Berlin. In Europa droht ein neuer Konflikt. Zwischen Serbien und dem Kosovo rumort es. Was sind die Ursachen und wer hat welche Interessen?

Der Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo hat sich in den vergangenen Tagen zugespitzt. Als Reaktion auf Straßenbarrikaden auf der serbischen Seite schloss die Regierung in Pristina den wichtigsten Grenzübergang zum Nachbarland und bat die Nato-Friedenstruppen um Unterstützung bei der Räumung der auf dem Gebiet Kosovos errichteten Barrikaden.

Die USA und die EU riefen beide Seiten zur Deeskalation auf, während Russland seine Unterstützung für Belgrad bekräftigte. Zudem behinderten Demonstranten auf serbischer Seite den Verkehr an der Grenze mit Lastwagen und Traktoren. Wie konnte es so weit kommen: Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Konflikt.

Am Donnerstag gab es immerhin einen Schritt zur Entschärfung. Am wichtigsten Grenzübergang zwischen den Nachbarländern wurde die Straßensperre auf der serbischen Seite geräumt, wie das serbische Staatsfernsehen und die kosovarische Polizei mitteilten. Serbiens Staatschef Aleksandar Vucic erklärte allerdings, das beiderseitige Verhältnis sei weiterhin von „Misstrauen“ geprägt.

Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Konflikt.

Weshalb hat sich der Kosovo-Konflikt wieder zugespitzt?

Die Verschärfung des Konflikts begann im Herbst, als über technische Details, wie Nummerntafeln und Ausweise gestritten wurde. Die kosovarische Regierung hatte eigentlich vorgehabt, für alle Kfz-Besitzer im Kosovo die gleichen Nummerntafeln einzuführen und die serbischen Nummerntafeln schrittweise zu verbieten. Dies war auch bereits im Jahr 2011 zwischen Kosovo und Serbien abgemacht worden.

Weil die Regierung in Serbien aber das Territorium des Kosovo nach wie vor als ihr eigenes erachtet und die Umsetzung der Nummerntafelregelung verhindern wollte, verließen Anfang November alle jene Serben im Kosovo, die unter der Kontrolle des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić stehen, die Institutionen des Staates Kosovo: die Justiz, die Polizei, die Gemeindeämter, die Regierung und das Parlament. Obwohl die kosovarische Regierung – auch auf Druck der USA – die Umsetzung der neuen Nummerntafelregelung zurückzog, kehrten die serbischen Polizisten nicht in die kosovarische Polizei zurück.

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Weil aber durch den Boykott dieser Serben nun auch zu wenige Polizisten im Norden des Kosovo sind, entstand ein Sicherheitsvakuum. Die Nato-geführten Kfor-Truppen, Beamte der EU-Rechtsstaatsmission Eulex und kosovarische Polizisten wurden in den Norden entsandt, um für Ruhe und Sicherheit zu sorgen. In der Folge wurden diese kosovarischen Polizisten, Beamte der Eulex und Journalisten von militanten serbischen Aktivisten im Norden angegriffen. Diese wollten unter anderem verhindern, dass es noch im Dezember zu Neuwahlen kommt, um die durch den Rücktritt entstandenen Lücken bei den Gemeindevertretern und Bürgermeistern wieder aufzufüllen.

Wollte die kosovarische Regierung die Serben vertreiben?

Die militanten serbischen Aktivisten griffen auch Wahlhelfer und die Wahllokale an. Daraufhin lenkte die kosovarische Regierung abermals ein und verschob die Wahlen auf kommenden April. Doch einer jener ehemaligen Polizisten, die verdächtigt werden, eines der Wahlbüros attackiert zu haben, wurde von der kosovarischen Polizei verhaftet. Daraufhin begannen serbische Aktivisten, die unter der Kontrolle von Vučić stehen, Straßenbarrikaden zu errichten. Die beiden Grenzübergänge im Norden wurden wegen gewaltsamen Vorfällen zeitweise geschlossen.

Zudem verschärfte sich wochenlang die Rhetorik in Belgrad, Desinformation wurde verbreitet. Vučić und andere behaupteten etwa, dass die kosovarische Regierung die Serben im Kosovo vertreiben wolle und dass die Serben im Kosovo in Gefahr seien.

Zuletzt behauptete Vučić, dass sich „die Albaner” – wie er die kosovarische Regierung nennt – bewaffnet hätten und kampfbereit seien – so versuchte er offenbar, zu legitimieren, dass er selbst die eigenen Truppen in Alarmbereitschaft versetzte.

Eine Straßensperre in Stadt Mitrovica im Norden des Kosovo.
Eine Straßensperre in Stadt Mitrovica im Norden des Kosovo. © AFP | Armend Nimani

Kosovo-Konflikt: Was sind die serbischen Interessen?

Serbien will sein eigenes Verhandlungskapitel beim bevorstehenden von der EU geführten Dialog mit dem Kosovo erhöhen. Vučić hat schon öfter Konflikte inszeniert, um sich danach als jemand darzustellen, der diese Konflikte wieder löst und angeblich für Stabilität sorgt. Es handelt sich also um ein gewohntes Politik-Muster, mit dem er sich als alternativlose Retter-Figur darstellen will und seine Macht absichert.

Ziel von Serbien ist es zudem die Unabhängigkeit Kosovos rückgängig zu machen und die Republik wieder in serbisches Staatsgebiet zu integrieren. Mit der Einmarsch-Drohung und mit der Verhinderung, dass der kosovarische Staat im Norden des Kosovo, wo viele Serben leben, das Gewaltmonopol und Rechtsstaatlichkeit durchsetzt, will Serbien offenbar seine territorialen Ansprüche gegenüber dem Kosovo zeigen.

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Serbien hat die Unabhängigkeit des Kosovo nie akzeptiert und erachtet das gesamte kosovarische Staatsterritorium als zu Serbien gehörend. Die Unabhängigkeitserklärung im Jahr 2008 stützte sich darauf, dass Jugoslawien unter Slobodan Milošević zwischen 1989 und 1998 umfassende Menschenrechtsverletzungen gegenüber der eigenen Zivilbevölkerung im Kosovo begangen hatte.

Der Kosovo war ab der Verfassung von 1974 eine autonome Provinz innerhalb Jugoslawiens, die den sechs Republiken fast gleichgestellt war. Unter Milošević wurde die Autonomie aber aufgehoben, und Albaner und nicht regimetreue Serben waren massiven Repressionen ausgesetzt.

Serbiens Präsident Aleksandar Vučić im Dezember. Die Unabhängigkeit Kosovos will er rückgängig machen.
Serbiens Präsident Aleksandar Vučić im Dezember. Die Unabhängigkeit Kosovos will er rückgängig machen. © AFP | ATTILA KISBENEDEK

Konflikt auf dem Westbalkan: Was sind die Interessen des Kosovo?

Die kosovarische Regierung unter Albin Kurti will für Rechtsstaatlichkeit im gesamten Gebiet des Kosovo sorgen und absichern, dass die kosovarischen Institutionen im gesamten Staatsgebiet das Gewaltmonopol inne haben. Geopolitisch will die kosovarische Regierung erreichen, dass der Kosovo Mitglied der Uno wird und damit auch von noch mehr Staaten anerkannt wird.

Der Kosovo hofft, dass westliche Staaten ihn dabei unterstützen, auch von Serbien anerkannt zu werden. Dies ist aber nicht realistisch – weder Serbien, noch die UN-Veto-Mächte Russland und China wollen den Kosovo anerkennen. Kosovo will aber zumindest verhindern, dass der Verband der serbischen Gemeinden, der im Norden des Kosovo geschaffen werden soll, Exekutivvollmachten erhält, was nämlich dazu führen würde, dass sich Serbien noch mehr in den Staat Kosovo einmischen würde und dieser serbische Gemeindeverband auch tatsächlich innenpolitisch im Kosovo Einfluss nehmen würde.

Laut der EU und den USA muss Kosovo allerdings die Schaffung des Gemeindeverbands – in welcher Form ist noch offen – zulassen

Spannungen zwischen Serbien und Kosovo: Droht jetzt ein Krieg?

Nein. Denn die serbische Regierung wird wohl nicht in den Kosovo einmarschieren, solange sich dort Nato-Truppen befinden. Die Nato hat eine Sicherheitsgarantie für Kosovo abgegeben. Die serbische Regierung kann aber sehr wohl gemeinsam mit dem Kreml dafür sorgen, dass es zu neuerlichen Unruhen, Barrikaden, gewaltsamen Zwischenfällen und hybrider Kriegsführung kommt.

Kann Serbien trotzdem in die EU aufgenommen werden?

Serbien hat vor zehn Jahren den Kandidatenstatus bekommen und danach mit den Verhandlungen mit der EU begonnen. Allerdings gibt es schon seit langem keine Fortschritte, obwohl viele Verhandlungskapitel eröffnet wurden, wurden erst zwei geschlossen. Das hat damit zu tun, dass die serbische Regierung keine Anstrengungen unternimmt, um jene Reformen zu machen, die für den EU-Beitritt notwendig wären.

Ähnlich wie die Türkei oder Ungarn wurde die serbische Regierungsführung in den vergangenen Jahren immer autoritärer, die Oppositionsarbeit wurde behindert und die freien Medien wurden stark eingeschränkt. Der Präsident, der eigentlich keine Regierungsarbeit machen sollte, ist nicht nur Chef der Regierungspartei, sondern kontrolliert sämtliche Institutionen.

Serbien hat sich unter Vučić stark an China angenähert, vor allem wenn es um Kredite und Investitionen geht. Belgrad kooperiert aber auch ganz eng mit dem Kreml. Obwohl Serbien seine Politik eigentlich auch bezüglich der Sanktionen gegen Russland an jene der EU angleichen müsste, wird dies nicht gemacht. Zudem richtet sich die staatliche Propaganda über Regierungsmedien oft gegen die EU.

Die EU hat genau deshalb, weil Serbien gar keine Ambitionen zeigt beizutreten, auch wenig Hebel, um die Regierung in Belgrad zu beeinflussen. Der Einfluss der USA und der Nato auf Serbien und den Kosovo ist hingegen groß, die EU hat an Einfluss verloren.