Berlin. Höchste Ehren für die etwa 90.000 Soldaten, die mit der Bundeswehr in Afghanistan waren. 59 Männer ließen dort ihr Leben. Dass am Ende des Einsatzes eine Machtübernahme der Taliban steht, wirft bittere Fragen auf.

Bundestag und Bundesregierung haben den etwa 90.000 in Afghanistan eingesetzten Männern und Frauen der Bundeswehr für ihren schwierigen Einsatz gedankt.

Auf einen Abschlussappell vor dem Verteidigungsministerium folgte vor dem Reichstagsgebäude ein Großer Zapfenstreich als höchstes militärisches Zeremoniell der deutschen Streitkräfte. Anwesend waren Vertreter der fünf Verfassungsorgane, darunter Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Bei dem Gedenkakt vor dem Verteidigungsministerium wurde auch der 59 Soldaten gedacht, die in den vergangenen 20 Jahren in Afghanistan ihr Leben ließen, davon 35 bei Gefechten oder Anschlägen. "Sie haben den höchsten Preis gezahlt, den ein Soldat im Auftrag seines Landes zahlen kann. Wir stehen tief in ihrer Schuld", sagte dort Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der wie auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) zu den angetretenen Soldaten und Gästen sprach.

Nach der Machtübernahme der militant-islamischen Taliban im August wurden dabei eigene Entscheidungen kritisch hinterfragt. "Zwanzig Jahre nach dem 11. September und zwei Monate nach dem Fall von Kabul stellen viele Menschen, die in Afghanistan gedient und gelitten haben, Fragen. Fragen nach dem Sinn dieses Einsatzes. Es sind schwierige Fragen, bittere Fragen", sagte Steinmeier. "Sie richten sich an das Parlament und an die Regierungen, die die Bundeswehr nach Afghanistan geschickt haben." Eine Frage sei, warum es trotz aller Anstrengungen und Ressourcen nicht gelungen sei, in Afghanistan eine stabile, selbsttragende politische und gesellschaftliche Ordnung aufzubauen.

Kein Einsatz habe die Bundeswehr so geprägt wie Afghanistan, sagte Kramp-Karrenbauer. "Keiner zuvor war so lange, so intensiv, so gefährlich." Die Bundeswehr habe ihren vom Parlament erteilten Auftrag erfüllt. Für eine ehrliche Bilanz sei aber auch festzustellen: "Deutschlands Anspruch in Afghanistan war größer als das, was die Bundeswehr hätte leisten können."

Kramp-Karrenbauer sagte zu den Leistungen der Bundeswehr: "Von Afghanistan ging 20 Jahre lang keine terroristische Bedrohung für das Bündnis aus. Sie alle haben quasi aus dem Nichts die afghanischen Sicherheitskräfte aufgebaut. Eine Generation Männer und Frauen konnte freier und sicherer aufwachsen. Doch es gibt auch einiges, was die Bundeswehr als Armee nicht kann: Der Aufbau einer Zivilgesellschaft, das Errichten einer Demokratie oder der Aufbau einer Wirtschaft sind nicht der Auftrag von bewaffneten Streitkräften."

Mit Blick auf den Sieg der militant-islamistischen Taliban sagte sie, die afghanischen Sicherheitskräfte seien zwar gut ausgebildet worden. "Aber: Eine Armee muss wissen, wofür sie kämpft, sie braucht Rückhalt und Zusammenhalt. Beides, und das ist eine bittere Lektion, kann man von außen kaum ausbilden."

Steinmeier: "Wir stehen an einer Wegscheide"

Steinmeier warnte vor falschen Schlüssen aus der Machtübernahme der Taliban. "Für mich steht fest: Der Fall von Kabul war eine Zäsur. Wir stehen an einer Wegscheide, die uns dazu zwingt, über unsere Verantwortung in der Welt, unsere Möglichkeiten und deren Grenzen neu und selbstkritisch nachzudenken", sagte Steinmeier. "Ich hoffe, dass wir in 20 Jahren nicht auf diese Wegscheide zurückblicken und sagen: Resignation und Rückzug war die Antwort auf Afghanistan. Es wäre die falsche Lehre!" Er sei überzeugt: "Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik nach Afghanistan muss ehrlicher, klüger und stärker werden."

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) dankte den in Afghanistan eingesetzten Polizistinnen und Polizisten. Bei einem Treffen mit 19 Beamten des letzten Kontingents sagte er in Berlin: "Ihrem Einsatz haben wir zu verdanken, dass Deutschland international ein hohes Maß an Wertschätzung, Achtung und Respekt genießt."

Insgesamt waren über die Jahre 1500 deutsche Polizistinnen und Polizisten in Afghanistan im Einsatz. Sie hatten den Aufbau der afghanischen Polizei unterstützt, den Schutz deutscher Diplomaten gewährleistet und bei der praktischen Abwicklung von Abschiebungen von Deutschland nach Afghanistan geholfen. Die Bundesregierung hat angekündigt, den Afghanistaneinsatz zu analysieren, "um Schlussfolgerungen für das weitere internationale Engagement" zu ziehen.

Realistische Ziele gefordert

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, forderte, für die Auslandseinsätze künftig konkrete und erreichbare Ziele zu benennen. "Diese Ziele müssen realistisch sein. In den letzten Jahren haben wir festgestellt, dass Politik oft eine Machbarkeitsillusion formuliert hat, und Soldatinnen und Soldaten, aber auch Entwicklungshelfer haben sich gefragt: Wie soll das hier möglich sein?", sagte der Oberstleutnant dem TV-Sender Phoenix.

Der Bundeswehrverband ist die Interessenvertretung von Soldaten und Zivilbeschäftigten und hat etwa 200 000 Mitglieder. Mit Blick auf den laufenden Bundeswehreinsatz in Westafrika fordert Wüstner: "Elementar ist auch für Mali, dass wir Ziele konkretisieren und sagen, was für einen Endzustand in der Region wünschen wir uns, damit wir unser Engagement wieder beenden können. Diese Exit-Strategie, von der die Wissenschaft auch immer wieder spricht, die gab es für Afghanistan nicht und die gibt es bis heute noch nicht für Mali."

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