Hanau/Berlin. Der mutmaßliche Täter von Hanau führte offenbar ein unauffälliges Leben – ein „Manifest“ verrät aber seine rassistische Gesinnung.

  • Der Attentäter von Hanau hat zehn Menschen erschossen und sechs weitere verletzt
  • Tobias R. ist der mutmaßliche Täter: Doch wer ist der 43 Jahre alte Mann, der in Hanau aufwuchs und gemeinsam mit seiner Mutter lebte?
  • In einer Art Manifest und in mehreren Videos tun sich die Abgründe von Tobias R. auf
  • Er äußert wirre Gedanken und Verschwörungstheorien und eindeutig rassistische Gesinnungen

Videos, aufgenommen in einem dunklen Raum, dazu ein seitenlanges „Manifest“ auf einer Homepage, die mittlerweile offline ist: Tobias R., der in Hanau mutmaßlich aus rassistischen Motiven zehn Menschen erschossen und sechs weitere verletzt hat, sorgte vor der Tat dafür, dass sein Name und sein Weltbild im Internet zu finden sind.

Anschlag von Hanau – Was wissen wir über Tobias R.?

Der 43 Jahre alte Tobias R. wuchs in Hanau auf. Nach dem Abitur machte er Zivildienst und anschließend eine Banklehre. Danach studierte er in Bayreuth Betriebswirtschaft. R. soll gemeinsam mit seiner 72-jährigen Mutter in einer Wohnung gelebt haben. Der Vater, ein Rentner, wurde laut Generalbundesanwalt unverletzt in der Wohnung angetroffen. Er wurde von der Polizei befragt. Lesen Sie hier: So befeuern Verschwörungstheorien rechte Gewalt.

Was ist über das Motiv bekannt?

Aufschluss über das rassistische Motiv der Tat und die rechtsextreme Ideologie des mutmaßlichen Attentäters geben vor allem eine Art Manifest und mehrere Videos, die R. auf seiner Webseite veröffentlicht hat. Die Äußerungen wiesen neben wirren Gedanken und abstrusen Verschwörungstheorien „eine zutiefst rassistische Gesinnung auf“, sagte Generalbundesanwalt Peter Frank. Alle Entwicklungen nach dem Anschlag von Hanau in unserem Newsblog.

Ob es Mitwisser und Mittäter gebe, werde nun ermittelt. Die Schreiben sowie ein Video des Täters konnte unsere Redaktion einsehen. Anders als die rechtsextremen Terroristen von Halle und Christchurch (Neuseeland) versuchte der Täter von Hanau nach derzeitigen Erkenntnissen nicht, seine Tat live zu übertragen. In seinem „Manifest“ fehlen Bezüge zur rechtsextremen Szene und deren Internetforen.

Die orthografisch fehlerfreien Texte von Tobias R. erinnern an Verschwörungstheorien, wie sie in Foren von ex­tremen Rechten seit vielen Jahren kursieren. R. glaubte, dass er seit Kindesbeinen von Geheimdiensten und geheimen Mächten überwacht worden sei und diese per Fernsteuerung Gehirne manipulieren könnten. Offensichtlich wird in dem 24-seitigen Haupttext ein tiefer Rassismus, der seine Gedankenwelt durchzieht.

R. fabuliert davon, dass mehrere „Völker komplett vernichtet werden müssen“. Auch wettert er gegen bestimmte Gruppen in Deutschland, die seiner Ideologie nach nicht „zum deutschen Volk“ gehörten. Tobias R. hatte sich selbst das größenwahnsinnige Ziel gesetzt, Teile der Menschheit auszulöschen. Dafür müssten mehrere Milliarden Menschen getötet werden. Zudem äußert er sich immer wieder islamfeindlich.

R. berichtet über sein Privatleben wie etwa seine über Jahre erfolglose Suche nach einer Beziehung zu einer Frau. Als Jugendlicher habe er in einer Fußballmannschaft bei Eintracht Frankfurt gespielt. Auf mehreren Seiten beschreibt R. eine Strategie, die er sich für die Nationalmannschaft und den Deutschen Fußball-Bund (DFB) ausgedacht habe. Weite Teile seiner Texte wirken wahnhaft und narzisstisch.

Anschlag von Hanau: Wie kam der Täter an die Waffe?

R. war Sportschütze in einem Frankfurter Schützenverein und durfte deshalb legal Waffen besitzen. Auf der Waffenbesitzkarte, die er seit 2013 hatte, waren zuletzt zwei Waffen eingetragen. Laut dem Verein selbst war Tobias R. ein „eher ruhiger Typ“, der in keiner Weise auffällig geworden sei.

„Er hat keinerlei ausländerfeindliche Sprüche geklopft“, sagte der Vorsitzende Claus Schmidt. Auch im Umgang mit Vereinsmitgliedern mit Migrationshintergrund habe R. kein auffälliges Verhalten gezeigt. Er habe mit eigenen Waffen geschossen, was aber üblich sei.

Hatten die Behörde Hinweise, dass er gefährlich ist?

Die Sicherheitsbehörden verneinen das. Tobias R. sei weder mit rechtsextremen Äußerungen aufgefallen noch polizeibekannt gewesen. In seinem „Manifest“ behauptet R., er habe sich 2019 an verschiedene „Privatermittler“ und eine Art Bewusstseinstrainer in Österreich gewendet. Zudem habe er Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft Hanau und beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe mit dem Hinweis eingereicht, dass er von Geheimorganisationen überwacht werde. Die „Bild“-Zeitung berichtete, die Anzeige stimme in Teilen mit nun gefundenen Texten überein.

Der Extremismus-Experte Miro Dittrich von der Amadeu-Antonio-Stiftung sagte unserer Redaktion, „,wirre‘ Verschwörungsanhänger müssen online ernster genommen werden“. Aus einem „apokalyptischen Weltbild“ folge oft eine Vernichtungsfantasie, „die von labilen Menschen auch in die Tat umgesetzt werden kann“. Aus einem „eliminatorischen Rassismus“ heraus habe R. seine Opfer mit ausländischen Wurzeln ausgewählt.

Hanau: Wie kann verhindert werden, dass Menschen, die legal Waffen besitzen, diese für Anschläge verwenden?

Das nach dem rechten Anschlag auf die Synagoge im Oktober in Halle verschärfte Waffenrecht trat an diesem Donnerstag in Kraft. Jäger und Sportschützen sollen, wenn sie erstmals eine Erlaubnis für den Waffenbesitz erhalten haben, künftig nach fünf und noch einmal nach zehn Jahren nachweisen müssen, dass ihr „Bedürfnis“ nach einer Waffe begründet ist.

Bevor ein Waffenschein erteilt wird, müssen die Behörden jetzt beim Verfassungsschutz anfragen, ob der Antragsteller auffällig ist. Der zuständige Landkreis hatte 2019 die Erlaubnis von R. überprüft. Dieser habe seine Waffen ordnungsgemäß aufbewahrt.

Im Interview sagte der renommierte Terrorismusforscher Peter Neumann unserer Redaktion: Gegen Täter wie Tobias R. sind die Behörden machtlos. Bereits im vergangenen Jahr sorgte der Mord am früheren Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke für Entsetzen. Als Verdächtiger gilt der Rechtsextremist Stephan E., der den tödlichen Schuss auf Lübcke allerdings bestreitet.