Baku/Eriwan. In Berg-Karabach deutet nichts auf eine Entspannung der Lage hin. Die Kämpfe gehen weiter. Es gibt Dutzende Tote. Die Türkei stellt sich hinter ihren Verbündeten Aserbaidschan. Immerhin: Russland bietet seine Vermittlung an.

Bei neuen Gefechten in der Unruheregion Berg-Karabach zwischen den verfeindeten Nachbarn Armenien und Aserbaidschan sind mehrere Dutzend Menschen getötet worden.

Die Zahl der Toten auf armenischer Seite sei auf 58 gestiegen, bestätigte das Verteidigungsministerium in Eriwan am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Demnach starben am zweiten Tag der Gefechte 42 Armenier. Das armenische Militär sprach zudem von Dutzenden Toten auf aserbaidschanischer Seite. Eine Bestätigung aus Baku gab es zunächst nicht.

Der seit Jahrzehnten dauernde Konflikt zwischen den beiden ehemaligen Sowjetrepubliken war am Sonntag wieder aufgeflammt. Beide Seiten berichteten von Beschuss und schwerem Artilleriefeuer. Es handelt sich um die schwerste Eskalation seit Jahren. Das verarmte Armenien und das reiche Aserbaidschan geben sich gegenseitig die Schuld an der neuen Eskalation. In beiden Ländern gilt nun das Kriegsrecht. Russland bot seine Vermittlung an. Unter den Opfern sind auch Zivilisten.

Aserbaidschans Militär teilte am Montag mit, dass Armenien die Stadt Terter an der Grenze zu Berg-Karabach beschossen habe. Dabei habe es ein Todesopfer gegeben. Das Militär habe dann zwei Panzer des Nachbarlands zerstört. Baku warnte vor "angemessenen Gegenmaßnahmen". Eriwan teilte mit, dass die gegnerische Seite schweres Gerät eingesetzt habe. In Berg-Karabach wurden nach offiziellen Angaben am Sonntag 16 Soldaten durch Beschuss getötet und mehr als 100 verletzt. Auf aserbaidschanischer Seite gab es sechs Tote und 26 Verletzte.

Die von Armenien kontrollierte Region mit geschätzt 145 000 Einwohnern gehört völkerrechtlich zum islamisch geprägten Aserbaidschan. Zu Sowjetzeiten hatte Berg-Karabach den Status einer autonomen Region. Baku hatte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in einem Krieg mit 30 000 Toten die Kontrolle über das Gebiet verloren. Seit 1994 gilt in der von christlichen Karabach-Armeniern bewohnten Region eine Waffenruhe. 2016 starben bei Gefechten mehr als 120 Menschen.

Das völlig verarmte Armenien setzt auf Russland als militärische Schutzmacht, das dort Tausende Soldaten und Waffen stationiert hat. Das öl- und gasreiche Aserbaidschan hat die Türkei als Verbündeten. Türkische Truppen sollen nach armenischen Angaben in den aktuellen Gefechten hinzugezogen worden sein. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es nicht.

Aserbaidschans autoritär regierender Staatschef Ilham Aliyev ordnete am Montag eine Teilmobilmachung der Bevölkerung an. Damit würden Wehrpflichtige zum Kriegsdienst eingezogen, hieß es. In Aserbaidschan gibt es in einigen Regionen Ausgangssperren am Abend, auch der Flugverkehr wurde eingestellt.

Russland kündigte unterdessen an, vermitteln zu wollen. "Russland hat die Möglichkeit, seinen Einfluss und die traditionell guten Beziehungen zu beiden Ländern für eine Lösung dieses Konflikts zu nutzen", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in Moskau. Die Situation müsse bei sofotiger Beendigung der Kämpfe auf diplomatischem Weg gelöst werden. Das sei jetzt wichtiger, "als darüber zu streiten, wer Recht und wer Schuld hat". Auch die EU forderte Armenien und Aserbaidschan zu einer sofortigen Waffenruhe auf.

Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bemüht sich um eine diplomatische Lösung. Der zuständige Sonderbeauftragte Andrzej Kasprzyk sowie die OSZE-Minsk-Gruppe mit ihren drei Co-Vorsitzenden Frankreich, Russland und USA seien stark mit Verhandlungen beschäftigt, sagte ein Diplomat aus Albanien der dpa. Albanien hat derzeit in der OSZE den Vorsitz inne.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan stellte sich hinter Aserbaidschan. "Es ist nun an der Zeit, die Krise (...) zu beenden. Die Region wird erneut Frieden und Ruhe finden, wenn Armenien den von ihm besetzten aserbaidschanischen Boden sofort verlässt", sagte Erdogan. Die Türkei stehe "mit allen Mitteln und ganzem Herzen" an Aserbaidschans Seite.

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