Berlin. Minister Spahn will eine Wiederspruchlösung bei Organspenden. Aber wie stehen die Chancen für seinen Vorschlag? Jetzt wird abgestimmt.

Der Bundestag stimmt am Donnerstag über eine lebensentscheidende Frage ab: Wie geht Deutschland in Zukunft mit Organspendern um? Zur Abstimmung stehen zwei Vorschläge. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will, dass jeder Bundesbürger automatisch Organspender ist – es sei denn, er widerspricht ausdrücklich.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock geht das zu weit, sie will keinen Automatismus einführen. Beide haben parteiübergreifend Unterstützer. Noch ist aber offen, wie sich die vielen bislang Unentschlossenen unter den 709 Abgeordneten am Ende entscheiden, doch eines ist bereits jetzt klar: Für Spahns Vorschlag wird es eng. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Organspende-Gesetzentwurf: Kommt Widerspruchsregelung?

Die Abgeordnetengruppe um Jens Spahn und den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach will eine doppelte Widerspruchslösung einführen. Demnach soll künftig jeder Organspender sein, der älter als 16 Jahre ist und nicht seinen Widerspruch in einem staatlichen Organspende-Register dokumentiert oder seinen Angehörigen mitgeteilt hat.

„Jeder hat damit die Verpflichtung, sich mit der Spenderfrage zu befassen“, argumentiert Spahn. Ihn stört, dass es in Deutschland eine Lücke zwischen Haltung und Handeln gibt: Acht von zehn Deutschen halten Organspenden für richtig, doch nicht einmal die Hälfte handelt auch danach: Nur 36 Prozent der Deutschen haben einen Spenderausweis.

Organspende-Widerspruchsregelung – was will Jens Spahn?

  • Spahns Idee: Vor einer möglichen Organentnahme muss der zuständige Arzt beim Register anfragen, ob ein Widerspruch vorliegt.
  • Gibt es dort keine Willenserklärung, muss der Arzt den nächsten Angehörigen oder einen anderen nahe stehenden Vertrauten fragen, ob es irgendwo sonst einen schriftlichen Widerspruch oder Hinweise auf einen klar geäußerten Willen gegen eine Organspende gibt.
  • Scheidet auch das aus, kann transplantiert werden.

Spahn und Lauterbach sprechen deswegen von einer doppelten Widerspruchslösung – erst die Anfrage ans Register, dann die Absicherung durch die Angehörigen. Möglich soll es zudem sein, die Entscheidung mit Hilfe eines Eintrags im Register auf eine namentlich genannte Person zu übertragen. Was hinter Jens Spahns Forderung zur Organspende steht.

Wie sieht der Gegenvorschlag aus?

Eine parteiübergreifende Gruppe um die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock schlägt eine Zustimmungslösung vor, bei der potenzielle Organspender regelmäßig daran erinnert werden sollen, ihre Entscheidung in einem staatlichen Spender-Register zu dokumentieren.

„Mit der wiederkehrenden Befragung – spätestens alle zehn Jahre – machen wir zusammen mit Abgeordneten von Union, SPD, FDP und Linken einen Vorschlag, der einerseits die Zahl der Organspendenzahlen erhöht, das Recht auf die Unversehrtheit des eigenen Körpers wahrt und zugleich zeitnah umzusetzen ist“, sagte Baerbock im Dezember unserer Redaktion. „Zudem machen wir einen Vorschlag, der verfassungsschonender ist.“

Baerbocks Gruppe warnt davor, Stillschweigen als Freigabe der eigenen Organe zu bewerten.

Organspende-Gesetz: Wie soll die Abstimmung laufen?

Mehr als ein Jahr nach der ersten Orientierungsdebatte steht jetzt das finale Votum an: Am Donnerstag (16. Januar) sollen die Abgeordneten ohne Fraktionszwang zunächst über Spahns Vorschlag abstimmen. Um angenommen zu werden, braucht der Vorschlag mehr Ja-Stimmen als Nein-Stimmen.

Zuletzt hatten sich rund 220 der 709 Abgeordneten hinter die Widerspruchslösung gestellt. Für Baerbocks Vorschlag waren gut 190 Parlamentarier. Auch die AfD mit ihren 91 Abgeordneten lehnt Spahns Vorschlag mehrheitlich ab. Rund 200 Parlamentarier waren zuletzt noch unentschieden. Sollte Spahns Vorschlag scheitern, kommt Baerbocks Antrag zur Abstimmung. Zuletzt hatte es in der Bevölkerung eine Zustimmung für die Widerspruchslösung zur Organspende gegeben.

In diesem Fall wird es darauf ankommen, wie sich die Spahn-Anhänger verhalten. Stimmen sie für den zweiten Antrag, um wenigstens eine kleine Veränderung der Spenderegeln zu erreichen? Enthalten sie sich oder stimmen sie mit Nein? Viel dürfte davon abhängen, wie sich der Minister selbst positioniert.

Widerspruchsregelung: Was passiert, wenn beide Anträge keine Mehrheit finden?

Für den Fall, dass auch Baerbock scheitert, würde sich an den geltenden Regeln zunächst nichts ändern. Bislang gilt: Wer seine Organe spenden will, muss das dokumentieren, am besten per Spenderausweis. Doch weil eine parteiübergreifende Mehrheit zumindest die Einrichtung eines staatlichen Spenderregisters befürwortet, könnte ein neuer, gemeinsamer Antrag in Kürze eine große Mehrheit für die Einrichtung eines zentralen Erfassungssystems im Bundestag finden.

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    Langfristig ist aber auch ein weiterer Anlauf für eine Widerspruchslösung denkbar: „Ich hoffe, dass es diesmal für die Widerspruchslösung reicht“, sagte SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach im Dezember unserer Redaktion. „Unabhängig vom Ergebnis bin ich jedoch sicher: Die Widerspruchslösung wird früher oder später auch in Deutschland eingeführt werden.“

    Sie sei die einzige Möglichkeit, die Zahl der Organspenden deutlich zu erhöhen. Deutschland könne sich nicht leisten, bei den Spenderzahlen weiter Schlusslicht zu sein. „Wenn es dieses Mal nicht dazu kommt, wird es in absehbarer Zeit einen neuen Versuch geben.“