nicht. Der General sieht die „außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht“ offenbar verletzt durch Biefangs privaten Tinder-Kommentar. Damals führt Biefang als Kommandeurin ein Bataillon.

Der Fall landet vor dem Truppendienstgericht. Und das billigt die Rüge des Generals. Die Soldatin Biefang muss sich vorhalten lassen, dass ihr Tinder-Profil den Eindruck erwecke, sie sehe sich selbst und ihre Partner als „reine Sexobjekte“. Die Bundeswehr ist besorgt um ihren Ruf.

Anastasia Biefang in Uniform bei ihrem Prozess vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.
Anastasia Biefang in Uniform bei ihrem Prozess vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. © dpa | Sebastian Willnow

Das ist vor 2019 noch anders. Als sie sich 2015 als „trans“ outet, arbeitet sie im Verteidigungsministerium. Und bekommt viel Rückhalt. „Das lief super“, sagt sie heute. „Auch das ist die Bundeswehr.“ In der Zeit danach wird Biefang von der Armee als Symbol für mehr Vielfalt präsentiert, der Pressestab interviewt sie im truppeneigenen Magazin, sie tritt öffentlich auf, engagiert sich im Verein „QueerBW“ in der Bundeswehr.

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Und sie macht Karriere in der Truppe, Vorgesetzte loben ihre Führungsqualitäten. Als sie ins Cyberkommando wechselt, verabschiedet ihr Bataillon sie mit einem Appell, montiert dafür große Holz-Einhörner an ein Militärfahrzeug. Das bunte Fabelwesen steht auch für die Queer-Bewegung.

Das Bundesverwaltungsgericht bekräftigt die Entscheidung des Truppengerichtes

So gelöst ist es nicht mehr zwischen der Militärführung und Soldatin Biefang. Sie will vor das höchste deutsche Gericht nach Karlsruhe ziehen, vor die letzte Instanz, hat nun Beschwerde eingereicht gegen eine erneute juristische Niederlage im Mai.

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hatte die Entscheidung des Truppendienstgerichtes bekräftigt – allerdings mit deutlichen Bedenken an der Begründung. Die Bundeswehr-Justiz habe die Privatsphäre von Biefang nicht ausreichend gewürdigt. Sie trägt auf dem Tinder-Post keine Uniform, das Grundrecht sichert die „sexuelle Selbstbestimmung“. Jeder darf im Bett machen, was er will, solange er nicht die Rechte anderer verletzt. Und jeder darf mit Anzeigen nach Sexpartnern suchen.

Und doch stützt das Verwaltungsgericht die Bundeswehr-Entscheidung. Durch ihre Wortwahl in dem Tinder-Post habe Biefang „Mangel an der erforderlichen charakterlichen Integrität“ aufkommen lassen, den „falschen Eindruck“ eines „wahllosen Sexlebens“ erweckt. Schließlich habe sie zu dem Zeitpunkt 1000 Soldatinnen und Soldaten unter ihrer Führung gehabt.

Bundeswehr-Soldatin Biefang: „Es geht mir an die Nieren“

Es ist ein Gerichtsbeschluss, der zwischen Recht und Moral wabert. Zwischen dem Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung und dem Anspruch auf Ansehen der Bundeswehr. Biefang will jetzt ein Grundsatzurteil vom Verfassungsgericht. Der Verein „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ unterstützt ihre Beschwerde.

Auf dem Sofa in ihrem Berliner Wohnzimmer sagt Anastasia Biefang heute, dass ihr „einvernehmliches Sexualleben“ niemanden schade. „Das lebe ich abseits der Kaserne aus, wieso werde ich jetzt dafür verurteilt?“ Und dass sie auf Tinder „kein Geschlecht ausschließe“, bedeute ich nicht, dass sie „mit jedem ins Bett gehe“.

„Schwuchtel“ – Biefang erlebt Hetze im Netz, bekommt aber auch Unterstützung

Manchmal macht Biefang vor ihren Sätzen eine Pause, schiebt ein Seufzen ein. Es sind Momente, die ihre Anspannung, ihre Müdigkeit zeigen. Jahre des Rechtsstreits, Jahre der Berichte über ihren Fall. „Es geht mir an die Nieren.“

Der Gegenwind kommt nicht nur vor Gericht. Sondern auch im Netz. Die Hetze gegen sie ist Begleiter ihrer Prozesse. In sozialen Medien beschimpfen sie Männer als „Schwuchtel“, es ist noch das Harmlose. Ein anderer schreibt, dass Biefang sich „inszeniere“, ins Fernsehen setze, plaudere, „über ihre Arbeit, Pimmel ab und dass sie sich gern im Darkroom im Berghain durchf*cken lässt“.

Das ist die eine Seite, die hässliche. Auf der anderen erhält Biefang Zuspruch. Viele kritisieren die Bundeswehr für eine „Moral der 50er-Jahre“, sehen Vielfalt eher als PR denn als Realität in der Truppe.

„Wenn man mich schon so brandmarkt, dann mache ich es mir eben zu eigen“

Auf Nachfrage unserer Redaktion zu dem Fall verweist die Bundeswehr an das Verteidigungsministerium. Dort schreibt eine Sprecherin, man äußere sich nicht zu der Gerichtsentscheidung. Die Gründe der Richter würden derzeit „sorgfältig ausgewertet“. Sollten dann geänderte Regelungen zum Umgang mit Sexualität in der Bundeswehr notwendig werden, geschehe dies „zeitnah“.

Die Sprecherin hebt hervor, dass „soldatische Gemeinschaft auf dem Prinzip der Kameradschaft“ beruhe – und das schließe Diskriminierung aus.

Reservisten-Training der Bundeswehr in Niedersachsen: Noch immer von Männern dominiert.
Reservisten-Training der Bundeswehr in Niedersachsen: Noch immer von Männern dominiert. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Anastasia Biefang erlebt das anders, fühlt sich verletzt. So offensiv, wie Biefang ihre Tinder-Posts formulierte, so selbstbewusst, wie sie ihre Sexualität auslebt – so entschlossen geht sie auch in den juristischen Kampf. Sie sagt: „Wenn ich jetzt nichts mehr machen würde, wenn ich sagen würde, ich habe keine Kraft mehr, ich will es nicht mehr machen – was passiert denn dann?“

Biefang sagt, sie kämpfe gegen den Dienstverweis, aber auch für die Frage, welche moralischen Maßstäbe die Bundeswehr an queere Menschen anlege.

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Anastasia Biefang hat viele Tattoos. Für den „Spiegel“ zeigte sie einige auf einem Foto zu einem Porträt über sie. „TRANSE“ steht auf ihrem Rücken, einmal die Wirbelsäule entlang. Am Arm ein Schmetterling, und eine Mohnblume. Sie steht für ihren Einsatz in Afghanistan. Auf dem Bauch hat sie sich noch ein Wort stechen lassen, im Oktober 2019, nach dem Dienstverweis an sie. „SLUT“ steht dort. Schlampe.

Die Buchstaben sind rostrot gefärbt, es sieht aus wie ein Brandmal. „Wenn man mich schon so brandmarkt, dann mache ich es mir eben zueigen.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.