Ingolstadt/Augsburg. Klimaschutz? Wirtschaft! Grünen-Chefin Ricarda Lang will ihre Partei aus dem Umfragetief holen. Doch dafür muss sie sie neu erfinden.

Uwe Lauber braucht Strom, und zwar grünen Strom. „Macht’s endlich mal den Aufbau der grünen Energieversorgung“, sagt der Vorstandsvorsitzende von MAN Energy Solutions mit Nachdruck. Es klingt fast ein bisschen flehentlich. „Wir brauchen das.“

450 bis 500 Millionen Euro will das Unternehmen in den kommenden Jahren investieren in jene Sparte, die Elektrolyseure für die Produktion von Wasserstoff baut. Es ist ein wichtiger Teil des Portfolios, mit dem das Unternehmen, das sein Geld derzeit unter anderem mit Schiffsmotoren verdient, in die Zukunft gehen will. Nur: Damit der Wasserstoff grün ist, muss es auch der verwendete Strom sein. Der aber fehlt bislang.

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Die Adressatin seines Appells muss Lauber nicht überzeugen. Grünen-Chefin Ricarda Lang, die an diesem Tag im Hauptquartier von MAN Energy Solutions in Augsburg zu Besuch ist, hört zu und nickt. Sie ist in dieser Woche, kurz bevor der parlamentarische Betrieb wieder losgeht, auf Sommertour – unterwegs in doppelter Mission: Sie will herausfinden, wie man die Wirtschaft in Deutschland wieder nach vorn bringt. Und ob damit nicht auch den Grünen geholfen werden kann.

Weder der deutschen Wirtschaft noch den Grünen geht es im Moment gut

Denn beide, die deutsche Wirtschaft und Langs Partei, kommen aus diesem Sommer mit Zahlen, die ihnen nicht gefallen können. Die Wirtschaft ist drei Quartale in Folge lang nicht gewachsen, die Stimmung ist im Keller. Die Opposition und manche Firmenchefs warnen laut vor einer Deindustrialisierung. Auch bei Unternehmerinnen und Unternehmern, die schrille Töne vermeiden, ist die Besorgnis über die Zukunftsfähigkeit des Standorts deutlich zu hören.

Und die Grünen scheinen zwar ausweislich in den Umfragen mit Werten von 14 bis 15 Prozent einen Beliebtheitssockel gefunden zu haben – sie stehen in etwa dort, wo sie zur Bundeswahl standen. Zufrieden sein kann die Partei damit allerdings nicht. Denn eigentlich lagen sie ja schon einmal zehn Prozentpunkte darüber. Und mit Bayern, Hessen und der Europawahl im Frühjahr stehen wichtige Wahlen an. Die Debatte um das Heizungsgesetz hat die Partei viel guten Willen gekostet.

Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang stellt auf ihrer Sommerreise die Wirtschaft in den Mittelpunkt.
Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang stellt auf ihrer Sommerreise die Wirtschaft in den Mittelpunkt. © dpa | Patrick Pleul

Lang, die Anfang 2023 noch das „Jahr des Klimaschutzes“ ausgerufen hatte, redet deshalb jetzt weniger über Emissionen, und mehr über die Wirtschaft. Sie fährt in die Lausitz, wo die Leag Kohlestrom produziert, um über Jobsicherheit und Energiesicherheit zu reden – und nur auf Nachfrage über den Kohleausstieg 2030. Sie fährt zu MAN, einem Unternehmen, das mit Maschinenbau und Dieselmotoren groß geworden ist, und spricht mit ehrlich klingender Begeisterung über die Potenziale der deutschen Industrie.

Eine Auswahl der Fotos, die von der Reise auf Instagram gepostet werden: Lang in Warnweste und Helm, Lang in Werkstätten, Lang in einer Halbleiterfabrik. Es ist der Versuch, eine neue Erzählung aufzubauen. Von Klimaschutz als etwas, das Unternehmen und Arbeitsplätze schützt und stärkt. Und von den Grünen als einer Wirtschafts- statt einer Verbotspartei – jener Ecke also, in der sie zuletzt wieder standen.

Lang versucht Image-Wende: von Verbots- zur Wirtschaftspartei

Die Inspiration dafür kommt aus den USA. Im Juni hatte das Lang das Land zum ersten Mal besucht, traf sich mit Gewerkschafterinnen, Politikern, Aktivisten. Und sie informierte sich über den Inflation Reduction Act, dem hunderte Milliarden Dollar schweren Subventionsprogramm für die heimische Industrie und Klimaschutz, das Joe Biden dort auf den Weg gebracht hat. Menschen wie Uwe Lauber blicken darauf durchaus mit Neid. Denn seit dem IRA „brummt’s“ in den USA, wie er sagt.

Ricarda Lang (l), Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, besuchte auch die Ausbildungswerkstatt der LEAG Energie Bergbau AG in Cottbus.
Ricarda Lang (l), Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, besuchte auch die Ausbildungswerkstatt der LEAG Energie Bergbau AG in Cottbus. © dpa | Patrick Pleul

Auch deswegen wirbt Lang in den vergangenen Wochen immer wieder für einen Industriestrompreis, der der energieintensiven Industrie in Deutschland eine Brücke bauen soll ins CO2-neutrale Zeitalter. Auf ihrer Seite weiß sie Robert Habeck, der den Preis im Frühjahr vorgeschlagen hatte, die SPD-Fraktion, die Industrie sowieso. Skeptisch dagegen bleiben der Finanzminister – und Bundeskanzler Olaf Scholz. Und tatsächlich: Der Beweis, dass dieser Ansatz funktioniert, steht noch aus, in den USA ebenso wie in Deutschland.

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Einen Abend vorher, in einer Kneipe in Ingolstadt. Der Gastraum, in dem die örtlichen Grünen zum Bürgerdialog mit Lang eingeladen haben, ist voll besetzt, durch die offenen Fenster drückt die Hitze des Tages hinein. Die Flyer des Landtagskandidaten finden an vielen Tischen Verwendung als Fächer. Auf der Bühne steht Lang und schwitzt.

Wirtschaftliche Sorgen als Nährboden für Rechtsaußen

Sie spricht über Bürokratie und über Fachkräfte an diesem Abend, über gut bezahlte Jobs und über das „Herzensprojekt“ Kindergrundsicherung. Beantwortet Fragen zum 49-Euro-Ticket, zum Selbstbestimmungsgesetz, eine Besucherin ärgert sich, dass ihr Antrag auf Förderung einer Wärmepumpe abgelehnt wurde. Mehrere kritisieren die Corona-Politik. Und einer fragt, was denn die Strategie sein soll, rechten Populismus in Deutschland zu bekämpfen.

Sie sei weit entfernt von der „platten These“, dass Menschen mit wenig Geld rechte Parteien wählen, sagt die Grünen-Chefin. Aber man sehe, nicht nur in Deutschland, „dass dort, wo Menschen wirtschaftliche oder soziale Sorgen haben, Nährboden entsteht für diejenigen, die die einfachen Antworten bieten“.

Der falsche Widerspruch zwischen Klimaschutz und Wohlstand habe nichts mit der Realität zu tun, sagt sie. Erneuerbare Energien seien zum Standortvorteil geworden, weltweit würde man ein „race to the top“ erleben, also ein Wettrennen um die besten Technologien, um die Industrien der Zukunft. „Wohlstand wird es in Zukunft nur mit Klimaschutz geben“, sagt die Grünen-Chefin.

„Lüge!“ antwortet ein Besucher aus der Ecke des Raumes. Die Mehrheit der Zuhörenden klatscht.