Stade. Eigentlich wollten sie in Stade erst 2027 Flüssiggas importieren. Doch dann kam der Krieg – und Jörg Schmitz muss jetzt Tempo machen.

Gemächlich schiebt die „Toronto Express“ ihren 294-Meter-Rumpf die Elbe hinauf, Hamburg entgegen. „Ungefähr so lang“, sagt Jörg Schmitz und zeigt auf das Containerschiff, „sind die LNG-Schiffe.“ Die, die bald hier ankommen sollen.

Schmitz, in Hemd und Neon-Sicherheitsjacke, steht auf dem Deck des Schleppers „Bützfleth“, der sich zierlich ausnimmt gegen die „Toronto Express“. Hinter Schmitz, am westlichen Elbe-Ufer, liegt der Industriepark Stade. Noch dahinter ist das Atomkraftwerk zu sehen, das 2003 stillgelegt wurde. Die Vergangenheit der Energieversorgung der Region. Im Vordergrund arbeiten sie währenddessen an der Version für die Zukunft.

Dort entsteht gerade der 650 Meter lange Anleger, wo schon in wenigen Monaten weiteres Flüssiggas in Deutschland ankommen soll. Nach Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Lubmin soll ab Jahresende auch in Stade, nördlich von Hamburg, ein schwimmendes LNG-Terminal den Betrieb aufnehmen. Ein „termingetriebenes Projekt“ sei das, sagt Projektleiter Schmitz, was so viel heißt wie: Es muss jetzt alles verdammt schnell gehen.

Es muss jetzt schnell gehen:_Jörg Schmitz sorgt dafür, dass in Stade schon Ende des Jahres LNG ankommt.
Es muss jetzt schnell gehen:_Jörg Schmitz sorgt dafür, dass in Stade schon Ende des Jahres LNG ankommt. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES | Thorsten Ahlf

Energie: Geplant war in Stade vieles anders – doch dann kam der Angriff auf die Ukraine

Der Anleger, an dem bald das LNG-Terminal-Schiff „Transgas Force“ liegen soll, hätte eigentlich erst 2026 fertig sein sollen. Und ein schwimmendes Terminal war ursprünglich in Stade gar nicht geplant. Stattdessen wollte man den dortigen Industriepark ergänzen um ein an Land installiertes Importterminal für Energie. Das Projekt, das 2017 begann, war vor allem ein wirtschaftliches, betrieben von mehreren Unternehmen, die eine Alternative aufbauen wollten zu Pipeline-Gas aus Russland.

Doch dann kam der russische Angriff auf die Ukraine und Importmöglichkeiten für LNG wurden von einer Ergänzung zu den Pipelines aus dem Osten plötzlich zu einer wichtigen Lebensader. Und Jörg Schmitz, der bis dahin nur einen Teil seiner Zeit mit dem Projekt verbracht hatte, macht seitdem nichts anderes mehr, als dafür zu sorgen, dass an der Unterelbe bald Gastanker landen können.

Seit Beginn des Jahres sind in Deutschland mehrere schwimmende LNG-Terminals in Betrieb gegangen.
Seit Beginn des Jahres sind in Deutschland mehrere schwimmende LNG-Terminals in Betrieb gegangen. © funkegrafik nrw | Marc Büttner

Der Druck ist hoch. Doch der 49-jährige Hamburger, der Chemieingenieurwesen studiert hat, spricht mit hörbarer Begeisterung über seine Aufgabe. „Projekte, die so eine Bedeutung haben, hat man nicht oft“, sagt er. „Es geht ja nicht nur darum, in diesem Winter mit dem schwimmenden Terminal dafür zu sorgen, dass wir alle nicht frieren.“ Das feste Terminal solle vor allem eine Perspektive für die Versorgung und Transformation der energieintensiven Industrie liefern. „Das macht es interessant.“

Ab dem Winter, wenn die schwimmende Regasifizierungs-Einheit (FSRU), wie das Terminal-Schiff offiziell heißt, ihren Betrieb aufnimmt, rechnen sie hier mit einem LNG-Tanker pro Woche, der die Elbe herunterkommen soll. Fünf Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr sollen so importiert werden. Zum Vergleich: Durch Nordstream I flossen 2021 noch rund 60 Milliarden Kubikmeter.

Das feste Terminal soll die Abwärme des Industrieparks nutzen und erneuerbaren Strom

Lange soll die FSRU aber nicht bleiben. Läuft alles nach Plan, wird schon Anfang 2027 über das fest installierte Terminal an Land Flüssiggas entladen werden, und die FSRU damit überflüssig sein. Statt einem Tanker pro Woche sollen dann im Schnitt zweieinhalb kommen, statt fünf Milliarden Milliarden Kubikmeter Gas sollen es bis zu 13 Milliarden Kubikmeter sein. Um all das lagern zu können, entstehen in Stade neben Anleger, Ladearmen und Pipelineanbindung auch zwei riesige Tanks – 60 Meter hoch, 90 Meter breit.

Schon in wenigen Monaten soll das LNG-Terminal in Stade fertig sein.
Schon in wenigen Monaten soll das LNG-Terminal in Stade fertig sein. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES | Thorsten Ahlf

„Die FSRUs sind energetisch nicht optimal“, sagt Schmitz. Denn die Schiffe nutzen das Wasser der Elbe, um das Gas, das verflüssigt mit minus 160 Grad Celsius in Stade ankommt, aufzuwärmen und wieder in einen gasförmigen Zustand zu bringen, damit es in das Gasnetz eingespeist werden kann. Einen großen Teil des Jahres ist das Flusswasser warm genug dafür, doch im Herbst und Winter muss es zusätzlich erwärmt werden – durch das Verbrennen von Gas. „Das sind etwa zwei Prozent des Gasdurchsatzes im Jahr“, die dafür verbraucht würden, sagt Schmitz.

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Beim festen Terminal soll das anders werden. Dann soll die Abwärme, die der Industriepark ohnehin produziert, genutzt werden, um das Gas zu erwärmen und wieder in seinen gasförmigen Zustand zu versetzen. Derzeit wird Wasser aus der Elbe entnommen, um den Park zu kühlen, und dann wärmer wieder in den Fluss geleitet. „In Zukunft wird es weitergeleitet ins LNG-Terminal, wird da als Wärmeträger genutzt und kommt dann wieder in die Elbe zurück, etwa so kalt wie es ursprünglich war“, sagt Schmitz.

Weil das feste Terminal außerdem nur erneuerbaren Strom nutzen soll, sprechen sie beim Betreiberkonsortium Hanseatic Energy Hub von einem „Zero-Emissions-Terminal“, also einem, das im Betrieb keine Emissionen verursacht.

Umweltschützer kritisieren „massive Überkapazitäten“

Von klimafreundlich könne trotzdem keine Rede sein, finden Umweltschützer. „Das ist eine massive Schaffung von Überkapazitäten“, sagt Milena Pressentin von der Deutschen Umwelthilfe. „Wir schaffen 2023 neue fossile Infrastruktur, die wir für lange Zeit haben werden. Das passt nicht zu den Klimazielen.“ Die Umwelt-Organisation ist deshalb gegen das Terminal. Anwohner hatten im Rahmen des Genehmigungsprozesses zudem Einwände wegen Sorgen vor Lärm und einer Belastung der Natur eingebracht. Ein Termin im Juli, bei dem diese hätten erörtert werden sollen, hatte das Gewerbeaufsichtsamt Lüneburg allerdings abgesagt. Aus Sicht der Umwelthilfe unterstreicht das den Eindruck, dass mit dem hohen Tempo von LNG-Projekten seit vergangenem Jahr die Beteiligung der Zivilgesellschaft Schaden nimmt.

Das mit der langfristigen fossilen Infrastruktur will Jörg Schmitz nicht gelten lassen. „Wenn wir ein Terminal bauen würden, dass man nur mit LNG nutzen kann, würden wir etwas falsch machen“, sagt er. „Aber das tun wir ja eben nicht. Wir bauen ein Energie-Importterminal. Wir glauben fest daran, dass Deutschland weiter Energie importieren muss.“

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Perspektivisch, wenn der deutsche Gasverbrauch sinkt, soll hier auch Ammoniak ankommen, hergestellt aus grünem Wasserstoff. Wann es soweit sein wird, ist allerdings noch offen. Noch gibt es in Deutschland keinen funktionierenden Markt für grünen Wasserstoff, viele Unternehmen sind aktuell erst einmal damit beschäftigt herauszufinden, wie und ob sie Wasserstoff und Ammoniak nutzen können, um ihre Prozesse klimaneutral zu machen.

„Vermutlich werden ab Anfang der 30er größere Mengen Ammoniak im Markt sein, aber wann das der überwiegende Teil wird und dies die großen Tanks füllt, lässt sich nicht absehen“, sagt Johann Killinger, Geschäftsführer der Hanseatic Energy Hub, die hinter den Terminal-Plänen steht. Man habe sich dafür jedenfalls „zukunftsflexibel“ aufgestellt. Den Hochlauf, also die Entwicklung des Marktes, könne man zeitnah mit kleinen Ammoniak-Tanks begleiten „und später, wenn signifikante Mengen zur Verfügung stehen, die großen Tanks umstellen“.

Fürs Erste aber kommen Schiffe, die Gas bringen, ab Ende des Jahres auch nach Stade. Jörg Schmitz ist da zuversichtlich.