Sewastopol/Moskau. Russland vermeldet Erfolge im Krieg gegen die Ukraine. Doch der Rückhalt in der Bevölkerung für Putins Kurs schwindet zusehends.

Ortstermin in der Hafenstadt Sewastopol auf der annektierten Halbinsel Krim. Hier ist die russische Schwarzmeerflotte stationiert. In den Buchten von Sewastopol kann man die grauen Kriegsschiffe sehen. Fotografieren allerdings ist streng verboten. Vor allem der September und Oktober im letzten Jahr seien schlimm gewesen, erzählt Irina, eine Bewohnerin der Stadt. „Es gab sehr viel Luftalarm“. Irina war gerade in der Stadt unterwegs, als Ende September vermutlich eine Storm-Shadow-Rakete britischer Bauart das Hauptquartier der Schwarzmeerflotte traf. „Es gab einen Riesenknall“, erzählt Irina und deutet auf das zerstörte Gebäude.

Immer wieder gelingen der ukrainischen Armee Angriffe auf die Schwarzmeerflotte. Zumeist mit Seedrohnen, kleinen, mit Sprengstoff bestückten und ferngesteuerten Boote oder mit Marschflugkörpern. In den Grenzregionen zur Ukraine werden russische Städte beschossen. Zwei Jahre Krieg, offiziell nach wie vor „Spezialoperation“ genannt – die Kämpfe haben auch die Grenzgebiete Russlands erreicht. Viele Russinnen und Russen sind inzwischen kriegsmüde – trotz jüngster russischer Erfolgsmeldungen von der Front.

Die russische Schwarzmeerflotte in Sewastopol wird immer wieder Ziel ukrainischer Angriffe. (Archivfoto)
Die russische Schwarzmeerflotte in Sewastopol wird immer wieder Ziel ukrainischer Angriffe. (Archivfoto) © DPA Images | Ulf Mauder

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Ukraine-Krieg: Darum ist Russlands Armee so gut ausgerüstet

Jetzt war der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow auf Truppenbesuch vor Ort, das berichten staatliche Medien. Er verlieh Orden an Soldaten, die an der Einnahme des Orts Awdijiwka beteiligt gewesen seien. Awdijiwka wurde zum Symbol: Die ukrainische Armee ist in der Defensive, es fehlt an Munition und an Soldaten. Von beidem hat Russland reichlich. Rund 500.000 neue Vertragssoldaten hat das russische Militär rekrutiert. Dank der Deals mit Nordkorea und dem Iran hat man genügend Munition. Die russische Rüstungsindustrie läuft auf Hochtouren, sanktionierte Mikrochips für Hightech-Waffen werden über Drittländer geliefert.

Zwei Jahre Ukraine-Krieg und kein Ende in Sicht

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    Die Organisation Conflict Armament Research mit Sitz in London, teilweise von der EU finanziert, untersucht Waffensysteme in Kriegsgebieten hinsichtlich der Lieferketten, mit deren Hilfe sie hergestellt wurden. Ihre Erkenntnis: An Russland gelieferte Raketen aus Nordkorea sind mit etlichen Bauteilen aus westlichen Ländern konstruiert worden. Das ergab die Analyse der Trümmer einer in der ukrainischen Stadt Charkiw niedergegangenen ballistischen Rakete aus nordkoreanischer Produktion. Demnach waren in der Rakete 290 elektronische Teile verbaut, die nicht aus dem ostasiatischen Land stammen.

    Ukraine-Krieg: Putin gibt klare Ziele vor

    Wann wird es Frieden geben? „Es wird Frieden geben, wenn wir unsere Ziele erreichen. Sie ändern sich nicht. Ich erinnere Sie an das, worüber wir gesprochen haben – die Entnazifizierung und Entmilitarisierung der Ukraine, ihren neutralen Status“, antwortete Russlands Präsident Wladimir Putin im Dezember auf eine entsprechende Journalistenfrage. Man sei durchaus bereit, mit den USA, Europa und der über deren Zukunft zu sprechen, sagte Präsident Putin bei einem Treffen mit der russischen Militärführung. „Aber wir werden es auf Grundlage unserer nationalen Interessen tun.“ Und: „Wir werden nicht aufgeben, was unser ist.“

    Russland-Reportagen von Jan Jessen

    Gemeint sind die von Russland besetzten Gebiete im Nachbarland. Die sogenannte Militäroperation begann gegen die Ukraine und nahm später „die Form eines Krieges gegen den kollektiven Westen“ an, sodass sie länger dauern könnte als geplant, zitiert die Zeitung „RBC“ Kremlsprecher Dmitri Peskow. Er fügte hinzu, dass es dadurch „möglicherweise etwas länger dauern“ werde, aber „den Lauf der Dinge nicht ändern“ werde.

    Russland: Wie lange stehen die Russen noch hinter Putin?

    Doch nicht nur im Westen, auch in Russland macht sich Kriegsmüdigkeit breit. Zwar glauben 56 Prozent der Menschen im Land, die „militärische Sonderoperation“ verlaufe für die russische Armee erfolgreich, so eine Meinungsumfrage vom vergangenen Oktober. Allerdings sind die Zahlen rückläufig. Im Juni 2023 waren es noch 58 Prozent. Und zunehmend gibt es Proteste im Land. „Bringt unsere Angehörigen zurück!“, lautet die Forderung von Soldatenmüttern und -ehefrauen. Sie legen immer wieder Blumen am Grab des unbekannten Soldaten in Moskau nieder, die Polizei versucht, das zu verhindern.

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    Ein entsprechender Telegram-Kanal, der Angehörige eingezogener Menschen vereint, die die Rückkehr ihrer Lieben fordern, wurde am 20. August 2023 gegründet und hat mittlerweile etwa 71.000 Abonnenten. Seit Anfang November führt der Kanal eine Liste mit etwa 30 regionalen Chats. Im November veröffentlichte man dort ein entsprechendes Manifest: „Wir erzwingen keine politischen Entscheidungen hinsichtlich der Macht oder Haltung gegenüber dem bewaffneten Konflikt in der Ukraine. Jeder hat das Recht, selbst zu entscheiden. Wir werden jedoch denjenigen unterstützen, der uns unsere Männer zurückgibt“, so die Autoren.

    Ukraine-Krieg: Auch Russlands Soldaten leiden

    Zum zunehmenden Problem im Land werden auch die vielen Kriegsversehrten, die auf Unterstützung warten. Und gleichzeitig mit den psychischen Folgen der Kampfeinsätze zurechtkommen müssen. Von dem Leid und den Problemen der russischen Kriegsveteranen soll die breite Öffentlichkeit möglichst wenig erfahren.

    Posttraumatische Belastungsstörungen seien aber an der Tagesordnung, weiß die Psychologin Tatjana Kowalenko. „Schlafstörungen, Essstörungen, unerklärliche Aggression oder Gleichgültigkeit gegenüber Familie, Arbeit, Rückzug, Sinnlosigkeit im Leben, Alkoholsucht.“ Es komme sogar vor, sagt die Psychologin, „dass Veteranen darauf fixiert sind, mit ihren Kameraden an die Front zurückkehren zu wollen“.