Berlin. In der Debatte um eine „erweiterte Toleranz“ nach rechts hat der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow eine sehr klare Haltung.

Joachim Gauck ist niemand, der die Kontroverse scheut. Das hat der Altbundespräsident immer wieder bewiesen. Jüngstes Beispiel: Im Gespräch mit dem „Spiegel“ fordert Gauck eine „erweiterte Toleranz in Richtung rechts“. Es werde immer Menschen geben, für die Sicherheit und gesellschaftliche Konformität wichtiger sind als Freiheit, Offenheit und Pluralität. CDU und CSU müssten für diese Menschen wieder eine politische Heimat werden, erklärte Gauck.

Man dürfe nicht „jeden, der schwer konservativ ist“ für eine Gefahr für die Demokratie halten. Er halte es deshalb für einen „problematischen“ Weg, jeden Kandidaten der AfD für das Amt des Bundestagsvizepräsidenten abzulehnen.

In Dresden schließen nicht alle eine Koalition mit der AfD aus

Gleichzeitig, auch das betonte Gauck, müsse die Gesellschaft „lernen, mutiger intolerant zu sein“. Es sei Schluss mit Nachsicht, wenn Menschen diskriminiert oder Recht und Gesetz missachtet werden. Der brandenburgische CDU-Chef Ingo Senftleben begrüßte die Worte. Gauck spreche aus, was viele Bürger denken.

„Die meisten haben es satt, abgestempelt und in eine Ecke gestellt zu werden, nur weil sie eine Meinung äußern“, sagte Senftleben unserer Redaktion. Zwar sei es wichtig, klare Kante gegen Extremisten aller Couleur zu zeigen. „Es ist aber auch wichtig, nicht jede Position, die man selber nicht teilt, als extrem abzutun.“ Konservativ zu sein, sei nichts Schlechtes, sagte Senftleben. „Die Liebe zur Heimat ist doch zum Beispiel etwas Positives.“ Senftleben riet zu mehr Gelassenheit in der Debatte – das Land überhitze gerade in politischen Diskussionen.

Mit den Äußerungen hat Gauck eine schwelende Debatte neu angefacht: Was heißt eigentlich rechts? Wo hört „schwer konservativ“ auf und beginnt rechtsradikal? Vor allem für die CDU geht es dabei nicht nur um theoretische Definitionen. Vor den Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern im Herbst steht die Frage nach Koalitionspartnern im Raum.

Kretschmer versucht mit aller Kraft Stimmen von AfD zurückzuholen

Die CDU-Führung unter der Vorsitzenden Annegret Kram-Karrenbauer hatte eine Koalition von CDU und AfD wiederholt kategorisch ausgeschlossen. Auch das Präsidium ist strikt dagegen. In Brandenburg ist die AfD laut der aktuellsten Umfrage stärkste Kraft. Eine Koalition schloss Senftleben bereits mehrmals aus. Reden will er aber mit allen gewählten Parteien.

Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen.
Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen. © dpa | Hendrik Schmidt

In Sachsen liegt die AfD derzeit gleichauf mit der Partei von CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer. Auch dieser sprang Gauck zur Seite: „Ein gesunder Patriotismus, Heimatliebe oder das bewusste Leben von Werten ist wichtig für unser Land. All das ist weder verstaubt noch verdächtig – es ist menschlich“, schrieb Kretschmer auf Twitter. Er kämpft mit aller Kraft darum, Stimmen von der AfD zurückzuholen. Zusammenarbeiten will er mit der Partei auf keinen Fall. Doch aus der Dresdener Landtagsfraktion sind vereinzelt Stimmen zu hören, die ein Bündnis nicht mehr ausschließen wollen.

Eine klare Ansage gab es aus dem Bundestag. Uwe Schummer, Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe der Unionsfraktion, erklärte, dass er „konservativ“ nicht für die richtige Bezeichnung für die AfD halte. „Mein Problem mit der AfD liegt nicht darin, dass sie ,schwer konservativ‘ ist“, sagte Schummer.

Paul Ziemiak: Nie mit AfD kooperieren

„Sie ist im Kern völkisch-nationalistisch.“ Dass die CDU so öffentlich um eine Grenzziehung am rechten Rand der Partei ringt, hat auch mit Hans-Georg Maaßen zu tun. Der in Ungnade gefallene Ex-Verfassungsschutz-Chef, der 2018 unter anderem wegen seiner Äußerungen zu rechten Ausschreitungen in Chemnitz sein Amt räumen musste, hat erklärt, er halte ein Bündnis zwischen Union und AfD in Zukunft für denkbar: „Ich glaube, in der jetzigen Situation werden wir es auch ausschließen, dass es zu einer derartigen Koalition kommt.

Aber man weiß nie“, sagte Maaßen, der Mitglied der sogenannten Werte-Union ist, einer konservativen Gruppierung innerhalb der CDU. Ein Parteiamt hat er nicht.

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Der Gegenwind kam prompt. Ohne Maaßen beim Namen zu nennen, schrieb CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak auf Twitter: Man unterscheide in der CDU „zwischen konservativ & reaktionär“. Und: „Wir unterscheiden zwischen berechtigten Anliegen der Bürger und nationalistischer Propaganda.“ Deswegen werde die CDU „mit der AfD (und der Linkspartei) nie kooperieren“.

Zum Thema „erweiterte Toleranz“ meldete sich am Sonntag auch Bodo Ramelow (Linke) zu Wort. „Toleranz ist eine demokratische Tugend, die uns dazu verpflichtet, Positionen zu dulden, die wir gerade nicht teilen“, sagte der Thüringer Ministerpräsident unserer Redaktion.

Die Grenze sei aber erreicht, wenn eine Partei oder Teile von ihr „den‎ Grundkonsens unseres Zusammenlebens aufkündigen“ – etwa mit der Bezeichnung des Holocaust-Mahnmals als Zeichen der Schande. „Das ist in Thüringen bei der AfD von Herrn Höcke eindeutig der Fall.“ Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke hatte das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin 2017 als „Denkmal der Schande“ bezeichnet und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ gefordert.