Berlin. Nach dem Anschlag von Halle planen die Innenminister weitere Schritte. Ein sich ausbreitender Antisemitismus zwingt zum Handeln.

Noch immer sitzt der Schock tief, neun Tage nach dem Attentat von Halle geht die Suche nach Erklärungen weiter. Aber auch die Debatte, wie jüdisches Leben in Deutschland besser geschützt werden kann. Es hatte direkt nach dem Terror von Stephan B., der zwei Menschen das Leben gekostet hat, schwere Vorwürfe gegen die Sicherheitsbehörden gegeben.

Denn dass es kein Blutbad in der Synagoge gab, in die B. hatte eindringen wollen, lag nicht daran, dass vor der Tür Sicherheitspersonal oder Polizeibeamte standen. Sondern schlicht daran, dass die Tür sich nicht aufschießen ließ. Es rettete vermutlich Dutzenden Menschen das Leben.

Anders als einem jungen Mann: der 20-Jährige wurde in Merseburg, nahe der Stadt Halle, von B. erschossen. Am Freitag findet die Trauerfeier für ihn statt. Dazu wird in der Stadtkirche St. Maximi auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) erwartet.

In Berlin beraten unterdessen die Innenminister der Länder mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) über das weitere Vorgehen.

Nach Halle-Anschlag: Deutsche sehen Ausbreitung von Antisemitismus

Vor dem Attentat von Halle schätzte das Bundeskriminalamt (BKA) die Gefährdung für Synagogen und andere jüdische Einrichtungen durch Rechtsextremisten ähnlich hoch ein wie die Bedrohung durch radikale Islamisten. Nach dpa-Informationen heißt es in einer Einschätzung des BKA zum Rechtsextremismus aus dem Juni 2018, die Bedrohungslage sei „vergleichbar“ mit der durch den islamistischen Terrorismus.

Halle-Anschlag: Eine Frau stellt auf dem Marktplatz neben Blumen als Zeichen der Trauer eine Kerze auf. Am Freitag findet die Trauerfeier für eins der Opfer statt.
Halle-Anschlag: Eine Frau stellt auf dem Marktplatz neben Blumen als Zeichen der Trauer eine Kerze auf. Am Freitag findet die Trauerfeier für eins der Opfer statt. © dpa | Hendrik Schmidt

Eine Mehrheit der Deutschen ist einer Umfrage zufolge der Ansicht, dass sich der Antisemitismus ausbreitet. 59 Prozent sind nach dem neuen ARD-Deutschlandtrend von Infratest Dimap unter dem Eindruck des Terroranschlags von Halle dieser Ansicht. Das sind nach ARD-Angaben 19 Prozentpunkte mehr als noch vor einem Jahr.

Einige Bundesländer wollen nun mehr Geld für den Schutz jüdischer Einrichtungen bereitstellen. Die bisherigen Maßnahmen sollen überprüft werden, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur bei den Innenministerien und Sicherheitsbehörden der Länder ergab.

Besserer Schutz jüdischen Lebens in Deutschland – das planen die Länder

Ein Überblick über den Stand:

  • Baden-Württemberg: Die Landesregierung will zum Schutz jüdischer Einrichtungen rund eine Million Euro zusätzlich bereitstellen. Damit sollten vor allem kleine jüdische Gemeinden in die Lage versetzt werden, Sicherheitsstandards hochzufahren.
  • Bayern: Für bauliche und technische Maßnahmen an den rund 170 jüdischen Einrichtungen des Landes sollen drei Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden, kündigte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) an. Zusätzlich wolle man noch einmal auf alle jüdischen Gemeinden zugehen, um die Gefährdungslage neu zu bewerten.
  • Berlin: Die nach dem Anschlag hochgefahrenen Schutzmaßnahmen in der Hauptstadt gelten noch mindestens bis Ende Oktober. Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik hält auch technische Lösungen zum Schutz jüdischer Einrichtungen für nötig.
  • Brandenburg: Am 25. Oktober soll es nach Angaben des Innenministeriums eine Beratung zwischen der Polizei und Vertretern der jüdischen Gemeinden und Organisationen im Land geben. Dabei soll der Handlungsbedarf aus Sicht der jüdischen Vertreter besprochen werden. Auch um bauliche Maßnahmen soll es gehen.
  • Bremen: Die Synagoge wird nach Angaben der Jüdischen Gemeinde teils von Polizeibeamten direkt gesichert und zudem in kurzen Zeitabständen von Streifenwagen kontrolliert. Nach dem Anschlag in Halle sei der Schutz sofort verstärkt worden.
  • Hamburg: Vor den jüdischen Einrichtungen in der Hansestadt hat die Polizei seit dem Anschlag in Halle ihre Präsenzmaßnahmen erhöht. Zudem seien die Einsatzkräfte sensibilisiert worden, wie ein Polizeisprecher der Deutschen Presse-Agentur sagte.
  • Hessen: An jüdischen Einrichtungen werden laut Innenministerium immer an die aktuelle Gefährdungslagebewertung angepasste, offene und verdeckte polizeiliche Schutzmaßnahmen durchgeführt.
  • Mecklenburg-Vorpommern: Das Innenministerium verweist auf die Beratungen der Innenminister der Länder über eine möglichst abgestimmte Vorgehensweise. Ob sich daraus weitere Maßnahmen ergeben, könne erst nach dem Treffen gesagt werden.
  • Niedersachsen: Die Sicherheitslage wird nach Angaben des Innenministeriums derzeit neu aktualisiert und bewertet. In Austausch mit den Betroffenen werde geprüft, wie die Sicherheit verbessert werden kann.
  • Nordrhein-Westfalen: 67 jüdisch-israelische Einrichtungen haben nach dem Anschlag rund um die Uhr Polizeischutz, hieß es vom Innenministerium.
  • Rheinland-Pfalz: Das Land plant vorerst keine Erhöhung der Mittel für den baulichen Schutz von Synagogen. Die Regierung verweist darauf, dass vor einiger Zeit der im Haushalt vorgesehene Betrag bereits erhöht wurde. Allerdings wird die Polizei die Sicherheitslage der Einrichtungen jüdischen Lebens neu bewerten.
  • Saarland: Die Sicherheitsbehörden sind nach Angaben des Innenministeriums seit Jahren in stetem Austausch mit der Synagogengemeinschaft und ihren Vertretern. Es existiere ein Schutzkonzept, das fortlaufend geprüft werde.
  • Sachsen: Die Einrichtungen werden nach Angaben des Innenministeriums vom LKA beraten. Die Zahl der eingesetzten Beamten zum Schutz jüdischer Einrichtungen ist nach Angaben der Behörden abhängig von der täglichen Lage in den Polizeirevieren, der örtlichen Gegebenheit zum Schutzobjekt und dem täglich zur Verfügung stehenden Personal.
  • Sachsen-Anhalt: Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) will die Sicherheitsbehörden personell aufstocken. Zudem solle es Geld vom Land für den baulichen Schutz von Synagogen geben. Wie viel Geld das Land nun zur Verfügung stellen will, blieb zunächst offen.
  • Schleswig-Holstein: Man habe nach dem Anschlag die Sicherheitsmaßnahmen noch einmal überprüft und angepasst, sagte Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) der dpa.
  • Thüringen: Jüdische Einrichtungen werden laut Innenministerium momentan 24 Stunden bewacht. Langfristig wolle man die Sicherheit in den jüdischen Einrichtungen noch verbessern. Dabei gehe es unter anderem um Fluchtwege und die Widerstandsfähigkeit der Türen.

Anschlag von Halle – Die Tage danach

Einen Tag nach dem Angriff besuchen Jeremy Issacharoff (l.-r.), Botschafter des Staates Israel in Deutschland, Holger Stahlknecht, Innenminister von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Ehefrau Elke Büdenbender, den Tatort an der Synagoge.
Einen Tag nach dem Angriff besuchen Jeremy Issacharoff (l.-r.), Botschafter des Staates Israel in Deutschland, Holger Stahlknecht, Innenminister von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Ehefrau Elke Büdenbender, den Tatort an der Synagoge. © dpa | Jan Woitas
Trauernde legten Blumen vor der Synagoge in Halle nieder.
Trauernde legten Blumen vor der Synagoge in Halle nieder. © Reuters | FABRIZIO BENSCH
Frank-Walter Steinmeier besuchte am Donnerstag den Tatort in Halle. Der Staat müsse Verantwortung für die Sicherheit jüdischen Lebens in Deutschland übernehmen, so der Bundespräsident.
Frank-Walter Steinmeier besuchte am Donnerstag den Tatort in Halle. Der Staat müsse Verantwortung für die Sicherheit jüdischen Lebens in Deutschland übernehmen, so der Bundespräsident. © dpa | Soeren Stache
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (m.) gab im Beisein von Politikern und Vertretern der jüdischen Gemeinde an der Synagoge ein Statement ab.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (m.) gab im Beisein von Politikern und Vertretern der jüdischen Gemeinde an der Synagoge ein Statement ab. © dpa | Hendrik Schmidt
Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer besuchte den Tatort und legte Blumen nieder.
Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer besuchte den Tatort und legte Blumen nieder. © Reuters | FABRIZIO BENSCH
Am Donnerstagvormittag fand eine Mahnwache an der Synagoge statt. Hier ein Mann mit einer israelischen Fahne.
Am Donnerstagvormittag fand eine Mahnwache an der Synagoge statt. Hier ein Mann mit einer israelischen Fahne. © Reuters | FABRIZIO BENSCH
Fußballfans sind vor den Döner-Imbiss in Halle gekommen.
Fußballfans sind vor den Döner-Imbiss in Halle gekommen. © Reuters | Hannibal Hanschke
Eines der Opfer war Teil der HFC-Fankurve vom Drittligisten Hallescher FC.
Eines der Opfer war Teil der HFC-Fankurve vom Drittligisten Hallescher FC. © Reuters | Hannibal Hanschke
Die Fußballfans trauern: Beim Länderspiel zwischen Deutschland und Argentinien am Mittwochabend war in Dortmunder Westfalenstadion eine Gedenkminute für die Opfer von Halle abgehalten worden.
Die Fußballfans trauern: Beim Länderspiel zwischen Deutschland und Argentinien am Mittwochabend war in Dortmunder Westfalenstadion eine Gedenkminute für die Opfer von Halle abgehalten worden. © Reuters | Hannibal Hanschke
Sebastian Hartmann (SPD, l.-r.), Joachim Stamp (FDP), Oberrabbiner Raphael Evers (mit schwarzem Hut), Gemeindevorstandsmitglied Ruth Rubinstein, der Gemeindevorsitzende Oded Horowitz, Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident Nordrhein-Westfalen, Mona Neubaur und Felix Banaszak, NRW Vorsitzende Bündnis 90/Die Grünen, legen Rosen auf die Treppenstufen vor dem Eingang zur Synagoge in Düsseldorf.
Sebastian Hartmann (SPD, l.-r.), Joachim Stamp (FDP), Oberrabbiner Raphael Evers (mit schwarzem Hut), Gemeindevorstandsmitglied Ruth Rubinstein, der Gemeindevorsitzende Oded Horowitz, Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident Nordrhein-Westfalen, Mona Neubaur und Felix Banaszak, NRW Vorsitzende Bündnis 90/Die Grünen, legen Rosen auf die Treppenstufen vor dem Eingang zur Synagoge in Düsseldorf. © dpa | Caroline Seidel
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Noch immer steht die Frage im Raum, ob der Halle-Attentäter völlig allein handelte. In der Aufarbeitung des Terrors warf Horst Seehofer die Frage auf, wie gefährlich „rechte Gamer“ sind. Erschreckend ist die Erkenntnis, wie leicht Neonazis (und alle anderen) an Waffen kommen können. (ses/dpa)