Berlin. Nancy Faeser könnte SPD-Spitzenkandidatin in Hessen werden – und Ministerin bleiben. Doch der Spagat wäre ein riskanter Schritt.

Es gibt einen Namen, der für ein politisches Risiko-Szenario steht: Norbert Röttgen. Er war einst Bundesumweltminister für die CDU in einer Koalition mit der FDP in Berlin. 2012 kandidierte er als CDU-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Seinen Ministerposten in Berlin gab er dafür aber nicht auf. Er wollte bis zur Wahl im Amt bleiben – und im Fall einer Niederlage auch danach. Am Ende verlor Röttgen beides: die Wahl zum Landeschef und den Posten als Minister.

Nun steht Nancy Faeser, aktuell Bundesinnenministerin, offenbar vor einem ähnlich riskanten Schritt. Die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass Faeser für die SPD in Hessen als Spitzenkandidatin in den Wahlkampf ziehen will. Im Herbst wird dort ein neuer Landtag gewählt. Offiziell wollen weder SPD noch Innenministerium die Meldung kommentieren. Seit Wochen weichen Faeser und die Partei der Hessen-Frage aus.

Lesen Sie hier mehr: Nancy Faeser: Darum ist ihre Kandidatur für die SPD heikel

Generalsekretär Czaja macht klare Ansage

CDU-Generalsekretär Mario Czaja hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser aufgefordert, die Bundesregierung zu verlassen, wenn sie SPD-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Hessen wird. "Ein so wichtiges Amt wie das Innenministerium darf gerade in Bedrohungszeiten wie diesen nicht als Rückfalloption für gescheiterte Landtagswahlkämpferinnen missbraucht werden. Und die Innere Sicherheit unseres Landes ist auch kein Teilzeitjob", sagte Czaja unserer Redaktion. "Entweder Nancy Faeser bleibt also Innenministerin, oder sie tritt in Hessen an - dann aber bitte ohne Rückfahrschein. Alles andere wäre auch respektlos gegenüber den Wählerinnen und Wählern in Hessen."

Faeser müsse ihrer Verantwortung gerecht werden und sich "nun endlich entscheiden, ob sie für die Innere Sicherheit verantwortlich sein will, oder für den Wahlkampf in Hessen". In Hessen wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Medienberichten zufolge wird Faeser Spitzenkandidatin der SPD – und bleibt gleichwohl Bundesinnenministerin.

Hessen oder Berlin: SPD will Faeser-Entscheidung am Freitag verkünden

Allerdings will die SPD in Hessen erst Freitag final bekannt geben, wer für die Partei in den Wahlkampf zieht. Zuletzt hatten sich die Hinweise aus dem Umfeld der Ministerin verdichtet, dass Faeser tatsächlich ins Rennen geht – und offenbar während des Wahlkampfs Innenministerin bleiben soll. Ob sie dies auch bei einer Niederlage bleiben darf, oder in die hessische Opposition muss, ist eine entscheidende Frage.

Innerhalb der Ampel-Koalition scheint es aktuell keine Einigkeit darüber zu geben, ob ein Verbleib im Ministeramt im Falle einer Spitzenkandidatur ein angemessener Schritt wäre. FDP-Vize Wolfgang Kubicki zeigte sich im Gespräch mit dieser Redaktion wenig begeistert: Das Innenministerium sei "keine geeignete Wahlkampfbühne", so Kubicki. "Ich erwarte, dass Frau Faeser ihre Rollen auseinander hält." Letztlich müsse die SPD selbst wissen, ob das "Modell Röttgen" eine kluge Strategie sei.

Laut SZ soll Faeser sich jedoch mit Bundeskanzler Olaf Scholz darauf verständigt haben, dass sie Bundesministerin bleiben kann, sofern sie kandidiert. In Umfragen liegt die SPD in Hessen deutlich hinter der CDU. Im Interview mit der FAZ hatte Faeser jüngst gesagt, dass sie „mit großer Kraft und Leidenschaft Bundesinnenministerin“ sei. Und: „Daran wird sich so schnell nichts ändern.“

Nancy Faeser ist präsent – und vielleicht schon im Wahlkampf-Modus?

Das waren bereits deutlich Worte – ohne eine Entscheidung zu verkünden. Auf einen Entschluss für eine Kandidatur drängten offenbar vor allem die Sozialdemokraten in Hessen. Denn dort gibt es abseits von Faeser kaum aussichtsreiche Kandidaten für den Wahlkampf. Faeser dagegen hat mit dem Amt der Bundesministerin hohen Bekanntheitsgrad, war nach den Ausschreitungen in der Silvesternacht in vielen Medien präsent, gab sich zuletzt mit klarer Kante zu Abschiebungen, Vorratsdatenspeicherung und schärferem Waffenrecht schon ein wenig im Wahlkampf-Modus..

Silvester-Krawalle: Faeser fordert schnelle Verurteilung der Straftäter

weitere Videos

    Doch nicht alle halten einen solchen Schritt für klug – vor allem in der Bundes-SPD. „Kluge Menschen lernen aus ihren Fehlern, klügere auch aus den Fehlern anderer“, hatte SPD-Vorsitzende Saskia Esken im Gespräch mit unserer Redaktion noch zum Jahreswechsel gesagt. Sie spielte auf den Fehler von Norbert Röttgen an, in NRW zu kandidieren und in Berlin Minister zu bleiben. Denn die Doppelbelastung – Wahlkampf und Bundesregierung – ist hoch. Möglicherweise müsste Faeser sich entscheiden, erst sehr spät voll in den Wahlkampf in Hessen einzusteigen.

    Eines unterscheidet Faeser allerdings von Röttgen. Sie ist deutlich stärker landespolitisch in Hessen verwurzelt, als es Röttgen in NRW war. Die 52 Jahre alte Juristin kam 2021 als Fraktionsvorsitzende im Landtag nach Berlin, war davor mehrere Jahre erst Generalsekretärin, dann Landesvorsitzende der SPD in Hessen. 2003 bis 2021, fast 20 Jahre, war sie Abgeordnete im hessischen Landtag.