Berlin. Lange wurde der CDU-Politiker Kai Wegner von Freund und Feind unterschätzt. Jetzt wird der 50-Jährige wohl Berlins neuer Bürgermeister.

Hessens Ministerpräsident Boris Rein hat den künftigen Kollegen schon kennengelernt. Kai Wegner, sagte der Christdemokrat kürzlich über den Parteifreund, sei der „typische Berliner: ein bisschen rau, aber ein toller Kerl“. Der so Gelobte schickt sich an, das lange fast Undenkbare möglich zu machen: Nach 22 Jahren wird Deutschlands links-grün tickende Hauptstadt bald wohl wieder von einem CDU-Politiker im Roten Rathaus geführt. Für Wegner, der lange von politischen Gegnern ebenso wie in der eigenen Partei unterschätzt wurde, wäre das auch ein persönlicher Triumph.

Bei der Wiederholungswahl Mitte Februar, die wegen der vielen Pannen im ersten Versuch gerichtlich angeordnet worden war, führte der 50-Jährige aus dem westlichen Außenbezirk Spandau Berlins CDU nach langem Siechtum wieder an die Spitze. Die 28 Prozent bedeuten einen so großen Vorsprung vor SPD und Grünen, dass die amtierende Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) der Mut verließ, eine Fortsetzung des Bündnisses mit Grünen und Linken durchzuziehen. Nun verhandelt Wegner mit Giffey über eine schwarz-rote Koalition.

Wegners Gespür für die Stimmung am Stadtrand

Den Sieg hat der gelernte Versicherungskaufmann seinem ausgezeichneten Gespür für die Berliner vor allem in den Außenbezirken zu verdanken. Seit der frühere Bundestagsabgeordnete 2019 die damalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters robust aus dem Amt der CDU Landeschefin drängte und wenig später seine Ambitionen auf das Bürgermeisteramt kundtat, hat er wohl sämtliche Kleingartenvereine, Sportclubs und Lokalpolitiker Berlins besucht.

Kai Wegner hat sich durchgeboxt: Der CDU-Politiker, hier meim Besuch eines Berliner Boxclubs, wird wohl der nächste Regierende Bürgermeister der Hauptstadt.
Kai Wegner hat sich durchgeboxt: Der CDU-Politiker, hier meim Besuch eines Berliner Boxclubs, wird wohl der nächste Regierende Bürgermeister der Hauptstadt. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Er selbst lebt mit seiner Familie im bürgerlichen Havel-Vorort Kladow und registrierte den Zorn, den viele Berliner außerhalb der hippen Innenstadt auf die abgehobenen Debatten in der Hauptstadt-Blase und die gegen das Auto gerichtete Verkehrspolitik der Grünen verspürten. In einem polarisierenden Wahlkampf, in dem er sich als Verteidiger der Autofahrer inszenierte, setzte Wegner auf die Protestkarte gegen Rot-Grün-Rot – und gewann.

Lesen Sie hier: Wählerwanderung: Woher kamen die neuen Wähler der CDU?

In den Sondierungen lieferte Wegner sein Meisterstück

Sein Meisterstück lieferte der Mann, der morgens mit dem Fahrrad seinen Labrador Casper über Spandaus Rieselfelder ausführt, in den Sondierungsverhandlungen. Als „einsamen Kai“ verspotteten ihn Sozialdemokraten in der Erwartung, Wegner werde keine Bündnispartner finden. Am Ende hatte er nach geschmeidiger Gesprächsführung gleich zwei zur Auswahl, die SPD und die Grünen. In eine so komfortable Situation hatte sich nicht einmal sein Idol, der letzte CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen, gebracht.

Dass sich Wegner für die SPD und gegen die spannenderer Geschichte einer schwarz-grünen Koalition entschied, zeigt seinen Pragmatismus. Nur dreieinhalb Jahre sind es bis zur nächsten regulären Wahl. Da scheint es einfacher, mit den Sozialdemokraten die vielen Probleme der Stadt anzugehen und 2026 den Vorsprung auszubauen. Sollte das gelingen, wäre Wegner auch ein gewichtiger Faktor in der Bundespolitik. Für CDU-Chef Friedrich Merz ist wichtig zu beweisen, dass seine Partei „auch Großstadt kann“, wie er im Wahlkampf sagte.

Wegner: Zwischen konservativem Hardliner und sozialem Volksversteher

Inhaltlich ist der designierte Hauptstadt-Bürgermeister schwer zu fassen. Merz´ Generalsekretär Mario Czaja, ein Berliner aus dem Ostteil der Stadt, warf ihm vor zwei Jahren einen „riskanten Rechtskurs“ vor und rückte Wegner in die Nähe von CDU-Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen. Gleichwohl bemühte sich der gebürtige West-Berliner Wegner, die etwas piefige Berliner Union zu einer modernen Großstadt-Partei umzumodeln, die auch etwas für Radfahrer, Start-Up-Unternehmer aus Mitte und ein ordentliches Klimaschutzkonzept im Angebot hat. Dass diese Aspekte im Wahlkampf keine Rolle spielten, ist Wegners Instinkt und Siegeswillen geschuldet.

Künftig wird es Wegners Aufgabe sein, die aufgerissenen Gräben in der Stadt wieder zuzuschütten. Als die CDU nach den Silvester-Krawallen in Neukölln die Vornamen der mutmaßlichen Täter erfragte, um den hohen Anteil von Migranten nachzuweisen, reagierte die SPD empört. In den Sondierungen bekannte sich Wegner dann allerdings zur „Stadt der Vielfalt“ und dem Ziel, mehr Ausländer einzubürgern. Sogar für die 2021 per Volksentscheid geforderte Enteignung großer Wohnungsunternehmen wird Wegner die Hand heben müssen. Allerdings haben sich die künftigen Partner nur auf ein „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ verständigt. Dieses wird nach Lesart der CDU auf jeden Fall vom Verfassungsgericht einkassiert, so dass Wegner seinen Schwur halten kann, dass es mit ihm keine Enteignungen geben werde.

Kai Wegner (l, CDU) und Franziska Giffey (r, SPD) streben eine Koalition ihrer Parteien an.
Kai Wegner (l, CDU) und Franziska Giffey (r, SPD) streben eine Koalition ihrer Parteien an. © dpa | Annette Riedl

Wegner ist Hertha-Fan – trotz chronischer Erfolglosigkeit

Das Changieren zwischen konservativem Hardliner und sozialem Volksversteher hat Wegner in den 1990er Jahren als Landesvorsitzender der Jungen Union vom damaligen CDU-Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky gelernt, der seinerzeit Diepgen den Rücken frei hielt. Nur die Älteren erinnern sich, dass der junge Spandauer seinen Förderer noch immer verteidigte, nachdem bei diesem schon Koffer voller Bargeld als illegale Parteispenden gefunden worden waren.

Aber Wegner ist ein umgänglicher Mensch und ein flexibler Charakter. Mit dem Grünen-Fraktionschef Werner Graf knüpfte er über die gemeinsame Anhängerschaft zum Fußball-Bundesligisten Hertha BSC zarte Bande. Unterschätzen wird Wegner so schnell niemand mehr. Das will schon was heißen in einer Partei, die noch 2021 ernsthaft erwog, statt des Ur-Berliners Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn ins Rennen ums Rote Rathaus zu schicken.