Karlsruhe. Die Corona-Krise ist keine gute Zeit zum Demonstrieren. Versammlungen dürfen höchstens unter strengen Auflagen stattfinden - oder werden ganz verboten. Dabei geht es um ein zentrales Grundrecht.

Das Bundesverfassungsgericht pocht auch in der Corona-Krise auf die grundgesetzlich geschützte Versammlungsfreiheit.

Im Eilverfahren kippten die Richter das Verbot zweier Demonstrationen in Gießen als zu pauschal, wie das Gericht in Karlsruhe am Donnerstag mitteilte. (Az. 1 BvR 828/20) Die Stadt erlaubte die für Donnerstag und Freitag angemeldeten Kundgebungen daraufhin unter Auflagen.

Die Behörden in Gießen waren davon ausgegangen, dass die hessische Corona-Verordnung Versammlungen von mehr als zwei Personen, die nicht zusammenleben, generell verbiete. Tatsächlich besteht nach Auffassung der Verfassungsrichter zum Schutz der Versammlungsfreiheit ein Entscheidungsspielraum. Die Stadt Gießen musste die Demos deshalb neu prüfen. Dabei wäre auch ein erneutes Verbot möglich gewesen.

Der Organisator hatte am 4. April für die Osterwoche insgesamt vier Demos mit ungefähr 30 Leuten angemeldet - unter dem Motto "Gesundheit stärken statt Grundrechte schwächen - Schutz vor Viren, nicht vor Menschen". Demonstriert werden sollte dienstags bis freitags jeweils von 14 bis 18 Uhr. Der Auftakt war an einem zentralen Platz in der Innenstadt geplant. Danach sollten die Demonstranten durch mehrere Straßen ziehen. Dabei waren kleinere Kundgebungen vorgesehen.

Der Kläger hatte mit Schutzmaßnahmen selbst für "Corona-Kompatibilität" sorgen wollen. So sollten Ordner auf sechs bis zehn Meter Sicherheitsabstand zwischen nicht zusammenlebenden Teilnehmern achten. Die Redner sollten in ihre Handys sprechen, die Reden von dort auf Lautsprecher übertragen werden. Für weitere Ideen seitens der Behörden zeigten sich die Veranstalter offen.

Die Stadt hatte die öffentliche Sicherheit und Ordnung trotzdem "unmittelbar gefährdet" gesehen und einen Verstoß gegen die Corona-Verordnung des Landes angenommen. Die Verwaltungsgerichte in Hessen waren nach Eilanträgen nicht eingeschritten.

Das Bundesverfassungsgericht dagegen sieht den Kläger durch das Verbot "offensichtlich in seinem Grundrecht aus Art. 8 GG verletzt". Die Verordnung enthalte kein generelles Verbot von Versammlungen unter freiem Himmel, entschieden die Richter. Das sehe auch die Landesregierung so. Vor diesem Hintergrund sei über die angemeldete Demo "nicht unter hinreichender Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden" worden.

Das musste die Stadt für die noch geplanten Demos auf die Schnelle nachholen. Die Versammlung sei jetzt unter Auflagen zugelassen, sagte Bürgermeister Peter Neidel (CDU). Demnach hat die Stadt die Kundgebung auf eine Stunde und die Teilnehmerzahl auf maximal 15 begrenzt. Alle müssten Mundschutz tragen und mindestens 1,5 Meter Abstand zueinander halten. Für die ersten beiden Termine war der Beschluss aus Karlsruhe zu spät gekommen.