Teheran. Der Erzkonservative Ebrahim Raeissi hat die Präsidentenwahl im Iran gewonnen. Nun richtet sich die internationale Aufmerksamkeit vor allem auf ein Thema: Was wird aus dem Wiener Atomabkommen?

Nach seinem Wahlsieg will sich der designierte neue iranische Präsident Ebrahim Raeissi heute in einer Pressekonferenz zu Wort melden. Dabei soll es unter anderem um das Wiener Atomabkommen von 2015 gehen, das vor dem Aus steht.

Die USA haben das Atomabkommen 2018 aufgekündigt und Sanktionen gegen den Iran eingeführt, die zu einer schweren Wirtschaftskrise in dem Land geführt haben. Entsprechend waren das Atomabkommen und die US-Sanktionen mit die wichtigsten Themen im Wahlkampf.

Die Europäische Union dringt nach der Wahl auf weitere Gespräche über das Atomabkommen JCPOA. "Die EU ist bereit, mit der neuen Regierung Irans zusammenzuarbeiten", erklärte eine Sprecherin des Außenbeauftragten Josep Borrell gestern Abend in Brüssel. "Bis dahin ist es wichtig, dass intensive diplomatische Bemühungen fortgesetzt werden, um das JCPOA wieder aufs richtige Gleis zu bringen." Gespräche über das Iran-Atomabkommen werden heute in Wien fortgesetzt. Ziel ist, sowohl die USA als auch den Iran dazu zu bringen, das Abkommen von 2015 wieder einzuhalten.

Ohne Verhandlungen mit den USA, die der erzkonservative Kleriker Raeissi und die ihn unterstützenden Hardliner in den vergangenen Jahren stets kritisiert hatten, werden die Sanktionen voraussichtlich nicht aufgehoben - und dementsprechend wäre auch kein Ende der Wirtschaftskrise realisierbar.

Der 60-jährige Raeissi hatte sich bei der Wahl vom Freitag klar gegen seine Konkurrenten durchgesetzt, mehr als 60 Prozent der Stimmen entfielen auf ihn. Die geringe Wahlbeteiligung unter den mehr als 59 Millionen Stimmberechtigten von 48,9 Prozent wird von Beobachtern als Wahlboykott und Warnsignal an das gesamte Establishment ausgelegt.

Raeissi war zuletzt Justizchef im Iran, politisch ist er ein unbeschriebenes Blatt. Die meisten politischen Beobachter gehen davon aus, dass er mit dem moderaten Kurs seines Amtsvorgänger Hassan Ruhani brechen wird. Wegen Menschenrechtsverletzungen steht Raeissi seit 2011 auf der Sanktionsliste der Europäischen Union, seit 2019 auf jener der USA. In der Nahostpolitik erwarten Experten, dass er im Verhältnis zum Erzfeind Israel einen noch feindseligeren Ton anschlagen wird. Russlands Staatschef Wladimir Putin indes gratulierte Raeissi am Samstag zum Wahlsieg. Die Beziehungen zwischen Russland und Iran seien traditionell freundschaftlich, hieß es in einer Mitteilung des Kreml.

Raeissi war vor vier Jahren noch an Ruhani gescheitert, dieses Mal stellte sich sein Weg ins Präsidialamt wesentlich leichter dar. Dafür sorgte auch der sogenannte Wächterrat, der als Wahlgremium ernsthafte Konkurrenten vor dem Urnengang aussortierte. "Das Ergebnis der Präsidentenwahl stand schon fest, bevor die Wahlurnen überhaupt geöffnet wurden", erklärte der außenpolitische Koordinator der Grünen/EFA-Fraktion im Europaparlament, Reinhard Bütikofer. Neben dem Atomabkommen sei es nun auch unerlässlich, "dass die EU zwei andere Seiten der iranischen Politik deutlich adressiert, nämlich die innere Unterdrückung unter brutaler Verachtung der Menschenrechte und die aggressive Projektion iranischer Macht in der ganzen Region. Beides dürfte unter dem neuen Präsidenten eher zunehmen".

Auch die Europaabgeordnete Cornelia Ernst (Linke) sagte, für die Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten im Iran sei das Wahlergebnis ein weiterer herber Rückschlag, "ihre Kämpfe werden noch schwieriger. Was wir tun können, müssen wir jetzt tun. Ihnen gilt unsere Solidarität und unsere Empathie".

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