Berlin. Darmkrebs, Hautkrebs, Herzinfarkt: Im dritten Corona-Jahr sind die Versorgungslücken noch größer geworden. Wer besonders betroffen ist.
Die Corona-Pandemie steckt den Deutschen noch in den Knochen: Viele Kinder leiden an den Langzeitfolgen der Lockdowns, mancher Erwachsene an Long Covid. Personen mit anderen Erkrankungen wurden zum Teil weniger gut versorgt – weil Behandlungen verschoben wurden oder weil Patienten aus Angst vor Ansteckung nicht zum Arzt gingen. Neue Zahlen zeigen nun einen gefährlichen Trend: Die Gesundheitslücken sind im dritten Pandemiejahr nicht kleiner, sondern sogar noch größer geworden. Woran das liegt – und wer besonders betroffen ist.
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Kassenstudie: Schieben „Bugwelle“ bei Krebserkrankungen nach Corona vor uns her
Die Auswertung der Versichertendaten für das Jahr 2022 zeigen „einen alarmierenden Trend“, sagt Kassenchefin Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes. Die Zahl der Krankenhausbehandlungen und der Vorsorgeuntersuchungen ist nach 2020 und 2021 demnach auch im dritten Pandemiejahr weiter zurückgegangen. „Die Menschen sind aber wahrscheinlich nicht gesünder als früher.“
Im Gegenteil: „Durch mangelnde Früherkennung und ausgefallene Behandlungen kann es sein, dass wir gerade bei Krebserkrankungen eine Bugwelle von zusätzlicher Krankheitslast vor uns herschieben.“ Mit anderen Worten: Die Pandemie geht zu Ende, aber die Gesundheitsfolgen der vergangenen drei Jahre werden das Land noch lange beschäftigen: „Von echter Normalisierung kann noch keine Rede sein“, so Reimann. Auch interessant: Diese Vorsorgeuntersuchungen sind wichtig
Bundesweit vertritt die AOK rund 27 Millionen Versicherte. Eine erste Auswertung der Daten für 2022 liegt dieser Redaktion vor. Insgesamt zeigt sich: Bei den Gesamt-Fallzahlen der Klinikbehandlungen gab es laut AOK im Jahr 2020 einen Rückgang gegenüber dem Vor-Pandemiejahr 2019 um 13 Prozent, ein Jahr später lag der Rückgang bei 14 Prozent. 2022 gingen die Krankenhausfälle bis November sogar um 15 Prozent gegenüber 2019 zurück.
Corona-Pandemie sorgt für alarmierenden Rückgang bei der Krebsvorsorge
Besonders alarmierend ist der Rückgang bei den Vorsorgeuntersuchungen, vor allem bei der Krebs-Früherkennung: Die bereits vorliegenden AOK-Daten aus 2022 zeigen, dass die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen im ersten Halbjahr insbesondere bei Gebärmutterhalskrebs und Hautkrebs um jeweils 11 Prozent gegenüber 2019 zurückgegangen sind.
„Die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen ist bislang nicht wieder auf das alte, vorpandemische Niveau zurückgekommen“, warnt Kassen-Chefin Reimann. „Wer Vorsorgeuntersuchungen nicht wahrnimmt, erhöht sein Risiko für schwere Krankheitsverläufe. Je später eine Erkrankung entdeckt wird, desto schwieriger wird oft die Behandlung.“ Lesen Sie auch: Biontech – Wie die mRNA-Therapie gegen Krebs helfen soll
Darmkrebs: Verändertes Vorsorge-Verhalten nach der Pandemie
Darmkrebs-Operationen sind während der Pandemie deutlich seltener durchgeführt worden als vorher – ein Trend, der sich im dritten Pandemiejahr noch einmal verstärkt hat. So ging die Zahl der Eingriffe laut AOK-Zahlen im vergangenen Jahr um 16 Prozent gegenüber dem Vor-Pandemie-Zeitraum zurück. Schon in den Vorjahren waren Einbrüche von minus 10 Prozent (2020) und minus 12 Prozent (2021) zu verzeichnen. Die Entwicklung könnte mit der ausgebliebenen Diagnostik zu tun haben, die man bereits in früheren Auswertungen gesehen habe, heißt es bei der Kasse. „Auch die in der Pandemie versäumten Früherkennungs-Untersuchungen könnten eine Rolle spielen.“
Bei der Darmkrebs-Vorsorge gingen die Zahlen zuletzt zum Glück wieder bergauf: Bei den Darmspiegelungen zur Früherkennung gab es im 2. Quartal 2022 ein Plus von neun Prozent, im 1. Quartal 2022 waren es sogar 17 Prozent mehr als gegenüber dem Vor-Pandemiejahr. Als mögliche Gründe nennt die AOK, dass die Zahl der anspruchsberechtigten Versicherten ausgeweitet worden sei. Ein weiterer Faktor sei möglicherweise auch das neue Einladungssystem.
Aber: Nehme man den Anstieg bei den Früherkennungsuntersuchungen und die Rückgänge bei diagnostischen Darmspiegelungen zusammen, zeige sich bei den Darmspiegelungen im Jahr 2021 insgesamt ein Rückgang von vier Prozent gegenüber 2019. Auch im Jahr davor war bereits ein ähnlich starker Rückgang zu verzeichnen gewesen. Entspannung dagegen deutet sich bei Hüft-Operationen an: Hier habe sich die Versorgung inzwischen laut den Daten wieder normalisiert.
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Sorge um Patienten mit Schlaganfall und Herzinfarkt
„Große Sorge bereitet uns der Rückgang der Krankenhausfälle bei Herzinfarkten und Schlaganfällen“, sagt Reimann. Auch hier zeigten die Daten für das vergangene Jahr, dass die Zahl der behandelten Fälle stärker zurückgegangen sei als im ersten und zweiten Pandemie-Jahr. „Wir können uns das nicht hundertprozentig erklären. Offenbar sind aber insbesondere Menschen mit milderen Symptomen oft nicht im Krankenhaus behandelt worden.“
Es gelte deswegen weiter der dringende Appell: Bei diesen Notfällen sollten Patienten unbedingt und ohne Zögern den Rettungsdienst alarmieren, so Reimann.
Weniger Vorsorge, weniger Eingriffe: Woran liegt es?
Es gibt mehrere Faktoren für die heiklen Versorgungslücken: „Viele Patienten haben durch die Pandemie ihr Gesundheitsverhalten geändert, viele meiden Arztpraxen und Krankenhäuser aus Angst vor Ansteckung“, sagt Reimann. Stärker aber wirke etwas anderes: Die Kliniken hatten in den beiden Omikron-Wellen Anfang 2022 und im Sommer 2022 mit enormen Personalausfällen durch Corona-Erkrankungen zu kämpfen.
Während es in den ersten Wellen vor allem darum ging, Krankenhaus-Kapazitäten für schwer erkrankte Corona-Patienten freizuhalten, mussten im vergangenen Jahr viele OPs und Behandlungen wegen personeller Engpässe abgesagt werden. Zunächst vor allem aufgrund der Omikron-Variante, später dann auch wegen der Grippe-Welle.
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