Berlin . Für Experten war es eine Frage der Zeit, bis der Ukraine-Krieg die Gasversorgung bedroht. Jetzt hat die Ukraine den Transfer gestoppt.

  • Trotz des Ukraine-Kriegs strömt derzeit noch russisches Gas nach Europa
  • Teile davon fließen durch die Ukraine, die dafür auch von Russland bezahlt wird
  • Könnte das bald zu Problemen bei der Gasversorgung in Deutschland führen?

Bisher lief die Gasversorgung ungeachtet des Ukraine-Krieges meist störungsfrei – zum beiderseitigen Vorteil. Russland verdiente am Verkauf, die Ukraine kassierte eine Gebühr für die Durchleitung, immerhin eine Milliarde Dollar im Jahr. Am Mittwoch stellte sie den Gastransit ein. Ist es ein Störfall, eine Warnung oder eine Kursänderung? Die wichtigsten Fragen.

Wie begründet die Ukraine den Stopp?

Mit dem Krieg. Die russischen Truppen rücken im Gebiet um Luhansk vor. Letztlich sei es unmöglich geworden, den Punkt Sochraniwka und die Verdichterstation Nowopskow zu kontrollieren. Für den Betreiber: ein Fall von "höherer Gewalt".

Wie schwerwiegend ist der Ausfall?

Bis zu 32,6 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag fallen weg. "Europa wird künftig etwa ein Drittel der Europäischen Gasimporte aus Russland weniger bekommen", sagte die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, unserer Redaktion. "Es war nur eine Frage der Zeit, dass dies passiert."

Ist die Versorgung Westeuropas gefährdet?

"Die Versorgungssicherheit in Deutschland ist aktuell weiter gewährleistet", teilte das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage unserer Redaktion mit. Das bedeutet, dass viele Staaten erst mal mit weniger Erdgas via Ukraine auskommen müssen, aber die Verluste ausgleichen können. "Wir sind am Ende des Winters und die Gasnachfrage nimmt ab, sodass keine Versorgungsengpässe zu erwarten sind", gibt Kemfert zu bedenken. Sie glaubt aber, dass die Gaspreise weiter steigen werden – und damit die Rechnungen für die Endkunden.

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Wie sehr ist Deutschland auf diesen Gastransit angewiesen?

Vorneweg: Deutschland ist selbst Transitland für Gas nach Süd- und Westeuropa. Es kommt hauptsächlich über drei Leitungen, Nord Stream 1 über die Ostsee (etwa 55 Milliarden Kubikmeter im Jahr), Jamal durch Belarus und Polen (33 Milliarden Kubikmeter) und Sojus, das durch die Ukraine (40 Milliarden Kubikmeter) führt und an die Transgaspipeline nach Westeuropa anschließt. Im Streit über Gaszahlungen mit Polen hat Russland die Lieferung über die Jamal-Pipeline jedoch vor zwei Wochen eingestellt.

Lässt sich das Gas nicht einfach umleiten?

Die Ukrainer sagen, der Gasfluss könne über einen anderen Knotenpunkt, Sudscha auf russischer Seite, umgeleitet werden. Gazprom bestreitet, dass die Ukrainer beim Knotenpunkt in Sochraniwka gestört worden seien und hält eine Umleitung über Sudscha für technisch nicht möglich, wie Sprecher Sergej Kuprijanow der Agentur Interfax zufolge erklärte. Es ist unklar, wie die Störung anhält. Beide Seiten müssten darüber verhandeln, wie die Versorgung ungeachtet des Kriegs weiter schergestellt wird.

Ein Ausweichen auf die fertiggestellte Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, die am Ende nicht in Betrieb genommen wurde, schloss eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums aus. "Nord Stream 2 ist nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wirklich gestorben und da denkt jetzt keiner daran, hierauf auszuweichen."

Drohen weitere Störungen?

"Aufgrund des Kriegs war es bisher eher ein Wunder, dass es noch nicht zu Gaslieferunterbrechungen durch die Ukraine gekommen ist", meint Kemfert. Aufhorchen lässt eine Äußerung des Chefs des ukrainischen Energieversorgers Naftogaz, Jurij Witrenko. Er hatte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gewarnt, dass der Transit in Gefahr geraten könne, falls Russland seine Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur fortsetze.

Zur Infrastruktur gehört nicht nur die Versorgung mit Gas, sondern beispielsweise auch mit Strom und Wasser. Bisher vermied es die Ukraine, vertragsbrüchig zu werden. Statt den Gasfluss durch die Pipeline zu unterbrechen, forderte Präsident Wolodymyr Selenskyj den Westen auf, die Sanktionen gegen Russland zu verschärfen. Wenn der Krieg an Intensität zunimmt, kann es sein, dass die Ukraine bestimmte Anforderungen nicht mehr erfüllen kann oder will. Sie weiß, dass ein Stopp der Gasexporte die russische Kriegskasse ungleich härter treffen würde.

Russland hat Polen und Bulgarien den Gashahn zugedreht, weil die Staaten das Gas nicht wie plötzlich gefordert in russischen Rubel bezahlen wollten. Eigentlich sind Zahlungen in Euro oder Dollar vereinbart. Die meisten westeuropäischen Staaten wollen das Erdgas aus Russland mittelfristig durch Flüssiggas aus Katar oder den USA ersetzen.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de.