Berlin/London/Brüssel. Brexit-Chaos: Wochen vor dem Ablauf der Frist für den EU-Austritt Großbritanniens weiß niemand, wie er ablaufen wird. Der Newsblog.

In wenigen Wochen soll Großbritannien die EU verlassen: Zumindest läuft dann die aktuelle Frist für den Brexit ab. Ob der EU-Austritt am 31. Oktober kommt – und wenn ja, in welcher Form – ist weiter völlig offen. Jetzt droht Schottland Premierminister Boris Johnson mit einer neuen Volksabstimmung.

Nicola Sturgeon, schottische Ministerpräsidentin, sagte am Mittwoch in Berlin, dass Schottland im Fall eines ungeregelten Brexit die Unabhängigkeit anstreben werde.

In London verhandelt derweil das oberste Gericht über die Zwangspause, die Johnson dem Parlament verordnet hat. Der Supreme Court muss entscheiden, ob er für den Streit um die Zwangspause zuständig ist – und falls ja, ob Johnson mit der Schließung des Unterhauses gegen die Verfassung verstoßen hat.

Die Entwicklungen der Brexit-Krise im Newsblog:

Brexit-Chaos in Großbritannien: Das Wichtigste in Kürze

  • Die Briten wollen aus der EU austreten. Nachdem der erste Termin geplatzt war, läuft die Frist für den Brexit am 31. Oktober ab
  • Das Abkommen, das Ex-Premier Theresa May mit der EU ausgehandelt hat, hat im Londoner Parlament keine Mehrheit gefunden
  • Die Mehrheit der Parlamentarier ist gegen einen No-Deal-Brexit, weil die wirtschaftlichen Folgen nicht absehbar sind
  • Das Unterhaus verabschiedete ein Gesetz, das Premier Johnson zwingen soll, die EU um eine Verlängerung der Brexit-Frist zu bitten, falls es bis 19. Oktober kein Abkommen gibt
  • Premier Johnson dagegen will den Brexit zum 31. Oktober auf jeden Fall, mit oder ohne Deal – und sagt, er werde nicht um eine Verlängerung bitten
  • Das Parlament ist bis Mitte Oktober in der von Johnson veranlassten Zwangspause
  • Am Montag verhandelte Johnson in Brüssel mit EU-Kommissionspräsident Junker – ohne Ergebnis

Mittwoch, 18 Oktober: EU-Parlament will sich zum geordneten Brexit bekennen

12.19 Uhr: Die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon hat im Falle eines ungeordneten Brexit ein neues Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands angekündigt. „Wir sollten dies dann 2020 ins Auge fassen“, sagte Sturgeon am Mittwoch in Berlin.

Schottlands Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon droht Premierminister Johnson mit einem Unabhängigkeits-Referendum.
Schottlands Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon droht Premierminister Johnson mit einem Unabhängigkeits-Referendum. © Reuters | Hannibal Hanschke

Sie riet der EU, einer erneuten Verlängerung des Brexit-Datums zuzustimmen, sollte Großbritannien dies beantragen. Premierminister Boris Johnson versuche verzweifelt, die EU zum Schuldigen für einen Austritt ohne Vertrag zu machen, begründete sie ihre Position. Die EU sollte deshalb alles tun, um diese Schuldzuweisung zu vermeiden.

Sturgeon verteidigte die Forderung nach einer zweiten Volksabstimmung in Schottland. Es sei demokratisch, wenn sich die Bevölkerung in einem zweiten Referendum unter geänderten Umständen für eine andere Mehrheit entscheiden könne, sagte sie mit Blick auf das erste Referendum, in dem sich eine Mehrheit gegen einen Austritt Schottlands aus dem Vereinigten Königreich ausgesprochen hatte.

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10.45 Uhr: Der Industrieverband BDI warnt vor den Folgen einer erneuten Brexit-Verschiebung. Eine mögliche Fristverlängerung vergrößere nur weiter die Unsicherheit für Unternehmen, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang am Mittwoch in Berlin.

Schon die erste Verschiebung des EU-Austrittsdatums von Ende März auf Ende Oktober habe die politischen Verhandlungen in keiner Weise vorangebracht. „Stattdessen haben viele Unternehmen, die sich auf den 29. März eingestellt hatten, hohen Aufwand betrieben und vom Ergebnis her unnötige Ausgaben getätigt. Gerade eine Last-Minute-Verschiebung ist besonders teuer.“

Ein harter Brexit könnte die deutsche Wirtschaft deutlich bremsen. Bislang rechnet der BDI für 2019 mit einem Wachstum von 0,5 Prozent – wesentlich weniger als 2018. Im Falle eines EU-Austritts ohne Abkommen drohe ein Wert nahe null, sagte Lang.

Brexit: Gefahr eines ungeordneten EU-Austritts laut Juncker „sehr real“

10.10 Uhr: Eine Einigung im Brexit-Streit mit Großbritannien ist aus Sicht von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sehr unsicher. „Das Risiko eines No-Deal bleibt sehr real“, sagte Juncker am Mittwoch im Europaparlament in Straßburg. Nach wie vor sei eine Vereinbarung mit London wünschenswert und auch möglich. „Ich bin nicht sicher, ob wir Erfolg haben werden, es bleibt wenig Zeit. Aber ich bin sicher, dass wir es versuchen müssen.“

Die entscheidende Frage sei immer noch, wie eine feste Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland vermieden werden könne. Und die EU warte immer noch auf konkrete Vorschläge aus London, wie die dafür vorgesehene Garantieklausel, der sogenannte Backstop, ersetzt werden könne. Was der Backstop ist und warum er für so viel Ärger sorgt, lesen Sie hier.

8.18 Uhr: Das EU-Parlament berät am Mittwoch über Auswege aus dem Brexit. In Straßburg wird EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker das Parlament über seine Gespräche mit dem britischen Premierminister Boris Johnson informieren. Das Treffen am Montag hatte keinen Durchbruch gebracht, Juncker wartet nach eigenen Angaben auf konkrete britische Vorschläge für einen Deal.

In einer Resolution wollen die Abgeordneten zudem die Position der EU bekräftigen. In dem Entwurf heißt es, dass ein „überwältigendes Interesse“ auf beiden Seiten bestehe, den Austritt der Briten aus der EU geordnet zu vollziehen. Das Papier bekennt sich zum ausgehandelten Abkommen, ein erneuter Aufschub des Austritts wäre für die Abgeordneten aber akzeptabel.

Laut der Resolution werde das EU-Parlament selbst erst abstimmen, wenn das britische Unterhaus eine Vereinbarung mit der EU gebilligt hat.

Dienstag, 17. Oktober: Supreme Court verhandelt über Parlaments-Zwangspause

20.38 Uhr: Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon ist in Potsdam für ihren Einsatz gegen den Brexit ausgezeichnet worden. Sturgeon nahm im Orangerieschloss im Park Sanssouci den M100 Media Award entgegen, den das Medienkolloquium M100 seit 2005 auf seiner jährlichen internationalen Medienkonferenz verleiht.

Sturgeon bekräftigte bei der Preisverleihung ihre Ablehnung des Brexits. „Wir haben nicht um ein Referendum gebeten, und als das Referendum dann kam, haben wir mit überwältigender Mehrheit für den Verbleib gestimmt“, sagte die Politikerin. Selbst wenn Schottland „gezwungen“ werde, die Europäische Union zu verlassen, werde ihr Land an den europäischen Werten festhalten.

Sowohl die Bürger als auch die Wirtschaft Schottlands würden von der Mitgliedschaft in der Union profitieren. Doch es gehe ihr nicht nur um die Vorteile Schottlands, sondern vor allem um die gemeinsamen Werte wie Freiheit, Pluralismus und Toleranz.

18.54 Uhr: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der britische Premierminister Boris Johnson haben in einem Telefonat den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union erörtert. Sie wollen ihren Austausch am Rande der UN-Vollversammlung in der kommenden Woche fortsetzen, wie Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin mitteilte.

Aus dem britischen Regierungssitz Downing Street hieß es, Johnson habe wiederholt, dass von britischer Seite mit „Energie und Zielstrebigkeit“ an einem Abkommen gearbeitet werde, das ohne die Garantieklausel für eine offene Grenze in Irland auskomme.

13.43 Uhr: Von Protesten begleitet hat am Dienstag vor dem obersten britischen Gericht die Anhörung zu der von Premierminister Boris Johnson auferlegten Zwangspause des Parlaments begonnen. Elf Richter des Supreme Court müssen entscheiden, ob das Gericht zuständig ist und falls sie diese Frage bejahen, ob Johnson mit der Schließung des Parlaments verfassungswidrig gehandelt hat. Der Rechtsstreit gilt als beispiellos in der britischen Verfassungsgeschichte.

Vor dem Supreme Court in London demonstrierten Briten am Dienstag – für und gegen den Brexit.
Vor dem Supreme Court in London demonstrierten Briten am Dienstag – für und gegen den Brexit. © Reuters | TOBY MELVILLE

Vor dem Gerichtsgebäude im Londoner Regierungsviertel in Westminster versammelten sich Demonstranten, darunter ein als grünes Muskelmonster Hulk verkleideter Rentner. Premier Johnson hatte kürzlich einen skurrilen Vergleich zwischen dem Comic-Helden und Großbritannien gezogen. „Hulk ist immer entkommen, egal wie eng gefesselt er war – und so ist das auch mit diesem Land.“ Der als Hulk verkleidete Rentner David sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wir müssen unsere Demokratie beschützen.“

11.54 Uhr: Eine Einigung im Brexit-Streit hängt seit Jahren vor allem am sogenannten Backstop. Was der Backstop ist, und wo das Problem liegt, lesen Sie hier.

7.02 Uhr: Knapp eineinhalb Monate vor dem geplanten Brexit wird Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon für ihren pro-europäischen Kurs ausgezeichnet. Die Erste Ministerin des britischen Landes erhält am Dienstag in Potsdam den M100 Media Award, den das Medienkolloquium M100 seit 2005 auf seiner jährlichen internationalen Medienkonferenz verleiht. Der M100-Beirat stelle sich damit „ausdrücklich hinter Nicola Sturgeons verantwortungsethisches Eintreten gegen einen Brexit“, teilte die Organisation mit.

Montag, 16. Oktober: Johnson macht laut Juncker keine Vorschläge für neuen Brexit-Deal

22.13 Uhr: Kein Durchbruch im Brexit-Streit, aber ein leises Hoffnungszeichen: Knapp sieben Wochen vor dem geplanten EU-Austritt Großbritanniens wollen London und Brüssel die bislang zähen Verhandlungen „mit Hochdruck“ intensivieren, um einen Chaos-Brexit vielleicht doch noch abzuwenden.

Premierminister Johnson und EU-Kommissionschef Juncker verabredeten bei einem Arbeitsessen in Luxemburg, die Unterhändler sollten sich jetzt täglich treffen – und auch die beiden Chefs wollen sich bald wiedersehen. Mehr zu einem möglichen neuen Brexit Deal und Boris Johnsons Zick-Zack-Kurs gibt es hier.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker empfing Boris Johnson in Brüssel.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker empfing Boris Johnson in Brüssel. © Getty Images | Pool

14.32: Das Treffen des britischen Premierministers Johnson mit EU-Kommissionschef Juncker hat am Montag zunächst keine greifbaren Ergebnisse gebracht. Juncker erklärte anschließend, es sei an Großbritannien, umsetzbare und mit dem bereits fertigen Austrittsabkommen vereinbarte Vorschläge zu unterbreiten. „Solche Vorschläge sind noch nicht gemacht worden“, fügte er hinzu.

Die EU-Kommission werde rund um die Uhr verfügbar bleiben, hieß es weiter. In dem Verfahren werde der EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober ein wichtiger Meilenstein. Die 27 bleibenden EU-Länder blieben geeint, betonte Juncker. Er werde dem Europaparlament am Mittwoch in Straßburg Bericht erstatten.

9.53 Uhr: Boris Johnson hält im Brexit-Streit eine Einigung mit der Europäischen Union bis zum EU-Gipfel Mitte Oktober noch für möglich. „Wenn wir in den nächsten Tagen genug Fortschritte erzielen, werde ich zu diesem entscheidenden Gipfel am 17. Oktober gehen und eine Vereinbarung abschließen, die die Interessen der Wirtschaft und der Bürger auf beiden Seiten des Ärmelkanals und auf beiden Seiten der Grenze in Irland schützt“, schrieb Johnson am Montag in der britischen Zeitung „Telegraph“.

Sonntag, 15. Oktober: Ex-Premier Cameron beschimpft Boris Johnson

14.43 Uhr: Ex-Premierminister David Cameron hat Boris Johnson als politischen Opportunisten und prinzipienlosen Populisten kritisiert. Sein Parteikollege habe sich vor dem Brexit-Referendum 2016 aus rein egoistischen Motiven als Verfechter eines britischen EU-Austritts inszeniert, heißt es in einem Auszug aus Camerons Memoiren, den die „Sunday Times“ vorab veröffentlichte.

Ex-Premier David Cameron initiierte das Brexit-Referendum – und trat zurück, nachdem die Mehrheit für einen EU-Austritt gestimmt hatte.
Ex-Premier David Cameron initiierte das Brexit-Referendum – und trat zurück, nachdem die Mehrheit für einen EU-Austritt gestimmt hatte. © dpa | Facundo Arrizabalaga

„Boris hat etwas unterstützt, an das er selbst nicht glaubte“, heißt es im Vorabdruck aus Camerons Memoiren mit dem Titel „For the Record“ (Fürs Protokoll), die der konservative Ex-Premier kommende Woche veröffentlichen will. „Er hat einen Ausgang (der Volksabstimmung) riskiert, an den er selbst nicht glaubte, um seine politische Karriere zu befördern.“

Johnson habe sich „widerwärtig verhalten, die eigene Regierung attackiert, das miese Vorgehen des eigenen Lagers ignoriert“ – und sei ein „Aushängeschild des Experten verleumdenden, wahrheitsverdrehenden Zeitalters des Populismus geworden“. Das ist nicht allein Johnsons Entwicklung: Dominic Cummings steht hinter dem Premier: So gefährlich ist der Mann, der Boris Johnson lenkt.

Johnson und Cameron verbindet eine langjährige Rivalität. Sie kennen sich bereits aus Schultagen im Elite-Internat Eton. Erst vor Kurzem war ein aktuelles Regierungsdokument an die Öffentlichkeit gelangt, in dem Johnson seinen Vor-Vorgänger als „mädchenhaften Streber“ bezeichnet.

Cameron war gegen den EU-Austritt und hatte das Referendum vor allem initiiert, um seine Position in der Konservativen Partei gegen die EU-Kritiker zu festigen. Nach der Volksabstimmung trat er zurück. Inzwischen hält Cameron ein zweites Brexit-Referendum für möglich.

12.51 Uhr: Der deutsche Zoll hat nach Angaben eines Gewerkschaftsvertreters zu wenig Personal für einen ungeregelten Brexit. Das größte Problem sei nicht die Zollabfertigung, sondern die Kontrolle, sagte der Vorsitzende der Zollgruppe in der Polizeigewerkschaft GdP, Frank Buckenhofer, der „Wirtschaftswoche“. In diesem Bereich fehlten schon jetzt rund 4000 Beamte.

„Durch einen harten Brexit steigt die Gefahr, dass mehr Rauschgift, Waffen und gesundheitsgefährdende Stoffe nach Deutschland kommen“, sagte er. Eine ausreichende Kontrolle von Waren aus Großbritannien sei nicht möglich.

(dpa/rtr/moi)