Berlin. Zwei Tage nach der Wahl haben die Grünen eine Personaldebatte um die Frage, wer Vizekanzler wird. Baerbock wird zur Leidtragenden.

Zwei Tage nach der Bundestagswahl steht Robert Habeck, Co-Chef der Grünen und frisch in den Bundestag gewählt, auf der Fraktionsebene des Reichstagsgebäudes und übt sich in Schadensbegrenzung. Er müsse da ein paar Sachen klarstellen, sagt Habeck mit ernster Miene, ganz in Schwarz.

Eigentlich soll es in dieser Woche um die künftige Koalition gehen, darum, wie viel von ihren Inhalten die Grünen in den nächsten vier Jahren umsetzen können. Doch an Tag zwei nach der Wahl geht es vor dem ersten Treffen der neuen, 118 Mitglieder starken Bundestagsfraktion der Grünen vor allem um Personal. Konkret: Um die Frage, ob Robert Habeck Vizekanzler einer Regierung mit grüner Beteiligung werden soll – und nicht Annalena Baerbock, die ehemalige Kanzlerkandidatin.

Grüne: Ein scharfer Kontrast zum Vortag

Er und Co-Parteichefin Baerbock, sagt Habeck an diesem Mittag, würden „in großer Gemeinsamkeit“ die Sondierungs- und Koalitionsgespräche führen und vorbereiten, personell wie inhaltlich. Über Personalfragen solle dagegen jetzt nicht diskutiert werden. Es sei klar, dass es sich „geradezu nicht geziemt“, in Spekulationen über Posten einzusteigen, bevor überhaupt Sondierungen begonnen hätten, sagte Habeck. Lesen Sie auch: Andrea Pulach: Das ist die Ehefrau von Robert Habeck

„Die Frage, wer Vizekanzler wird, ist völlig irrelevant, wir haben ja nicht mal einen Kanzler.“ Knapp zwei Minuten sprach der Grünen-Chef, bevor er in die gemeinsame Sitzung der alten und neuen Grünen-Abgeordneten verschwindet. Fragen ließ er nicht zu.

Es war ein scharfer Kontrast zum Vortag: Da saß ein sichtlich gut gelaunter Habeck gemeinsam mit Co-Parteichefin Annalena Baerbock in der Bundespressekonferenz und beantwortete Fragen zu den anstehenden Sondierungsgesprächen, zu Koalitionsoptionen und ein bisschen auch zu persönlichen Karrieren. Gefragt nach der Zusammenstellung eines Sondierungsteams sagte er da, die Bundesvorsitzenden würden die Verhandlungen gemeinsam führen. „Und alle weiteren Fragen sind ebenfalls geklärt.“

Baerbock sekundierte: „Das haben wir vor Monaten genauso besprochen, dass wir, wenn der Wahlkampf vorbei ist, gemeinsam als Parteivorsitzende diese Sondierungen führen und auch alle sonstigen Fragen bei uns selbstverständlich geklärt worden sind.“

Habeck Vizekanzler? Kein Dementi aus der Partei

Wie genau die Antwort auf die „sonstigen Fragen“ nach der Vorstellung der beiden aussehen soll, berichtete wenige Stunden später die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“: Habeck solle den Posten des Vizekanzlers bekommen, hieß es da. Offiziell bestätigen will das niemand in der Partei. Dementiert wird es aber auch nicht. Auch interessant: Krise der Union: Wird am Ende doch noch Söder Kanzler?

Eine Klärung vor Monaten, eine Absprache, wer Kandidatin wird und wer, im Fall des Misserfolgs, Vizekanzler: Es entspräche dem Modus, in dem die beiden seit 2018 die Partei führen. Konflikte unter sich ausmachen, nichts nach außen dringen lassen, Partei und Öffentlichkeit das Ergebnis präsentieren, nicht aber den Weg dahin. Es war ein Stil, mit dem die beiden erfolgreich waren, solange sich die Grünen im Umfragehoch sonnen und auf eine Kanzlerin hoffen konnten.

Doch die Nachricht, dass die beiden auf diese Art auch über den mächtigen Posten des Vizekanzlers entschieden haben könnten, sorgte am Dienstag für Unruhe in der Partei.

Jürgen Trittin, Ex-Umweltminister und einer, dessen Wort immer noch Gewicht hat bei den Grünen, sagte dem „Spiegel“ am Dienstag, das entscheide „die Partei und nicht nur zwei Personen in persönlichen Gesprächen“. Seine Partei verhandele „eine Regierung, die Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad bringt“, so Trittin. „Danach wird entschieden, wer welchen Posten bekommt.“

Auch Renate Künast, ehemalige Landwirtschaftsministerin, betonte, dass am Ende die Partei entscheiden müsse über ein mögliches Bündnis, „dann kommen erst die Personalfragen“. Auf die Nachfrage, ob eine mögliche Absprache zwischen Baerbock und Habeck eine Vorentscheidung sei, sagte Künast: „Für mich ist es das nicht, ich würde es nicht akzeptieren.“

FDP und Grüne- Was sind die Streitthemen?

weitere Videos

    Präferieren die Grünen eine Jamaika-Koalition?

    Für die Partei ist die Sache gleich aus zwei Gründen ärgerlich. Da ist zum einen der Eindruck, dass es zwei Tage nach einer Wahl, die die Grünen zur Schicksalswahl erklärt hatten, nicht um Inhalte – zum Beispiel Klimaschutz –, sondern Posten und Pfründe geht. Zum anderen sieht es so aus, als würde eine Partei, die sich explizit als basisdemokratisch und feministisch versteht, am Stuhl jener Frau sägen, die ihnen eben erst das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte beschert hat.

    Auch wenn Baerbock selbst einer solchen Vereinbarung zugestimmt haben sollte, auch wenn bei der Wahl deutlich mehr drin gewesen wäre, ein gutes Bild gibt all das nicht ab.

    Brisant ist die Personalie nicht nur, weil sie Baerbock schwächt und die Partei brüskiert. Eine Entscheidung für Habeck, einer der Väter der Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein, könnte auch gelesen werden als ein Signal, dass die Grünen auch im Bund in diese Richtung steuern.

    Was die Bürger erwarten, sind Politiker, die Probleme lösen

    Es wäre nicht das einzige Indiz für eine solche Bewegung. Winfried Kretsch­mann, grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg, lobte seinen Koalitionsvertrag mit der Südwest-CDU am Dienstag als „gute Blaupause“. Grüne und CDU hatten im Südwesten viele Maßnahmen für den Klimaschutz vereinbart, etwa eine Solarpflicht für Neubauten von Wohngebäuden.

    Kretschmann sagte, er sehe für seine Partei im Bund einen klaren Regierungsauftrag. „Wir haben jetzt den Auftrag zu regieren“, betonte er. Lesen Sie auch: Ampel oder Jamaika: Welche Koalition gibt Cannabis frei?

    Andere in der Partei bremsen dagegen. Fraktionschef Anton Hofreiter, der als Vertreter des linken Parteiflügels gilt, sagte am Montag in einem Statement, man werde selbstverständlich mit allen demokratischen Parteien reden. Aber stark an Stimmen gewonnen habe nun einmal die SPD, stark verloren die Union. „Deshalb ist es auch wahrscheinlicher, dass es am Ende zu einer Ampel kommt.“

    Was die Bürgerinnen und Bürger jetzt erwarten würden, seien Politiker, die sich darum kümmern, dass Probleme gelöst werden.