Berlin. Die Änderungen an Hartz IV reichen Helena Steinhaus vom Verein Sanktionsfrei nicht. Aus ihrer Sicht verfehlen Sanktionen ihre Wirkung.

Das gerade verabschiedete Bürgergeld soll ab dem 1. Januar 2023 Hartz IV ablösen. Die geplante Vertrauenszeit von sechs Monaten wurde aufgrund einer Blockade der Union im Bundesrat gestrichen. Nun können Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern weiter ab dem ersten Tag von Sanktionen betroffen sein.

Helena Steinhaus, die Gründerin vom Verein "Sanktionsfrei e.V.", erklärt, warum Sanktionen aus ihrer Sicht nie sinnvoll sind. Der Verein hatte eine Langzeitstudie namens Hartz Plus veröffentlicht, die Sanktionen als wirkungslos bewertet hatte. Sie sagt außerdem, ob sie Hartz IV für einen Misserfolg hält – und was es für eine echte Reform bräuchte.

Was halten Sie von dem Bürgergeld, wie es in der vergangenen Woche verabschiedet wurde?

Helena Steinhaus: Das ist leider eine verpasste Chance, weil Hartz IV damit nicht überwunden wird. Das liegt daran, dass der Regelsatz viel zu klein bleibt, die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Energie nicht getragen werden, Strom muss immer noch selber gezahlt werden und weil die Leistungen weiterhin sanktionierbar sind.

Was halten Sie von dem Vorwurf, dass das Bürgergeld nur ein neu aufgelegtes Hartz IV sein soll?

Steinhaus: Ich muss dem zustimmen, weil die drei sehr wichtigen Punkten nicht angegangen werden. Natürlich gibt es ein paar Verbesserungen, aber ich würde sagen, das ist ein Update für Hartz IV und nicht die größte Sozialreform seit 20 Jahren.

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Vor der Entscheidung zum Gesetz gab es häufig Kritik daran, dass sich mit dem Bürgergeld arbeiten nicht mehr lohnen würde. Wie sehen Sie das?

Steinhaus: Das ist Quatsch, die Vorwürfe sind bereits widerlegt worden. Außerdem sind das zwei unterschiedliche Fragen. Die eine ist die nach einer fairen Bezahlung und die andere die nach einer menschenwürdigen Grundsicherung. Das eine muss unabhängig von dem anderen existieren können. Ich halte es für sehr wichtig, dass Arbeit sich lohnt. Das ist aber genau wie bei Hartz IV nach wie vor beim Bürgergeld gegeben.

Helena Steinhaus – Gründerin des Vereins
Helena Steinhaus – Gründerin des Vereins "Sanktionsfrei e.V.". © Oliver Betke | Oliver Betke

Gibt es genug Vertrauen mit dem neuen Bürgergeld gegenüber Sozialhilfeempfängern, nachdem die Vertrauenszeit abgeschafft wurde?

Steinhaus: Die Sanktionen selbst wurden nicht abgemildert und das ist eine Form von Vertrauensentzug. Die anderen Formen kommen durch den niedrigen Regelsatz zum Ausdruck. Alles ist einfach zu klein gerechnet, zu wenig. Damit sagt man, wir vertrauen euch nicht, dass ihr das Geld braucht und damit gut umgehen könnt.

Es gibt Studien, die Sanktionen unter bestimmten Voraussetzungen befürworten und andere sprechen sich dagegen aus. Wie lassen sich diese Widersprüche erklären?

Steinhaus: Tatsächlich kommen die Studien am Ende zum selben Ergebnis. Denn auch die, die Sanktionen als wirksam befunden haben, zum Beispiel Studien vom Institut für Arbeits- und Berufsforschung, sagen am Ende, dass es auf die zeitliche Dauer ankommt. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass mit Sanktionen nur kurzzeitig eine Arbeit vermittelt, aber langfristig die Arbeit wieder abgegeben wird und die Leute am Ende wieder im Jobcenter landen. Das ist der Drehtüreffekt. Das Ziel muss sein, Leute langfristig in Arbeit zu bringen, die sie machen können und wollen.

Warum sollte man Ihrer Studie vom Verein "Sanktionsfrei" vor den anderen Glauben schenken?

Steinhaus: Sie ist die einzige experimentelle Studie in Deutschland. 250 Menschen haben Sanktionen bedingungslos ausgeglichen bekommen durch den Verein. Sie konnten sozusagen nicht sanktioniert werden. Die Feststellung ist, Sanktionen wirken nicht. Sie bringen Menschen nicht in Arbeit. Laut Bundesverfassungsgericht sind Sanktionen ein so starker Eingriff in die Menschenwürde, dass diese eine erklärte Wirkung nachweislich erbringen müssen. Nämlich Menschen in Arbeit zu integrieren – und diese Wirkung ist nicht bewiesen.

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In welchen Fällen braucht es Sanktionen bei Sozialleistungen?

Steinhaus: Das kommt darauf an, was man als sinnvoll erachtet. Ich glaube, man muss die Menschen erreichen und das macht man nicht, indem man sie bestraft oder bedroht. Ich glaube, man muss versuchen, andere Kontaktmöglichkeiten finden.

Wie soll Ihrer Meinung nach der Umgang mit Totalverweigerern aussehen, wenn es keine Sanktionen gibt?

Steinhaus: Es gibt Menschen, die Totalverweigerer sind und das System ausnutzen. Aber der Fokus, der immer auf diese Menschen gerichtet ist, drückt sich so aus, dass alle Menschen unter Generalverdacht gestellt werden. Damit wird das System für viele untragbar gemacht. Es ist wichtiger, sich auf die Menschen zu konzentrieren, die Unterstützung brauchen und wollen. Damit will ich nicht sagen, dass man das willentlich in Kauf nehmen und dazu einladen soll, aber der Fokus ist der falsche.

Was fordern Sie von der Politik in Hinsicht auf Sozialleistungen?

Steinhaus: Es gibt drei zentrale Forderungen. Die erste ist, dass der Regelsatz deutlich angehoben werden muss, und zwar so, dass er armutsfest ist. Damit die Menschen sich nicht kontinuierlich weiter verschulden. Da berechnet der Paritätische Gesamtverband 725 Euro als Regelsatz. Dazu müssen die Wohn- und Energiekosten gedeckt sein. Es ist so, dass der Strom aus dem Regelsatz bezahlt werden muss und das ändert sich auch im Bürgergeld nicht. Das Dritte ist, dass die Leistungen sanktionsfrei werden müssen, denn es handelt sich um ein Minimum und das kann man nicht kürzen.

Wie fällt Ihr Fazit nach 18 Jahren Hartz IV aus?

Steinhaus: Es scheiden sich die Geister, ob Hartz IV mit dafür verantwortlich ist, dass sich die Arbeitslosigkeit reduziert hat. Es gab gleichzeitig auch einen großen wirtschaftlichen Aufschwung. Ich glaube, dass Hartz IV ein sehr großer Misserfolg ist, weil damit erwerbslose Menschen ausgegrenzt und stigmatisiert worden sind. Das kann kein Erfolg sein. Eine solche Art von Kollateralschaden kann man nicht in Kauf nehmen, nur um einen Arbeitsmarkt zu regulieren. Das muss anders gehen.

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.