Brüssel. Die EU ist alarmiert: Die Import-Abhängigkeit beim Klimaschutz ist viel zu hoch. Der Ausweg ist eine Kampfansage an China und die USA.

Riskante Hürde für die ehrgeizige Klimaschutzpolitik Deutschlands und Europas: Beim Umstieg auf erneuerbare Energien droht eine gefährliche Technologie-Lücke. Solar, Wind, Wärmepumpe: Die Union sei bei vielen grünen Technologien "stark von Importen abhängig oder droht es zu werden“, warnt die EU-Kommission in einer aktuellen Analyse.

Sie fürchtet deshalb bei der Energieversorgung neue "Unterbrechungen und Engpässe“, nachdem sich Europa gerade erst vom russischen Gas lösen musste. "Die Pandemie und der Ukrainekrieg haben uns eine bittere Lektion in Sachen Abhängigkeiten erteilt“, sagt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Mit einem Programm für mehr Selbstversorgung will Brüssel reagieren – eine Kampfansage an die USA und China, Kritiker warnen vor Protektionismus.

Mehr Geld, schnellere Genehmigung für grüne Technologie

Der Rückstand ist enorm: Bei der Solarenergie ist die Union in großem Ausmaß auf Einfuhren aus China angewiesen, für Komponenten wie den hauchdünnen Siliziumscheiben für Solarzellen liege die Abhängigkeit bei über 90 Prozent, heißt es in der Kommissions-Analyse. Und weiter: "Selbst bei Wärmepumpen und Windtechnologie, wo die Marktposition der EU besser ist, verschlechtert sich die europäische Wettbewerbsfähigkeit“. Das könnte Sie auch interessieren: Wie Australien Deutschland bei der Energiewende helfen soll

Auch bei der Kernenergie komme von den aktuellen Projekten weltweit nur ein Reaktor-Modell aus Europa. Damit ist aus Brüsseler Sicht die Sicherheit der Energieversorgung und die Wettbewerbsfähigkeit der Union gefährdet. Und die Aussichten sind düster, weil große Wettbewerber jetzt mit Milliarden-Subventionen ihre grüne Industrie fördern und Investoren anlocken – die USA mit dem umstrittenen „Inflation Reduction Act“, aber auch China, Japan und Indien würden so die europäische Industrie und Druck setzen und den Wettbewerb verzerren, warnt die Kommission.

Europa will unabhängiger werden: mehr Selbstversorgung ist die Lösung

Von der Leyen und ihr Team reagierten am Donnerstag mit einer klaren Ansage: Ein "Netto-Null-Industrie-Gesetz“ soll den Weg für höhere Subventionen in Technologie für den Klimaschutz auch in Europa freimachen und die Genehmigungen drastisch beschleunigen. Der Gesetzentwurf der Kommission gibt, anders als die USA in ihrem Programm, auch gleich selbst Produktionsziele vor: Europa soll seine benötigte grüne Schlüsseltechnologie spätestens ab 2030 zu mindestens 40 Prozent selbst herstellen. Auch interessant: Energieversorgung: Warum jetzt so viel von Norwegen abhängt

Für einzelne Sektoren sind die Pläne noch ambitionierter: Bei Batterien etwa soll die Selbstversorgung dann bei 90 Prozent liegen, für andere Technologien sind feste Ausbaumengen vorgesehen. In der Beschreibung großer Ziele haben die Kommissionsbeamten viel Routine, für die Umsetzung sind sie nicht zuständig – ob die Vorgaben jemals erreicht werden, ist offen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eröffnet die Sitzung des Kollegiums der Kommissare in der Brüsseler Zentrale.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eröffnet die Sitzung des Kollegiums der Kommissare in der Brüsseler Zentrale. © dpa | Virginia Mayo

Die Instrumente, auf die sich die europäische Aufholjagd stützt, zielen aber zumindest auf die größten Schwachstellen: So will die EU-Kommission für wichtige Projekte die langen Genehmigungszeiten verbindlich verkürzen – bei als „strategisch wichtig“ deklarierten Projekten soll die Genehmigung je nach Umfang binnen neun oder zwölf Monaten vorliegen. Zugleich will die EU die benötigten Investitionen massiv fördern. Die strengen Subventions-Regeln der EU sollen gelockert werden, damit Unternehmen schneller und einfacher mehr Fördergelder erhalten können.

Umstritten: Auch Atomkraft und CO2-Speicher sollen gefördert werden

Die Kommission plant dafür auch einen „Souveränitätsfonds“ als neuen Fördertopf im EU-Haushalt. Schließlich will die Kommission die Versorgung mit seltenen Rohstoffen sichern, die etwa für Batterien benötigt werden. Dafür legte sie einen eigenen Gesetzentwurf vor, nach dem höchstens 65 Prozent des EU-Jahresverbrauchs an wichtigen Rohstoffen aus einem einzigen Drittland stammen dürfen; mindestens zehn Prozent wichtiger Mineralien und Erze sollen in der EU abgebaut werden. Derzeit bezieht das vereinte Europa etwa Seltene Erden oder Magnesium fast vollständig aus China.

Brisant: Auch neue Atomkraft-Projekte sollen zum Teil unter die Förderung fallen und von beschleunigter Genehmigung profitieren – wenn es sich um „fortschrittliche Technik“ handelt, etwa sogenannte Mini-Reaktoren. Von den Grünen im Europaparlament kam prompt scharfe Kritik. Von einem "Geschenk an die Atomindustrie“ ist die Rede.

Konfliktträchtig ist auch, dass die in Deutschland lange Zeit umstrittene Kohlenstoffspeicherung massiv vorangetrieben werden soll: Mitgliedstaaten müssen auf ihrem Hoheitsgebiet Gebiete angeben, die für die CO2-Speicherung in Frage kommen. Förderfähig sind demnach zudem Solar- und Windkraft, Wärmepumpen, grünen Wasserstoff, Netzausbau, Energie-Speicher oder Biogas. Über das Paket sollen die EU-Staats- und Regierungschefs nächste Woche beraten, später müssen Parlament und EU-Rat zustimmen.

Scholz hat sich den großen Umbruch auf die Fahnen geschrieben

Kanzler Olaf Scholz (SPD) lobte am Donnerstag im Bundestag bereits die Grundzüge: "Wir wollen noch schneller und besser werden bei der Herstellung, Einführung und Anwendung grüner Zukunftstechnologien“, sagte Scholz. Dafür müsse Europa an einem Strang ziehen. Der Kanzler warb dabei für Zuversicht mit dem Hinweis, wie schnell die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen beendet wurde: "Wenn es darauf ankommt, dann können wir Aufbruch und Umbruch, Tempo und Transformation“, erklärte Scholz. "Wir werden den großen Umbruch hinbekommen, der vor uns liegt“. Lesen Sie auch: Energie sparen: So senken die meisten Verbraucher die Kosten

Doch es gibt auch Bedenken: Der einflussreiche Brüsseler Thinktank Bruegel nannte das Programm bereits "besorgniserregend“ und geißelte "plumpen Dirigismus“: Die politischen Ziele seien ein Rückfall zur wenig erfolgreichen industriellen Planung der 60er Jahre und "unverfroren protektionistisch“.

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