Brüssel. Jagd auf Oligarchen-Vermögen, Druck auf den Kreml: Die EU beschließt neue Sanktionen gegen Russland. Aber wirken die Strafen auch?

Neue Sanktionen, scharfe Rhetorik gegen Russland wegen des Ukraine-Kriegs: Mit einem weiteren Sanktionspaket will die Europäische Union nach den Worten von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen „die Schlinge um Russland immer enger ziehen“. Vertreter der EU-Mitgliedstaaten beschlossen in Brüssel dieses bereits zehnte Sanktionspaket - anlässlich des Jahrestags der russischen Invasion in der Ukraine., allerdings mit großer Verspätung.

Vorgesehen sind vor allem weitere Ausfuhrverbote für Industriegüter im Umfang von rund elf Milliarden Euro, ein härterer Zugriff auf westliche Vermögen von russischen Oligarchen, die Erweiterung der Sanktionsliste gegen Einzelpersonen. Zudem ist ein strengeres Vorgehen gegen die Umgehung der schon geltenden Maßnahmen vereinbart. Von der Leyen sagte, gegen Russland seien „die härtesten Sanktionen“ verhängt worden, die die Europäische Union jemals beschlossen habe. Die „Daumenschrauben“ würden nun fester gezogen. Im Wesentlichen enthält das Paket vier neue Strafen für Russlands Präsident Wladimir Putin und sein Kriegsregime:

Das sind die vier neuen Strafen für Putin

  • Jagd auf Oligarchen-Vermögen: Die EU intensiviert die Suche nach russischen Oligarchen, die versuchen, ihr Vermögen zu verstecken oder zu verkaufen, um den Sanktionen zu entgehen. Bislang haben die Mitgliedstaaten solche Vermögen in einer Gesamthöhe von 17 Milliarden Euro eingefroren. Gemeinsam mit den Mitgliedstaaten soll die EU-Kommission eine Liste aller eingefrorenen Vermögenswerte der Russischen Zentralbank in der EU aufstellen. Damit sollen nach von der Leyens Angaben die Weichen gestellt werden, um Vermögen des russischen Staates später zum Wiederaufbau in der Ukraine verwenden zu können.
  • Neue Ausfuhrverbote: Die EU will der russischen Wirtschaft weitere kritische Technologie und industrielle Güter entziehen – gezielt solche, die Russland nicht von Drittstaaten wie China beziehen kann. Dabei geht es um Industrieprodukte aus dem Bereich der Elektronik, Spezialfahrzeuge, Maschinenteile, Ersatzteile für Lkw und Triebwerke. Aber auch Güter aus dem Baugewerbe wie Antennen oder Kräne, die Russland militärisch nutzen könnte, gehören dazu.
  • Kontrollen für Tech-Güter: Russland soll der Kauf von Gütern mit fortschrittlicher Technologie erschwert werden, die sich sowohl zivil als auch militärisch nutzen lassen. Dabei geht es um 47 elektronische Bauteile, die auch für Drohnen, Raketen und Hubschrauber verwendet werden könnten, zudem sollen bestimmte Seltene Erden und Wärmebildkameras unter die Kontrollen fallen. „Wir verbieten alle Tech-Produkte, die auf dem Schlachtfeld benötigt werden“, sagt von der Leyen. Erstmals sollen diese Sanktionen nicht nur für Russland direkt gelten, sondern auch für Unternehmen ausgewählter Drittstaaten. Zunächst betrifft das mehrere Hersteller im Iran, die bestimmte sensible Güter nicht mehr an Russland verkaufen dürfen. Hintergrund ist, dass die iranischen Revolutionsgarden Russland mit Kampfdrohnen vom Typ Shahed beliefern. „Wir sind bereit, dieses Embargo auf weitere Unternehmen im Iran und in anderen Drittstaaten auszuweiten, die Russland mit sensiblen Gütern beliefern“, warnt von der Leyen. „Damit wollen wir andere Unternehmen und internationale Händler abschrecken.“
  • Reiseverbote: Die EU erweitert erneut die Liste von Personen, die nicht mehr in die EU reisen dürfen und deren eventuell hier vorhandenes Vermögen auf Eis gelegt wird. Diesmal trifft es neben weiteren militärischen Befehlshabern auch sogenannte Propagandisten, die sich an Putins Desinformations-Kampagnen beteiligen. Insgesamt geht es um 120 Personen und Organisationen sowie drei weitere russische Banken. Der Plan, auch Familienmitglieder von bereits sanktionierten Oligarchen auf die Liste zu setzen, wurde aber nicht beschlossen.
Öltanks des russischen Staatskonzerns Transneft in Ust-Luga. Der Preisdeckel für russisches Rohöl und das Einfuhrverbot in die EU setzen der russischen Ölbranche zu.
Öltanks des russischen Staatskonzerns Transneft in Ust-Luga. Der Preisdeckel für russisches Rohöl und das Einfuhrverbot in die EU setzen der russischen Ölbranche zu. © dpa | Stringer

Auch andere westliche Staaten gaben neue Strafmaßnahmen gegen Russland bekannt. In Washington erklärte die US-Regierung, neue Sanktionen zielten auf Banken und die Rüstungsindustrie und richteten sich gegen 200 Personen und Einrichtungen – sowohl russische Akteure als auch solche aus Drittländern, die Russlands Kriegsanstrengungen unterstützen. Betroffen von den Sanktionen der USA sind unter anderem „ein Dutzend russische Finanzinstitute“. Das US-Handelsministerium wird Exportkontrollen gegen fast 90 Unternehmen aus Russland und Drittländern wie China verhängen, weil diese sich an Aktivitäten zur Umgehung der Sanktionen beteiligten.

Großbritannien beschloss Ausfuhrbeschränkungen unter anderem für Flugzeugteile, Funkgeräte sowie elektronische Komponenten, die von der russischen Rüstungsindustrie etwa zur Herstellung von Drohnen verwendet werden könnten. Mehrere ranghohe Manager des staatlichen russischen Atomkonzerns Rosatom sowie von zwei der größten Rüstungsunternehmen wurden auf die Sanktionsliste gesetzt.

Sanktionen gegen Russland: Bisher über 500 Einzel-Strafen

Allerdings wurde das EU-Paket erst mit tagelanger Verzögerung in letzter Minute vorgelegt, weil Details der Strafmaßnahmen unter den EU-Staaten strittig waren – unter anderem zum Importverbot von synthetischem Kautschuk aus Russland für die Reifenproduktion, für das Italien eine längere Übergangszeit verlangt. Große Konfliktpunkte, vor allem das immer noch ausstehende Verbot russischer Diamantenimporte in die EU, waren aber sowieso schon im Vorfeld ausgeklammert worden.

Innerhalb der EU gibt es zunehmend Diskussionen über die bisherige Sanktionspraxis. Zwölf EU-Staaten unter Führung der Niederlande beklagen jetzt in einem gemeinsamen Papier, Russland sei „mittlerweile äußerst kreativ in seiner Taktik, Sanktionen zu umgehen und sich mit Rüstungsgütern zu versorgen.“ Die EU müsse erfolgreich die von Russland bisher genutzten Schlupflöcher schließen. In den bisherigen Paketen hat die EU innerhalb eines Jahres 500 Einzel-Sanktionen beschlossen: Sie umfassen im wesentlichen das Einfrieren von russischem Auslandsvermögen der Zentralbank in Höhe von 300 Milliarden Dollar, die Abkopplung russischer Banken vom internationalen Zahlungsverkehr, Reiseverbote und Vermögenssperren für rund 1400 Einzelpersonen und 171 Organisationen, umfangreiche Exportverbote vor allem im Technologiesektor sowie Importbeschränkungen (etwa Kohle, Stahl, Gold). Seit drei Monaten ist auch ein Ölpreisdeckel und ein weitgehendes Importverbot für russisches Öl in Kraft.

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Gefährliche Lücken: So umgeht Russland die Sanktionen

Allerdings ist es Russland gelungen, die Handelsrestriktionen teilweise zu umgehen, indem Warenlieferungen jetzt über Drittstaaten laufen. So schrumpfte die russische Wirtschaft 2022 relativ moderat um 2,2 Prozent. Auch wenn unklar ist, wie verlässlich diese Berechnung in Kriegszeiten ist, so ist der Einbruch für Russland viel weniger dramatisch als im Westen erhofft – vor einem Jahr wurde noch auf einen schnellen Zusammenbruch des russischen Finanzsektors spekuliert.

Nachdem von Anfang an vor allem die Türkei, China und Indien im Verdacht stehen, Putin bei der Sanktionsverletzung hilfreich zu sein, hat die EU jetzt auch kleinere Länder wie Kasachstan im Verdacht, als Drehscheibe für westliche Güter in Richtung Russland zu dienen. Der EU-Sonderbeauftragte für die Sanktionsdurchsetzung, David O’Sullivan, ist mit den Staaten in Kontakt, um die strenge Durchsetzung der Sanktionen sicherzustellen. Zuletzt hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) angekündigt, die Umgehung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland strenger zu kontrollieren. „Es gibt deutliche Umgehungen der Sanktionen, und es gibt auch deutliche Umgehungen aus Deutschland heraus“, sagt Habeck. Dies sei kein Kavaliersdelikt und bereits strafbewehrt. Der Wirtschaftsminister klagt: „Hier wird das Interesse der Menschen, die um ihre Freiheit kämpfen, verraten“.

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