Berlin. Matteo Salvini macht Wahlkampf in Badehose. Seine Anstrengungen, Regierungschef zu werden, erinnern ein wenig an einen Zirkusauftritt.

Er lacht, macht Selfies mit Bikini-Schönheiten, feiert Mojito-Partys bei Sonnenuntergang. Er paddelt im Mittelmeer, verteilt Luftküsschen in die Menge. Matteo Salvini, Italiens Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident, posiert mit Badehose und nicht zu übersehendem Bauchansatz.

In diesen Augusttagen ist der Strand seine politische Arena. Eine Mischung aus Spektakel, Zirkus und Jahrmarkt. „Viva la normalità – es lebe die Normalität“, ruft der 46-Jährige. Die Botschaft: „Ich bin einer von euch.“

Mitten in die Sommerhitze hinein verkündete der Vize-Premier das Ende des Regierungsbündnisses. Die Feuer-und-Wasser-Koalition zwischen Salvinis rechtspopulistischer Lega und der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Partei war von Beginn an eine Allianz auf Zeit.

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Salvinis Partei hat Misstrauensantrag gestellt – Wie es weitergeht

Im Senat hat die Lega bereits einen Misstrauensantrag gegen das eigene Kabinett gestellt. An diesem Montag und Dienstag tagen die Fraktionschefs der Parteien: Sie bestimmen den weiteren Zeitplan. Es wird damit gerechnet, dass sich die Abgeordneten und Senatoren in der Woche vom 19. bis zum 23. August zu Vertrauensabstimmungen treffen.

Verliert der parteilose Ministerpräsident Giuseppe Conte die parlamentarische Mehrheit – womit fast alle Beobachter rechnen –, ist Staatspräsident Sergio Mattarella am Zug. Theoretisch kann dieser andere Parteien mit der Regierungsbildung beauftragen oder übergangsweise ein Experten-Team berufen. Am wahrscheinlichsten sind jedoch Neuwahlen im Oktober oder November. Salvini rechnet sich große Chancen aus, Ministerpräsident zu werden. Meinungsumfragen sagen seiner Lega zwischen 36 und 40 Prozent voraus.

Salvini- Zusammenarbeit mit Fünf-Sterne-Bewegung ist gescheitert

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    Genau darauf hat Salvini seit Monaten hingearbeitet. Er gibt mal den Rächer des mit Füßen getretenen Italiens, mal den Volkstribun, der allen alles verspricht. Mit Feindbildern trommelt und mobilisiert er. An vorderster Stelle stehen Brüssel und Deutschland: Sie seien für einen extremen Sparkurs verantwortlich, der sein Land in den Ruin treibe, wettert Salvini. Vor allem deutsche Banken hätten von den hohen Zinsen für italienische Staatsanleihen profitiert; dass die hohen Zinsen in erster Linie am Misstrauen internationaler Investoren in die Bonität der öffentlichen Hand in Rom liegt, lässt er außen vor.

    Auch in der Flüchtlingspolitik fährt Salvini eine aggressive Rhetorik. Carola Rackete, die Kapitänin des privaten Seenotrettungsschiffs „Sea-Watch 3“, beschimpfte er als „Kriminelle“, „verwöhnte deutsche Kommunistin“ und „Zecke“. Mit dem kürzlich verabschiedeten Sicherheitsgesetz goss er seinen strikten Abschottungskurs in Beton. Kapitänen von Rettungsschiffen, die sich italienischen Ordnungskräften widersetzen, droht bis zu zehn Jahre Gefängnis.

    Rackete äußert sich nach Befragung

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      Insbesondere die rigorose Kampagne gegen illegale Migration hat Salvinis politische Karriere befördert. „Italien darf nicht zum Flüchtlingslager Europas werden“, sagt er. Und stößt damit bei vielen seiner Landsleute auf große Resonanz. Italien trug lange Zeit zusammen mit Griechenland die größte Last in der Migrationskrise.

      Mit diesem schrill aufbereiteten Mono-Thema erreichte Salvini einen atemberaubenden Aufstieg. Angefangen hatte der Sohn einer Hausfrau und eines Managers als Chef der abgestürzten Regionalpartei Lega Nord. Nur noch vier Prozent hatte die Partei, als er 2013 das Ruder übernahm. Salvini stellte die Angriffe auf den armen, angeblich faulen Süden Italiens ein und polterte stattdessen gegen Europa und Flüchtlinge.

      Die neue Linie brachte der in Lega umbenannten Partei bei der Parlamentswahl im März vergangenen Jahres 17 Prozent ein. Ein Überraschungserfolg – aber nur halb so viel wie die Fünf-Sterne-Partei, der spätere Koalitionspartner. Inzwischen haben sich die Größenverhältnisse umgekehrt: Die Lega ist laut Umfragen doppelt so stark wie die Fünf Sterne.

      Matteo Salvini will Regierungschef werden

      Mit diesem Rückenwind peilt Salvini nun den Spitzen-Job in der Regierung an. Er setzt dabei auf einen Mix aus Abgrenzung gegen Ausländer sowie sozialem und wirtschaftlichem Populismus. Die Steuern für Bürger und Unternehmen sollen auf breiter Front sinken, um Kaufkraft und Investitionen zu stärken.

      Salvini kalkulierte zunächst mit einem Kostenvolumen von insgesamt 30 Milliarden Euro, spricht aber neuerdings von mindestens zehn Milliarden Euro. Die abschlagsfreie Rente mit 62 hatte er bereits mit der Fünf-Sterne-Partei eingeführt. Zudem soll die Wirtschaft mit milliardenschweren Infrastruktur-Programmen angekurbelt werden.

      Italien weist eines der weltweit höchsten Staatsdefizite auf

      All dies kostet viel Geld, das das tief in der Kreide stehende Land eigentlich nicht hat. Mit rund 2,3 Billionen Euro weist Italien eines der gewaltigsten Staatsdefizite weltweit auf. Die Schuldenquote – also das Verhältnis der Staatsschulden zur Wirtschaftskraft – betrug 2018 mehr als 132 Prozent und war damit die höchste in den 28 Staaten der EU hinter Griechenland.

      Darüber hinaus schwächelt die Konjunktur. Im zweiten Quartal stagnierte das Wachstum. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Investitionen in die Forschung sind verschwindend gering. Zehntausende junge Italiener verlassen das Land, weil sie in ihrer Heimat keine Perspektive sehen.

      Für all diese Probleme hat Salvini kein Rezept. Sollte er bei Neuwahlen gewinnen, kommen als Koalitionspartner vor allem die konservative Forza Italia des rastlosen Polit-Oldies Silvio Berlusconi oder die rechtsnationalen Fratelli d’Italia infrage. Ökonomen in Deutschland sehen dies mit großer Skepsis.

      „Für Europa wäre eine rechte Regierung in Italien ein noch größerer Albtraum als die gegenwärtige Regierung“, sagt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. „Salvini wird weiter auf Konfrontationskurs mit Europa gehen, zumal sich dieser für ihn bisher gelohnt hat“, so Fratzscher.

      Und: „Ein zunehmend populistischer und fremdenfeindlicher Kurs Italiens wird es für Europa in der Außenpolitik, in der Sicherheitspolitik und beim Thema Migration deutlich schwieriger machen.“ Salvini gilt als erklärter Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

      Bis Oktober muss Italien der EU einen Haushalt vorlegen

      Im Oktober kommt für Italien die Stunde der Wahrheit. Bis dahin muss die Regierung den Haushalt für 2020 vorlegen. Mit Blick auf Salvinis üppiges Wünsch-dir-was-Programm besteht das hohe Risiko, dass Rom die Defizit-Vorgaben aus Brüssel reißt. Aber es ist auch gut möglich, dass Matteo Salvini im letzten Moment beidreht und die Ausgaben nicht so rasant erhöht wie geplant.

      Vor wenigen Wochen verhinderte der italienische Finanzminister Giovanni Tria den Start eines EU-Vertragsverletzungsverfahrens: Nach heftigem Streit beugte er sich der für 2019 verordneten Obergrenze von zwei Prozent Neuverschuldung. Theaterdonner ist Teil von Salvinis Kampagne gegen Brüssel.