Erfurt. Die Landtagswahl in Thüringen hat mit der Linkspartei einen klaren Gewinner. Die Regierungsbildung allerdings wird eine harte Nuss.

Lothar Hoffmann sitzt an einem Holztisch vor der großen Bühne mit der Leinwand und dem Logo der Linkspartei. Hoffmann ist seit 1989 bei der Linken, vorher war er in der SED. In wenigen Minuten kommt die erste Prognose zur Wahl hier in Thüringen auf die Leinwand.

Die Linke feiert auf einem Industriegebiet nahe der Innenstadt, im „Zughafen“, einem Kulturzentrum, hölzernes Gebälk, alternativer Charme. Als Erstes legte der DJ „Bella Ciao“ auf, ein Kampflied der italienischen Partisanen im Kampf gegen den Faschismus.

Linke: Stürmischer Jubel über Ramelows Wahlergebnis

Hoffmann, ein älterer Mann mit grauem Hemd, ist gut gelaunt. Er trinkt ein Bier, quatscht mit einem Parteikollegen aus Bremen. Und Hoffmann sagt: „Es gibt sogar noch Bananen in Thüringen – obwohl die Roten regieren.“

Diese Ironie ist Hoffmanns Botschaft an alle, die gesagt haben: Die Linke regiert in Thüringen, jetzt geht’s zurück in den real existierenden Sozialismus. Hoffmann: „Ramelow macht einen super Job. Der ist nah am Volk. Der weiß, was er will.“

Um 18 Uhr flackert die Bestätigung für Lothar Hoffmann über die große Leinwand in der Kulturhalle. Die Linke mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow wird in Thüringen laut Hochrechnungen die stärkste Partei. Und das deutlich vor der CDU.

In dem Kulturzentrum hallt der Jubel der Linkspartei-Anhänger bis unter die Giebel. Buhrufe kommen beim Ergebnis der AfD. Die rechte Partei kann laut Prognosen ihr Ergebnis von der letzten Wahl mehr als verdoppeln.

Alle Entwicklungen nach der Landtagswahl in Thüringen hier im Newsblog

CDU der große Verlierer in Thüringen

Wahlverlierer: CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring schließt die Augen nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses.
Wahlverlierer: CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring schließt die Augen nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses. © dpa | Michael Reichel

Die CDU ist der Verlierer des Wahlabends. Sofern das Endergebnis die Hochrechnungen bestätigt, liegen die Christdemokraten sogar noch hinter der AfD. Es ist ihr schlechtestes Ergebnis in diesem Bundesland. Das ist bitter – denn Thüringen war 24 Jahre lang Hochburg der CDU.

Ministerpräsidenten wie Bernhard Vogel erreichten Ende der 1990er-Jahre mehr als 50 Prozent. Ministerpräsident Dieter Althaus kam 2009 noch auf über 30 Prozent. Und selbst der aktuelle Spitzenkandidat Mike Mohring war bei der vergangenen Wahl 2014 mit seiner CDU immerhin noch stärkste Kraft – auch wenn am Ende die Linke regierte.

Klar ist nach dieser Wahl, dass die Linke nicht nur eine kurze Episode nach einer jahrzehntelangen CDU-Regentschaft ist. Ramelow kann sein Ergebnis aus der vergangenen Wahl offenbar noch verbessern. Auf der Wahlparty der Linken ist der „Ramelow-Effekt“ allgegenwärtig.

Ist das historisch gute Ergebnis am Ende auch etwas wert?

So wie Linken-Mitglied Hoffmann reden viele bei den Thüringer Linken über Ramelow, 63, der die rot-rot-grüne Regierung führte. Ein Unternehmer aus dem Erfurter Umland ist da und lobt die Linke. Auch der junge Matteo, die Dreadlocks zum Pferdeschwanz gebunden, sagt: „Ich kann kein schlechtes Wort über Ramelow verlieren.“

Kurz nach der ersten Prognose steht Wahlsieger Ramelow vor den Fernsehkameras. Aufgrund der hohen Wahlbeteiligung sei er stolz auf Thüringen. „Das ist ein großer Tag für unser Parlament.“ Dann sagt Ramelow: „Ich sehe mich ganz klar bestärkt. Der Regierungsauftrag ist bei meiner Partei. Und ich werde diesen Auftrag annehmen.“ Nur wie?

Denn die schlechte Nachricht für die deutsche Linke an diesem Abend: Die Partei von Ramelow muss schauen, was das am Ende wert ist. Dem Ministerpräsidenten fehlt ein stabiles Regierungsbündnis. Für die Fortsetzung von Rot-Rot-Grün reicht es nicht. Die Verluste von SPD und Grünen sind zu groß. Auch Bodo Ramelow sagt am Wahlabend: „Wir werden noch eine lange Nacht haben.“ Der amtierende Ministerpräsident wolle nun mit allen demokratischen Parteien reden.

CDU schließt Koalition mit den Linken aus

Die Grünen kommen gerade so über die Fünfprozenthürde, die SPD fährt laut ersten Prognosen ihr schlechtestes Ergebnis in diesem Bundesland ein. Die Talfahrt der Sozialdemokraten geht ungebrochen weiter. Nach Sachsen und Brandenburg – jetzt auch in Thüringen.

Rechnerisch denkbar wäre ein Viererbündnis von Linkspartei, SPD, Grünen und FDP. Doch die Liberalen schließen eine solche Koalition am Abend aus. Stabil wäre ein Bündnis von Linken und CDU. Doch diese Koalition mit der Linkspartei hatten die Christdemokraten bereits zuvor ausgeschlossen, Generalsekretär Paul Ziemiak bekräftigte am Abend, dass es eine Kooperation mit der PDS-Nachfolgepartei nicht geben wird.

Höcke- Beim nächsten Mal holen wir die absolute Mehrheit

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    Ramelow kann auch ohne Mehrheit im Amt bleiben

    Doch Thüringen ist besonders. Und das spielt Ramelow in die Karten. Gelingt eine Regierungsbildung nicht, könnte er dennoch im Amt verbleiben – selbst wenn die Wählerstimmen das nicht hergeben. Grund dafür ist die Thüringer Verfassung.

    Denn diese gibt nicht vor, bis wann der neu gewählte Landtag seinen Ministerpräsidenten zu wählen hat. Zumindest bis Ende 2020 könnte Ramelow seine Arbeit mit einer Minderheitsregierung fortführen. Auch weil die Landesregierung vorgesorgt hat: Der Haushalt für 2020 ist bereits in diesem Sommer beschlossen worden.

    Doch klar ist: Der Druck auf Ramelow wächst, das Regieren wird schwieriger – auch wegen einer erschreckend starken Opposition von ganz rechts.

    AfD-Flügel warnt vor „Tod des deutschen Volkes“

    Thüringens AfD-Fraktionschef Björn Höcke (r.) und Bundeschef Alexander Gauland jubeln über die erste Prognose.
    Thüringens AfD-Fraktionschef Björn Höcke (r.) und Bundeschef Alexander Gauland jubeln über die erste Prognose. © dpa | Jens Büttner

    Am Abend steht Björn Höcke vor seinen Anhängern. „Die Thüringer haben heute die Wende 2.0 gewählt“, ruft er – als wäre Deutschland eine Diktatur wie die DDR. „Wir wollen eine neue vitale Demokratie in Thüringen und in Deutschland“, sagt Höcke. Auch wenn Höcke am Wahlabend von „vitaler Demokratie“ redet – sein „Flügel“ warnt vor dem „Tod des deutschen Volkes“, der bewusst durch die Einwanderungspolitik der Bundesregierung herbeigeführt werde.

    Damit bespielt Höcke die gleiche Propaganda, die auch die rechtsextremen „Identitären“ nutzen. Und Gedanken, auf die sich auch Rechtsterroristen bei Attentaten in der Vergangenheit berufen hatten.

    Links und rechts gewinnen, die Mitte verliert

    Die AfD ist in Thüringen keine extrem rechte Splitterpartei. Sie bekommt etwa ein Viertel der Stimmen der Menschen. Trotz Höcke. Und auch gerade wegen ihm. Thüringen ist in diesem Herbst 2019 ein bisschen auch ein Spiegel eines polarisierten Landes. Links und rechts gewinnen, CDU und SPD verlieren.

    Wobei Linken-Ministerpräsident Ramelow alles andere als typisch links ist – und vor allem deshalb auch so erfolgreich in Thüringen. In Interviews und Reden vor der Wahl schob Ramelow sein Parteibuch verbal bis an die Schmerzgrenze beiseite. „Ich werbe nicht für eine Partei, sondern für Rot-Rot-Grün“, hatte er im Wahlkampf gesagt. Von Plakaten der Linken an den Straßenlaternen Thüringens prangte vor allem Ramelows Gesicht. Oftmals ohne seine Partei zu nennen.

    Ramelow verteidigt schnelle Abschiebeverfahren von Asylsuchenden, die straffällig geworden sind. Auch den Kohleausstieg schlägt Ramelow vorsichtige Töne an und er sagt Sätze wie: „Beim kostenlosen Nahverkehr bin ich sofort dabei, wenn mir jemand sagt, wie das bezahlt werden soll.“

    Ramelow kommt ohne Radikales aus

    Linksradikal klingt das nicht. Das Radikale überlässt Ramelow anderen in seiner Thüringer Linken. Mit der Parole „Bodo oder Barbarei“ warnte die Parteichefin unlängst vor einem Bündnis aus CDU und AfD.

    In der Halle im „Zughafen“ laufen Interviews und Hochrechnungen über die Leinwand. Im Fernsehen treten die Politiker nacheinander vor den Fernsehkameras auf und bewerten das Wahlergebnis. Immer wenn AfD-Spitzenmann Höcke spricht, spielt der DJ bei der Linken-Party laute Musik.

    Das langjährige Linken-Mitglied Hoffmann sitzt noch immer an seinem Holztisch und nippt an seinem Bier. Er sagt, dass viele „aus Protest“ gegenüber der Politik in Deutschland auch die AfD gewählt hätten. „Anders kann ich mir das nicht erklären.“ Und Höcke? „Rechtspopulist ist ja fast schon geschmeichelt.“