Berlin. Seit Monaten stellt die Politik Altenpflegern als Licht ans Ende des Corona-Tunnels vor allem eins: die Aussicht auf eine wirksame Regelung für bessere Löhnen. Doch daraus wird nichts.

Der geplante flächendeckende Tarifvertrag für die Altenpflege in Deutschland steht vor dem Aus. Die Arbeitgeberseite der Caritas hat sich am Donnerstag dagegengestellt.

Damit kann - anders als seit mehr als einem Jahr geplant - ein Tarifvertrag, den die Gewerkschaft Verdi mit einem Pflegeverband geschlossen hat, nicht durch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für allgemeinverbindlich erklärt werden. Völlig unklar ist, wie die zerklüftete Lohnlandschaft bei den Altenpflegerinnen und -pflegern in Deutschland nun einheitlicher werden soll.

GEPLANTES EINKOMMEN UND MINDESTLOHN:

Die Gewerkschaft Verdi und der Arbeitgeberverband BVAP hatten den Tarifvertrag Altenpflege im September ausgehandelt. Er sieht eine Erhöhung der Einkommen bis auf 18,50 Euro für examinierte Altenpflegekräfte ab Januar 2023 vor. Beantragt werden sollte, einen zwischen Verdi und BVAP abgeschlossenen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären. Laut Gesetz müssen Caritas und Diakonie, wo viele Pflegekräfte beschäftigt sind, zu so einem Antrag in dieser Branche ein Votum abgeben. Bisher gibt es in Ost- und Westdeutschland unterschiedliche Mindestlöhne für Pflegehilfskräfte, die bis September auf einheitlich 12,55 Euro pro Stunde steigen sollen. Ab Juli sollen Pflegefachkräfte mindestens 15 Euro bekommen.

WAS NUN GESCHAH:

Am Zug war die 62-köpfige Arbeitsrechtliche Kommission des Caritasverbandes, die für die 25.000 Caritas-Einrichtungen und -Dienste zuständig ist. Der Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit fand dort am Donnerstag nicht die nötige Mehrheit. "Offenbar hat die Kommission mehrheitlich befunden, dass sich der vorgelegte Tarifvertrag nachteilig auf den caritaseigenen Tarif und auf die Einrichtungen und Dienste der Caritas sowie deren Beschäftigte ausgewirkt und letztlich nicht zur Verbesserung der Bedingungen in der Pflege beigetragen hätte", teilte Caritas-Präsident Peter Neher mit.

REAKTIONEN AUF DIE ENTSCHEIDUNG:

Die Mitarbeiter-Seite der Caritas warf der Dienst- beziehungsweise Arbeitgeberseite mangelnde Solidarität vor - sie hätten das Ende von Dumpinglöhnen bei Tausenden privaten Anbietern verhindert. Heil sagte: "Heute ist ein schlechter Tag für die Pflege in Deutschland." Der Deutsche Gewerkschaftsbund sowie die Grünen und die Linke im Bundestag sprachen von einer vertanen Chance, einem bitteren Tag oder einem Schlag ins Gesicht der Betroffenen. Sylvia Bühler vom Verdi-Vorstand sagte an die Adresse der Caritas-Dienstgeber: "Ideologie schlägt Humanität." Verlierer seien die rund 1,2 Millionen Beschäftigten in der Altenpflege. Genugtuung herrschte hingegen bei privaten Pflegeanbietern. Die Entscheidung drücke "trotz hohen politischen Drucks ein klares Bekenntnis zur grundgesetzlich verankerten Tarifautonomie" aus, sagte der Präsident des bpa Arbeitgeberverbands, Rainer Brüderle.

WAS AUS DEM TARIFVERTRAG WIRD:

Er dürfte nicht breit zur Anwendung kommen. Zwar entscheidet an diesem Freitag noch die entsprechende Kommission der Diakonie. Heil sagte, wenn es hier eine positive Entscheidung gebe, könnten sich eventuell noch einmal alle Beteiligten zusammensetzen und den Weg über die Allgemeinverbindlichkeit doch noch frei machen. Doch davon wird bei den Beteiligten eher nicht ausgegangen.

PERSPEKTIVEN:

Heil will "alle Wege" für höhere Pflegelöhne nutzen. Nun will er die Pflegemindestlohnkommission neu einberufen, so dass hier mittelfristig höhere Lohnuntergrenzen vereinbart werden können. Heil forderte zudem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zur Vorlage eines Gesetzes für eine Pflegereform auf. Spahn hatte im Herbst entsprechende Eckpunkte vorgelegt und ein Gesetz angekündigt. Ein Sprecher Spahns sagte über die Caritas-Entscheidung: "Das ist keine Entscheidung gegen bessere Bezahlung in der Pflege. Auch ohne einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag können, müssen und werden die Pflegelöhne weiter steigen."

WAS SPAHN PLANT:

Spahn hatte bereits im vergangenen Jahr eingeräumt, dass die Lage unzureichend sei - und durch die Corona-Pandemie weiter verschärft werde. In Spahns Eckpunkten steht unter anderem das Vorhaben: "Die Entlohnung entsprechend Tarif für ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen soll künftig Voraussetzung für die Zulassung zur Versorgung werden." Denn die Situation vieler Beschäftigten in der Altenpflege ist seit Jahren wegen Überlastung, Personalmangels, steigender Ansprüche und fehlender Wertschätzung angespannt.

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