Berlin/Chisinau. Die Spannung wächst, Tausende protestieren gegen die pro-europäische Regierung. Warum Selenskyj vor einem Putsch im Nachbarland warnt.

Zuletzt waren die Straßen von Chisinau wieder voller wütender Menschen. Tausende demonstrieren gegen die pro-europäische Regierung, sie sind mit Reisebussen aus allen Landesteilen die moldauische Hauptstadt gebracht worden. Die Demonstranten fordern eine höhere staatliche Subventionierung der enorm gestiegenen Energiekosten und den Rücktritt von Präsidentin Maia Sandu. „Nieder mit der Diktatur!“ schreien sie.

Die Stimmung in dem kleinen Land an der Westgrenze der Ukraine ist explosiver denn je. Die Regierung ist überzeugt: Die Wut wird geschürt von Moskau, um die frühere Sowjetrepublik zu destabilisieren. Putschgerüchte kursieren in der Republik.

Ukraine-Krieg: Republik Moldau erlebt turbulente Zeiten

Seit dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine erlebt die Republik Moldau so turbulente wie beunruhigende Zeiten. Das Land mit seinen rund 2,5 Millionen Einwohnern gilt als Armenhaus Europas und als politisch instabil. Im Parlament sitzen neben pro-europäischen Politikern auch pro-russische Abgeordnete, die gegen die Annäherung des Landes an die EU und die Nato agitieren. Innenpolitischer Sprengstoff ist vor allem die dramatische Entwicklung der Energiekosten. Seit dem vergangenen Jahr gilt das Land als EU-Beitrittskandidat. Brüssel versucht, das Land mit Finanzspritzen zu stabilisieren.

Bis Kriegsbeginn war die Republik Moldau zu 100 Prozent von russischen Gaslieferungen abhängig. Der russische Energiekonzern Gazprom hat jedoch die Liefermengen drastisch reduziert, jetzt muss die Regierung Gas zu deutlich höheren Preisen auf dem europäischen Markt einkaufen. Die Folge: Die Gaspreise sind nach Regierungsangaben um 600 Prozent gestiegen. Zugleich haben sich die Strompreise verdoppelt. Anfang November haben die pro-russischen Behörden der abtrünnigen Provinz Transnistrien die Stromlieferungen an Moldau eingestellt. Dort befindet das einzige große Kraftwerk des Landes. Jetzt bezieht Moldau Strom aus Rumänien.

1500 von Russland bezahlte Soldaten sind in Transnistrien stationiert

Transnistrien hatte sich nach einem kurzen, aber blutigen Konflikt im Jahr 1992 für unabhängig erklärt. International wird das von keinem Land anerkannt. Die Regierung in der Hauptstadt Tiraspol gilt jedoch als moskauhörig. In der Region sind rund 1500 von Russland bezahlte Soldaten stationiert. Jetzt köchelt der Konflikt wieder hoch.

Protest in der Hauptstadt von Moldau: In Chisinau demonstrieren am Dienstag Tausende gegen pro-europäische Regierung des Landes.)
Protest in der Hauptstadt von Moldau: In Chisinau demonstrieren am Dienstag Tausende gegen pro-europäische Regierung des Landes.) © AFP | ELENA COVALENCO

Am Dienstag erklärte das Verteidigungsministerium in Tiraspol, man werde ab Mittwoch ein dreimonatiges Ausbildungslager für Freiwillige einrichten, um sich einer möglichen ukrainischen Invasion entgegenstellen zu können. Zuvor hatte das russische Verteidigungsministerium am 23. Februar verlautbaren lassen, man erwarte eine Invasion Kiews in Transnistrien.

Wizz Air stellt Flüge nach Moldau ab 14. März ein

Die ukrainische Seite wies diese Mutmaßungen prompt zurück, erklärte aber ihrerseits, man werden der Republik Moldau zur Seite stehen, falls es zu einem russischen Überfall komme. In den vergangenen Tagen soll Kiew Truppen an die Grenze zum Nachbarland verlegt haben. Die meisten Beobachter gehen jedoch davon aus, dass Russland militärisch nicht zu einer Invasion in der Lage ist, die Regierung wiegelt ab: „Das sind Fehlinformationen, die das Ziel haben, Moldau zu destabilisieren und Panik zu schüren“, sagt Olga Rosca, die Sprecherin des moldauischen Außenministeriums.

Wie brisant andere Analysten die Lage einschätzen, lässt sich aber an einer Entscheidung der ungarischen Billigfluggesellschaft Wizz Air ablesen. Das Unternehmen gab am Dienstag bekannt, man werde die Flüge nach Chisinau „aufgrund der jüngsten Entwicklungen und des hohen, wenn auch nicht unmittelbar drohenden Risikos im Luftraum des Landes“ ab dem 14. März einstellen. Möglicherweise hängt diese Entscheidung auch mit einem Vorfall im vergangenen Monat zusammen, als eine vom Schwarzen Meer abgefeuerte russische Rakete durch den moldauischen Luftraum flog.

Der innenpolitische Druck auf die pro-europäische Regierung wächst

Zugleich wächst der innenpolitische Druck auf die pro-europäische Regierung. Am 10. Februar hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi vor einem von Russland initiierten Putschversuch in der Republik Moldau gewarnt, zwei Tage später konkretisierte Präsidentin Sandu: Ihre Regierung habe von Kiew Geheimdienstinformationen übermittelt bekommen, wonach die Russen einen Plan zur Destabilisierung Moldaus hätten.

Neu sind diese Vorwürfe nicht. Hinter den regierungsfeindlichen Protesten stehen nach Ansicht der moldauischen Regierung moskautreue Kräfte. „Die Proteste werden ganz klar orchestriert von Ilan Shor, die Teilnehmer werden meistens bezahlt“, behauptet Olga Rosca. Shor ist ein zwielichtiger Geschäftsmann, der verdächtigt wird, in einen gigantischen Raub verwickelt zu sein, bei dem vor acht Jahren bis zu eine Milliarde Dollar aus drei moldawischen Banken verschwanden. Er lebt jetzt in Israel und gilt als Moskaus wichtigstes Instrument zur Destabilisierung des Landes. Seine Partei stellt sechs Abgeordnete im Parlament von Moldau.

Das Regierungslager versucht dennoch, Optimismus zu verbreiten

Die Putschgerüchte führten in der Republik Moldau zu einem Austausch der Regierung. Am 10. Februar erklärten die bisherige Premierministerin Natalia Gavrilita und ihr Kabinett ihren Rücktritt. Zu ihrem Nachfolger wählte das Parlament, in dem die pro-europäische Regierungspartei „Aktion und Solidarität“, kurz PAS, die absolute Mehrheit hat, Dorin Recean. Recean war bis dahin der Nationale Sicherheitsberater der Präsidentin. Seine Wahl gilt als weiteres Indiz für die zunehmend prekäre Lage in der Republik Moldau.

Das Regierungslager versucht dennoch, Optimismus zu verbreiten. „Es sieht schlimmer aus, als es eigentlich ist. Die Situation ist unter Kontrolle, die Leute in Transnistrien wollen auch keinen Ärger“, sagt Mihai Popsoi, der stellvertretende Parlamentspräsident. Die Russen würden sich sicherlich einen Umsturz in der Republik Moldau wünschen, so der PAS-Politiker weiter, „aber sie haben nicht die Ressourcen und die Kapazitäten dazu“. Jedoch signalisieren Meinungsumfragen: pro-europäische Lager verliert in dem kleinen Land zusehend an Zustimmung.

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