Berlin . Im Ukraine-Krieg bleibt das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I, Putin treu – eine fatale Freundschaft.

Russland hat zwei Patriarchen, einen politischen und einen religiösen. Patriarch Kirill I. unterstützt Präsident Wladimir Putin. Diese unheilige Allianz zwischen russisch-orthodoxer Kirche und Staat fördere die Akzeptanz des Ukraine-Krieges, analysiert der Religionssoziologe Detlef Pollack von der Universität Münster.

Putin und der Patriarch: Ein Weltbild

Traditionell ist die Kirche staatstreu. In Predigten bezeichnet Kirill I. die Feinde Russlands als "Kräfte des Bösen". Weltbild und Gefühlslage ähneln sich, die Interessen ergänzen sich.

Putin empfindet das Ende des Kalten Krieges und den Zerfall der Sowjetunion als Tragödie. Die Kirche wurde darob "zum Hoffnungsträger einer gedemütigten Nation." Die Nähe von Präsident und Patriarch trifft auf eine Bevölkerung, deren Religiosität rasant gewachsen sei, "verbunden mit gestiegenem Nationalstolz", so Pollack.

Pollack kann die Analyse gemeinsam mit seinem Kollegen Gergely Rosta in dem Buch "Religion in der Moderne" mit Zahlen untermauern. 1990 konnte sich ein Drittel der Bevölkerung mit der Orthodoxie identifizieren, 2020 schon zwei Drittel. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der Gläubigen von 44 auf 78 Prozent.

Patriarch und Präsident halten zusammen

Auftritte von Putin mit Kirill I. hätten eine "hohe symbolische Kraft“, erklärt Pollack. Der Patriarch unterstütze Putins Krieg gegen die Ukraine, indem er „böse Mächte“ für ihn verantwortlich mache. Der Angriff werde damit "entpolitisiert und metaphysisch erhöht."

Gemeinsam kämpfen Präsident und Patriarch vor allem gegen westliche Werte wie Demokratie und Pluralität. Beide träumen den Traum, Russland zu alter Größe zurückzuführen.

Putin unterstützt die Kirche auch mit Geld

Der Patriarch sei seit Jahren ein verlässlicher Unterstützer der politischen Linie des Kreml. "Immer wieder ist der Präsident neben dem Patriarchen zu sehen.“ Und bei den Symbolauftritten bleibt es nicht:

  • 2007 wurde in den Schulen "Grundlagen der orthodoxen Kultur" als Pflichtfach eingeführt.
  • Die orthodoxe Kirche kommt in den Genuss steuerlicher Privilegien und staatlicher Gelder und wird gegenüber anderen Religionsgemeinschaften bevorzugt.

Der Anstieg der Religiosität gehe darauf zurück, "dass die orthodoxe Kirche nach 1992 zum Träger nationaler Identität aufstieg. Seit Jahrzehnten meint eine Mehrheit, "um ein wahrer Russe zu sein, müsse man orthodox sein.“

Gegenbewegung bei Kirchenmitgliedern

Das religiös aufgeladene Nationalbewusstsein sei alles andere als harmlos. Pollack: "Die meisten Russen halten die russische Kultur gegenüber anderen für überlegen."

Es gibt indes eine Gegenbewegung bei Kirchenmitgliedern. Besonders Frauengruppen stellen die Verzahnung von Staat und Religion in Frage. "Ob diese Kräfte in Russland an öffentlicher Sichtbarkeit und Bedeutung gewinnen, hängt zu einem großen Teil vom weiteren Kriegsverlauf ab", sagt Pollack. "Aktuell ist noch nicht absehbar, ob der Unmut auch in Russland zunehmen und dies Kirills Kurs schwächen wird."

Das enge Verhältnis von Staat und Kirche hat in Russland eine lange Tradition, die bis ins mittelalterliche Byzanz zurückreicht. Während die Katholische Kirche im Westen oft als Gegengewicht zum Kaisertum agierte, bildeten Patriarchat und Kaisertum in Ostrom eine enge Allianz.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel ist zuerst auf waz.de erschienen.