Berlin. Aus Berlin werden immer mehr Corona-Fälle gemeldet. Die Lage droht, unkontrollierbar zu werden. Jens Spahn findet deutliche Worte.

  • Während der ersten Corona-Welle im Frühjahr hatte Berlin eher niedrigere Corona-Neuinfektionen. Das hat sich in den vergangenen Wochen geändert
  • Der Berliner Senat hat nun strengere Regeln beschlossen: Bald gelten strengere Kontaktbeschränkungen und eine Sperrstunde
  • Zuletzt waren die Zahlen in Berlin deutlich angestiegen: Gleich vier Bezirke reißen die kritische Marke von 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner
  • Auch Bundespolitiker erhöhten den Druck auf den Senat

Jens Spahn ärgert sich. Als Gesundheitsminister. Aber auch als Hauptstadtbewohner, als Gast in Berliner Restaurants kann der CDU-Mann nicht verstehen, wie locker hier viele mit dem Coronavirus umgehen.

Obwohl die Fallzahlen in der Hauptstadt gerade durch die Decke gehen. „Ich bin manchmal der Einzige, der mit Maske ins Restaurant kommt.“ Die Reaktion: „Maske? Brauchen Sie hier doch nicht.“ Spahn klingt genervt: Wer sich vorsichtig verhalte, werde in Berlin oft angeguckt, als käme er vom Mond. Lesen Sie hier: Berlin ist Corona-Hotspots - Dagegen hilft nur Kontrolle.

Corona-Zahlen in Berlin steigen rasant

Vier Berliner Bezirke reißen mittlerweile die kritische Marke von 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen:

  • Mitte,
  • Neukölln,
  • Tempelhof-Schöneberg und
  • Friedrichshain-Kreuzberg.

In diesen Bezirken leben mehr als eine Million Menschen.

Das Berliner Ampelsystem zur Bewertung der Corona-Lage dem zeigte dem Senat am Dienstag zum ersten Mal Handlungsbedarf an. Die Zahl der Neuinfektionen im Verhältnis zur Einwohnerzahl in den vergangenen sieben Tagen und die Reproduktionszahl liegen inzwischen über den als kritisch definierten Grenzwerten. Das geht aus dem Online-Lagebericht der Gesundheitsverwaltung am Dienstag hervor. Damit steht die Ampel nun auf Doppel-Rot. Für diesen Fall hatte der Senat vereinbart, dass die Umsetzung von Maßnahmen erforderlich wird.

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Berliner Senat beschließt Sperrstunde und neue Kontaktbeschränkungen

Nun hat der Berliner Senat gehandelt – und am Dienstag strengere Maßnahmen beschlossen. In Berlin gilt bald eine nächtliche Sperrstunde und strengere Kontaktverbote für drinnen und draußen:

  • Die meisten Geschäfte sowie alle Restaurants und Bars müssen von 23 Uhr bis 6 Uhr schließen.
  • Ausnahmen sind demnach etwa für Apotheken oder Tankstellen geplant, letztere dürfen in der Nacht aber keinen Alkohol mehr verkaufen.
  • Im Freien dürfen sich von 23 Uhr bis 6 Uhr nur noch fünf Personen oder Menschen aus zwei Haushalten versammeln, wie der Senat weiter beschloss.
  • An privaten Feiern in geschlossenen Räumen dürfen nur noch maximal 10 statt bisher 25 Personen teilnehmen.

Die Maßnahmen zielen vor allem auf private Feiern und illegale Partys, die die Berliner Behörden als Treiber des Infektionsgeschehens sehen. Sie sollen ab Samstag gelten - und sind zunächst bis 31. Oktober befristet.

Spahn tadelte Berliner Landesregierung

Gesundheitsminister Jens Spahn hatte am Montag die Berliner Landesregierung aufrufen, die geltenden Regeln stadtweit besser durchzusetzen: „Es liegt nicht an zu wenig Regeln. Es liegt eher an der Frage, wo werden welche Regeln durchgesetzt. Und da geht zumindest in manchen Bereichen dieser schönen Hauptstadt, glaube ich, noch mehr.“ Er könne nicht verstehen, dass große Partys möglich seien, wie er sie am Wochenende wieder auf Bildern gesehen habe.

Jens Spahn appelliert an die Berliner Landesregierung, die Corona-Regeln stärker umzusetzen.
Jens Spahn appelliert an die Berliner Landesregierung, die Corona-Regeln stärker umzusetzen. © dpa | Kay Nietfeld

Die hohen Fallzahlen in der Hauptstadt haben Folgen: In Schleswig-Holstein können Bewohner der vier Risikobezirke nicht mehr ohne Einschränkungen einreisen.

Heißt: Einreisende müssen sich 14 Tage in Quarantäne begeben oder zwei negative Corona-Tests innerhalb von fünf Tagen vorweisen. Auch Rheinland-Pfalz will Besucher aus Berliner Hotspots in Quarantäne schicken. Dabei beginnen an diesem Wochenende in Berlin die Herbstferien.

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Andere Bundesländer uneins in Bewertung und Umgang

Spahn sieht die Regelung skeptisch: Es helfe auf Dauer nicht, Berlin in Bezirke zu unterteilen. „Das ist hier eine große, dynamische Stadt. Wir alle sind jeden Tag in verschiedenen Bezirken im Zweifel unterwegs. Ich wünsche mir sehr, dass es einen auf Gesamt-Berlin bezogenen Ansatz gibt“, sagte Spahn.

Mecklenburg-Vorpommern dagegen bleibt vorläufig für Besucher aus Berlin uneingeschränkt offen. Wie eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums in Schwerin sagte, werde Berlin bei der Risikobewertung weiterhin als Ganzes betrachtet.

Einreisebeschränkungen oder Quarantäne für Rückkehrer würden demzufolge erst dann wirksam, wenn Berlin als Stadtstaat insgesamt mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen aufweise. Zuletzt lag der Durchschnittswert für Berlin bei 41,5.

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    Der Druck auf den rot-rot-grünen Senat wächst. Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, sagte, wenn in einem Ballungsraum wie Berlin die Fallzahl so steige, dann sei die Gefahr erheblich, dass die Infektion über die Landesgrenzen weitergetragen werde.

    Genau das befürchtet Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher: „Bei den sehr engen Verflechtungen zwischen Berlin und Brandenburg und den Pendlerbeziehungen müssen wir da schon aufpassen.“ Am Montag fanden in Berlin Krisengespräche zwischen Senat und Bezirken statt, am Dienstag könnten neue Einschränkungen verhängt werden.

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    Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller übernimmt Posten von Söder

    Zwar kontrollieren regelmäßig mehr als 1000 Polizisten Maskenpflicht, Abstandsgebot und Quarantänen – seit vergangenem Samstag gilt in Büro- und Verwaltungsgebäuden außerdem eine Maskenpflicht. Es werden fleißig Bußgeldbescheide geschrieben – die Ordnungsämter der Berliner Bezirke vollstrecken jedoch nur fünf Prozent der verhängten Bußgelder, räumte der Senat ein.

    Und was sagt der Regierende Bürgermeister dazu? Michael Müller, der sich 2021 aus der Spitze der Landespolitik zurückzieht und in den Bundestag strebt, hat von Markus Söder den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz übernommen. Damit ist der oft zurückhaltend auftretende Genosse in den nächsten Monaten so etwas wie die rechte Corona-Hand der Kanzlerin, zumindest im Bund-Länder-Geflecht.

    Michael Müller steht in Berlin unter Druck.
    Michael Müller steht in Berlin unter Druck. © dpa | Wolfgang Kumm

    Söder hatte Müllers Agieren regelmäßig kritisch kommentiert. Müller sei „immer an vorderster Front der Lockerer“ gewesen, sagte Söder Anfang Juli. Dabei ist Berlin in der ersten Welle – anders als Bayern oder Nordrhein-Westfalen – vergleichsweise glimpflich davongekommen.

    In der Hauptstadt mit knapp vier Millionen Einwohnern sind bislang 231 Menschen an Covid-19 gestorben. In Bayern mit seinen 13 Millionen Einwohnern waren es 2672. Statistisch gesehen muss sich Müller aus dem Süden nichts vorwerfen lassen.

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