Berlin. Studie der Antidiskriminierungsstelle: Mehr als die Hälfte der Taten ging von Kunden aus. Vor allem Auszubildende fühlen sich hilflos.

Jeder elfte Beschäftigte in Deutschland (neun Prozent) hat in den vergangenen drei Jahren sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Frauen waren mit einem Anteil von 13 Prozent mehr als doppelt so häufig betroffen wie Männer (fünf Prozent). Das ist das Ergebnis einer Studie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die unserer Redaktion vorliegt.

Mehr als die Hälfte (53 Prozent) der Belästigungen ging von Dritten aus, zum Beispiel von Kunden oder Patienten. Bei 43 Prozent der belästigenden Personen handelte es sich um Kollegen, bei 19 Prozent waren es Vorgesetzte oder betrieblich höhergestellte Personen. Manche Betroffenen waren Opfer mehrerer Täter.

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ein „gravierendes Problem“

„Sexuelle Belästigung im Job ist ein gravierendes Problem und kann für die Betroffenen schwerwiegende Folgen haben“, sagte Bernhard Franke, kommissarischer Leiter der Antidiskriminierungsstelle, unserer Redaktion. Es liege im Interesse der Unternehmen einzugreifen, damit sexuelle Belästigung verhindert wird – beispielsweise, indem sie feste Ansprechpersonen benennen und verpflichtende Schulungen für Führungskräfte anbieten würden.

Wenn Kunden Arbeitnehmer belästigten, müssten Arbeitgeber sofort einschreiten, um ihre Beschäftigten zu schützen – „das kann bis zu einem Lokal- oder Hausverbot führen und darf beispielsweise im Gastronomiebereich oder Einzelhandel nicht als „Berufsrisiko“ bagatellisiert und ignoriert werden“, so Franke. Im Gesundheitsbereich könne als Schutzmaßnahme auch eine Beendigung des Behandlungsvertrages in Betracht kommen.

Auf die Frage, welche konkreten Belästigungen die Betroffenen erlebt hätten, nannten 62 Prozent der Befragten in der Studie verbale Belästigungen: Sexualisierte Kommentare, Sprüche oder Witze. 44 Prozent fühlten sich durch unerwünschte Blicke oder Gesten belästigt, auch anzügliches Pfeifen fanden viele übergriffig. Knapp drei von zehn Betroffenen (28 Prozent) fühlten sich von unangemessen intimen oder sexualisierten Fragen bedrängt.

Mehr als vier Fünftel aller Täter sind männlich

Ähnlich viele (26 Prozent) klagten über unerwünschte Berührungen oder körperliche Annäherungen. Jeder Fünfte (22 Prozent) berichtete von unangemessenen Einladungen zu privaten Treffen. Daneben nannten Betroffene auch Fälle, wo Kollegen oder Kunden ihnen sexualisierte Bilder, Texte oder Filme aufgedrängt hatten oder anzügliche Mails oder Textnachrichten geschickt hatten.

Immerhin elf Prozent der Betroffenen klagten über Begegnungen, bei denen sie zu sexuellen Handlungen aufgefordert worden seien, in Einzelfällen war es auch zu Erpressung oder körperlicher Nötigung gekommen.

Bei den meisten Belästigungen handelte es sich laut Studie nicht um einmalige Vorfälle – acht von zehn Befragten hatten mehr als eine solche Situation erlebt, mancher war in den letzten drei Jahren sogar regelmäßig sexualisierten Attacken ausgesetzt – mit mehr als 30 Fällen. 82 Prozent der Betroffenen gaben ausschließlich oder überwiegend Männer als Täter an.

Besonders hilflos: Azubis, die von Vorgesetzten belästigt werden

Die Mehrheit der Betroffenen gab zudem an, sich unmittelbar nach der Belästigung verbal zur Wehr gesetzt zu haben (66 Prozent). Mit etwas zeitlichem Abstand wandten sich vier von zehn Betroffenen an Dritte, davon am häufigsten an Kollegen (47 Prozent), Vorgesetzte (36 Prozent), Freunde oder Familie (15 Prozent) oder auch an Beratungsstellen und therapeutische Einrichtungen (elf Prozent).

Die wenigsten nutzten dagegen das Arbeitsrecht. Laut Studie gibt es mehrere Gründe dafür, dass sich so wenige Betroffene arbeitsrechtlich wehren: der Versuch, das Problem selbst zu lösen, das fehlende Wissen über Arbeitnehmerrechte, aber auch die Angst vor unzureichender Anonymität und negativen Folgen für das weitere Berufsleben.

Besonders hilflos fühlen sich laut Studie Mitarbeiter, die von ihren Vorgesetzten belästigt werden, die noch in der Ausbildung sind oder noch keinen sicheren Vertrag haben.

Für die Studie der Antidiskriminierungsstelle wurden insgesamt 1.531 Personen befragt, die in den vergangenen drei Jahren in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt waren, darunter auch Auszubildende, Praktikanten und Selbständige. Dazu wurden Interviews mit Betroffenen geführt sowie Rechtsfälle ausgewertet.

Zum Thema: Auch Flugbegleiter leiden unter häufiger sexueller Belästigung. Diese Problematik werde unterschätzt, sagt die Flugbegleiter-Gewerkschaft UFO.