Brüssel. Brisante Bilanz der EU-Asylbehörde: Eine Sonderregel verhinderte den Kollaps des Asylsystems. Flüchtlingszahlen sind auf Rekordhoch.

Europa erlebt nach neuen Angaben der EU-Asylbehörde die größte Flüchtlingswelle seit dem Zweiten Weltkrieg – mit insgesamt knapp fünf Millionen Schutzsuchenden innerhalb eines Jahres. 2022 hätten die EU-Staaten vier Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen, die Rückkehrer in die Ukraine nicht eingerechnet, heißt es im neuen Jahresbericht der EU-Agentur für Asyl (EUAA), der am Mittwoch veröffentlicht wird.

Zusätzlich sei die Zahl der Asylbewerber in der Union innerhalb eines Jahres auf knapp eine Million gestiegen, eine Zunahme um über die Hälfte im Vergleich zu 2021 – mehr Asylbewerber habe es lediglich in den Jahren 2015 und 2016 gegeben. In der Kombination stünden die nationalen Aufnahme-Systeme in der EU angesichts von fünf Millionen Schutzsuchenden unter hohem Druck.

Flüchtlinge: Ukraine-Regelung hat Kollaps des Asylsystems verhindert

Die Zahlen für Deutschland im Vergleich: Hierzulande hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 244.000 Asylbewerber registriert – damit entfiel etwa jeder vierte Asylantrag in der Europäischen Union auf Deutschland, so viel wie in keinem anderen EU-Land. Zudem hat Deutschland im vergangenen Jahr 1,04 Millionen Menschen aus der Ukraine aufgenommen. Die Kommunen in Deutschland klagen deshalb über enorme Belastungen und fordern mehr Geld vom Bund.

Für die Ukraine-Flüchtlinge hatte die EU vor einem Jahr eine besondere Regelung aktiviert, die für diese Gruppe einen vorübergehenden Schutzstatus ohne Asylverfahren gewährt. Diese Maßnahme habe den Kollaps des Asylsystems verhindert, so der neue Jahresreport.

Helfer versorgen ukrainische Flüchtlinge am Hauptbahnhof Berlin mit Lebensmitteln.
Helfer versorgen ukrainische Flüchtlinge am Hauptbahnhof Berlin mit Lebensmitteln. © picture alliance/dpa | Michael Hanschke

Den starken Anstieg bei den regulären Asylbewerbern auf rund 966.000 erklärt die Behörde mit Sitz in Valetta/Malta einerseits mit dem Wegfall von Corona-Schutzmaßnahmen, der auch die grenzüberschreitende Mobilität wieder erleichterte, andererseits mit längerfristigen Trends – in vielen Regionen gebe es Konflikte und Ernährungsunsicherheit, was ein „starker Push-Faktor“ sei.

EU: Behörde rechnet mit weiterem Anstieg der Asylbewerber-Zahlen

Über ein Viertel aller Asylanträge im vereinten Europa stellten Menschen aus Syrien und Afghanistan, die damit die Spitzengruppe bilden. Die EU-Asylbehörde hat vor kurzem neue Länderleitlinien für Afghanistan vorgelegt, nach denen Frauen und Mädchen dort von Verfolgung durch die Taliban bedroht sind und daher in Europa einen Anspruch auf den Flüchtlingsstatus haben.

Die nationalen Behörden müssen diese Leitlinien bei Asylverfahren berücksichtigen, die Entscheidung liegt aber allein bei den Mitgliedstaaten. Mit Blick auf syrische Asylbewerber erklärt die Behörde, das Bedürfnis nach internationalem Schutz bleibe für viele Menschen hoch.

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Auf Platz drei der meisten Asylanträge folgen mit 55000 jene von Bürgern der Türkei, die Zahl dieser Gesuche hat sich binnen eines Jahres verdoppelt. Einen neuen Rekordstand registriert die Agentur ebenso für Schutzbegehren aus Venezuela und Kolumbien.

Die Direktorin der Asylbehörde, Nina Gregori, hatte unserer Redaktion vor wenigen Wochen gesagt, sie erwarte einen weiteren Anstieg der Asylbewerber-Zahlen: „Instabilität und Bedrohungen der menschlichen Sicherheit sind ein Merkmal der Welt, in der wir leben. Leider sind sie nicht vorübergehend“, sagte Gregori.