Berlin. Tausende Landwirte haben Berlin lahmgelegt. Sie können es nicht allein besser machen: Wenn sich etwas ändern soll, müssen alle ran.

Es ist kommunikationstechnisch ein herausforderndes Unterfangen, gegen ein Programm für Insektenschutz und Maßnahmen für sauberes Wasser zu demonstrieren und trotzdem auszusehen wie die Guten. Tausende deutsche Bauern versuchen es in diesen Tagen trotzdem – weil sie Wut im Bauch haben und keine andere Option sehen.

Sie fühlen sich gegängelt, ungerecht behandelt und zum Prügelknaben der Nation gemacht.

Tatsächlich werden die Bauern derzeit sehr kritisch betrachtet: Denn die intensive konventionelle Landwirtschaft, wie sie in Deutschland von den allermeisten Bauern betrieben wird, hat negative Folgen für die Umwelt, für das Klima und nicht zuletzt für die Tiere, auf deren Lebensbedingungen sich der Kostendruck auf die Landwirte sehr direkt auswirkt.

Dieser Druck ist nicht unerheblich: Lebensmittel sind in Deutschland deutlich billiger als in vielen Nachbarländern, dazu klagen die Landwirte – nicht erst seit den Protesten – über lähmende Bürokratie. Viele geben deshalb auf: Die Zahl der Agrarbetriebe in Deutschland sinkt seit Langem, Tausende Höfe fallen in jedem Jahr weg. Diejenigen, die überleben, werden dabei immer größer. Mit jeder Anforderung, die hinzukommt, die Geld und Aufwand kostet, ist damit zu rechnen, dass sich dieser Trend eher noch verstärkt.

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    Die Bauern provozieren Widerspruch

    Dass die Bauern sauer sind, hat also gute Gründe. Es hat aber auch mindestens einen Grund, der vermeidbar gewesen wäre. Denn dass so viele Landwirte von den derzeitigen Erwartungen an sie geradezu überrumpelt wirken, ist auch selbst verschuldet.

    Wenn sich etwas ändern soll, müssen alle ran, kommentiert Theresa Martus.
    Wenn sich etwas ändern soll, müssen alle ran, kommentiert Theresa Martus. © Reto Klar

    Beispiel Düngeverordnung: Die EU-Kommission moniert seit Jahren, dass in Deutschland zu viel Nitrat im Grundwasser ist. Dass die Bundesregierung das nicht einfach ignorieren kann, hätte den Bauern klar sein müssen. Oder die Ferkelkastration: Kurz bevor nicht mehr erlaubt sein sollte, männliche Ferkel ohne Betäubung zu kastrieren, schlugen die Bauern Alarm – darauf seien sie nicht vorbereitet. Und das, obwohl sie zuvor fünf Jahre Zeit hatten, sich genau darauf einzustellen.

    Die Beispiele zeigen: Die Bauern haben sich lange darauf verlassen, dass die Union viele ihrer Probleme aus dem Weg räumen würde, häufig zurecht. Deshalb hat es einen schalen Beigeschmack, wenn die Landwirte auf Dialog und Freiwilligkeit pochen – Jahre nachdem sich längst etwas hätte ändern müssen. Die Wahrheit ist: Überlässt man besseren Tierschutz, klimafreundlicheren Anbau und Insektenschutz vollständig der Freiwilligkeit, wird ein Teil der Landwirte mitziehen – aber ein anderer eben nicht.

    Es geht um Grundwasser, Klima und Insekten

    Was nicht verhandelbar ist – zum Beispiel die EU-Grenzwerte für Nitrat –, das muss durchgesetzt werden. Bei allem anderen müssen diejenigen Farbe bekennen, die es fordern – die Verbraucher. Die Umfragen sagen, dass die Mehrheit der Deutschen bessere Lebensbedingungen für Tiere will und auch mehr Insektenschutz. Aber an der Supermarktkasse, also dort, wo es darauf ankommt, entscheiden die allermeisten immer noch nach dem Preis.

    Der Marktanteil von Biokäse lag 2018 bei etwa zweieinhalb Prozent, bei Fleisch sah es ähnlich aus. Dass aber Landwirte zu besseren Bedingungen produzieren, wenn am Ende fast keiner da ist, der die entsprechenden Preise zahlen will, kann man nicht erwarten.

    Umgekehrt können auch die Bauern nicht ernsthaft damit rechnen, dass die Gesellschaft ihre (ohnehin nicht sehr hohen) Ansprüche in der Tierhaltung und im Umwelt- und Klimaschutz nach unten schraubt. Zumal es ja auch um ihr Grundwasser geht, um ihr Klima und ihre Insekten.