Jerusalem. Itamar Ben-Gvir ist Israels neuer Minister für Nationale Sicherheit. Mit ihm rückt das Land scharf nach rechts. Wie tickt der Mann?

Itamar Ben-Gvir liebt das Rampenlicht. Der rechtsextreme israelische Politiker tut, was er kann, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Mit Erfolg: Als er am Dienstag frühmorgens den Tempelberg in Jerusalem betrat, berichteten die Medien in aller Welt darüber. Der 46-Jährige strahlte übers ganze Gesicht. Dass Ben-Gvir dabei in Kauf nahm, Israel und die Region in einen neuen Krieg zu stürzen, war für ihn Nebensache. Seit kurzem ist der Rechtsradikale einer der wichtigsten Minister Israels. Wie war das möglich?

Noch vor wenigen Jahren kannte man Ben-Gvir in Israel als extrem rechten Schreihals, der sich nach einem Jura-Studium zum wichtigsten Anwalt der rechtsextremen Szene etabliert hatte. Sobald gegen einen Rechtsextremen wegen Terrorunterstützung, Brandstiftung oder schwerer Körperverletzung ermittelt wurde, war Ben-Gvir zur Stelle. Nicht des Geldes wegen, sondern weil er diesen Menschen „helfen“ wolle, wie er erklärte. Auch Ben-Gvir selbst benötigte oft einen Strafverteidiger. Über siebzig Verfahren hatte er am Hals, davon endeten acht mit einer Verurteilung – unter anderem wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.

Israels neuer Hardliner: Ben-Gvir galt der israelischen Armee als zu fanatisch

Der israelischen Armee, in die alle jüdischen Israelis einrücken müssen, blieb Ben-Gvir fern. Nicht, weil er sich durch Tricks vom Wehrdienst befreite – sondern weil die Armee ihn ablehnte. Er galt den Offizieren als zu fanatisch.

Ben Gvir:
Ben Gvir: "Die Juden werden auf den Tempelberg gehen"

Derselbe Mann ist heute neuer Minister für Nationale Sicherheit. Bis vor kurzem hätte das niemand für möglich gehalten. Selbst Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte noch 2021 erklärt, dass der Rechtsradikale für kein Ministeramt geeignet sei. Noch im Jahr 2020 waren zudem die Wahlergebnisse seiner Partei so schlecht, dass er weit entfernt von einem Einzug ins Parlament war: Die Liste erreichte nur 0,42 Prozent der ausgezählten Stimmen.

Es war Benjamin Netanjahu, der dem Rechtsextremen die Treppe auf die Bühne der Regierungspolitik baute. Nicht etwa, weil der 73-Jährige plötzlich seine Meinung geändert hätte. Sondern aus Verzweiflung. Netanjahu wollte unbedingt wieder Regierungschef werden, brauchte dafür aber ausreichend Koalitionspartner. Ohne Ben-Gvirs Partei Jüdische Stärke und ohne die rechtsradikalen Religiösen Zionisten unter Bezalel Smotritsch war er chancenlos. Auch interessant: Hamas droht Israel mit Gewalt – Geheimdienste sind besorgt

Neujahrstag 2023 an der Klagemauer in Jerusalem: Benjamin Netanjahu (Mi), Israels Premierminister der neuen Rechtsregierung, liest aus der Tora, begleitet vom Rabbiner und dem Geschäftsführer der Klagemauer-Stiftung.
Neujahrstag 2023 an der Klagemauer in Jerusalem: Benjamin Netanjahu (Mi), Israels Premierminister der neuen Rechtsregierung, liest aus der Tora, begleitet vom Rabbiner und dem Geschäftsführer der Klagemauer-Stiftung. © dpa | Gil Cohen-Magen

Israel: Die Rechtsextremisten machten es Netanjahu nicht leicht

Einige Wochen vor der Wahl lud er die beiden Rechtsextremen in sein Haus in Caesarea an der Mittelmeerküste ein. Er beschwor sie, bei der Wahl am 1. November in einem gemeinsamen Wahlbündnis zu kandidieren. Netanjahu fürchtete, dass eine der beiden Parteien am Einzug ins Parlament scheitern würde, wenn sie als zwei selbstständige Listen antreten. Die beiden Rechtsextremen machten es Netanjahu nicht leicht. Lesen Sie hier: Israels Kampf gegen den Terror: Abriegeln hilft nicht

Wochenlang ließen sie ihn zittern, sprachen in Interviews davon, getrennt voneinander anzutreten. Sie setzten Netanjahu unter Druck, um ihm großzügige Versprechen abzuringen. Mit Erfolg: Ben-Gvir und Smotritschs Parteien sitzen heute an wichtigen Schalthebeln. Und im Koalitionsvertrag finden sich einige Punkte, die eindeutig die Handschrift der Rechtsextremen tragen – etwa die Anwendung der Todesstrafe für Terroristen. Israelis, die in Terror involviert wurden, sollen künftig abgeschoben werden können – nur arabische Israelis, versteht sich. Lesen Sie mehr zum Thema: Israel: Ultraorthodoxe fordern reine Männerstrände

Während andere Politiker im Wahlkampf Bars und Marktplätze besuchten, stellte sich Itamar Ben-Gvir mit gezückter Pistole auf die Straßen von Ostjerusalem und ließ sich dabei filmen. Schon immer war er zur Stelle, wenn es darum ging, eine angespannte Lage noch weiter anzuheizen. Im Mai 2021, als in mehreren gemischt jüdisch-arabischen Städten Israels die Straßen brannten, bezeichnete der Polizeipräsident Ben-Gvir als einen der Anstifter zur Gewalt.

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    Israels neuer Minister Ben-Gvir: Er bewundert einen Terroristen

    Seine vorwiegend jungen Wähler zeigen sich von Ben-Gvirs Trommelwirbel beeindruckt. Der Politiker lügt ihnen vor, dass sich Israel einfach ungebremst ausdehnen und überall neue Siedlungen bauen könnte. Er tut so, als würden die Palästinenser nicht existieren.

    Ben-Gvir ist nicht nur einer dieser rechtspopulistischen Stars wie sie in ganz Europa auftauchen, gegen Minderheiten aufhetzen, sich in Korruptionsskandale verstricken und wieder verglühen. Mehr zum Thema: Parlamentswahl in Israel: Netanjahus Tabubruch

    Er ist ein Jünger des verstorbenen Rassismus-Predigers Meir Kahane und ein Bewunderer des Terroristen Baruch Goldstein, der 1994 in Hebron in eine Moschee eindrang, auf die Betenden schoss, 29 Menschen niedermetzelte und 125 weitere verletzte. Ein Portrait des Mörders hing bis vor kurzem sogar im Wohnzimmer seines Hauses in Hebron, in dem er mit seiner ebenfalls rechtsextremen Frau Ayala und den fünf Kindern lebt.

    In die rechtsextremen Kreise fand er als Teenager. Ben-Gvir wuchs in einer Mittelstandsfamilie nahe Jerusalem auf, sein Vater ist Jude aus Irakisch-Kurdistan. Auch viele seiner heutigen Anhänger entstammen Familien, die aus arabischen Staaten nach Israel eingewandert waren und hier mit Diskriminierung zu kämpfen hatten. Sie betrachten Ben-Gvir als Gegenmodell zum Establishment der aus Europa eingewanderten Juden. Der Elite zeigen sie den Mittelfinger. Ben-Gvirs Politik richtet sich aber vor allem gegen die Schwächsten: die Beduinen in der Wüste, die Asylsuchenden, die Queeren. Den israelischen Arabern unterstellt er pauschal, Terroristen zu sein. Als Polizeiminister wird er sie dies mit aller Härte spüren lassen.