Berlin. Wie der neue Klimaschutzminister den Rückstand beim Ausbau der erneuerbaren Energien aufholen will – und was das für Verbraucher heißt.

Robert Habeck weiß, dass er bei der ersten Abrechnung in den roten Zahlen landen wird. Ende März steht die Vorstellung der Klimabilanz für 2021 im Kalender, und schon jetzt ist klar, dass Deutschland die eigenen Ziele reißen wird. Und nicht nur das: Auch 2022 werden die Ziele aller Voraussicht nach verfehlt, prognostiziert man in Habecks Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, selbst 2023 wird es knapp.

Bevor die Versäumnisse der Vorgänger ihm angelastet werden, macht der neue Minister deshalb erst einmal Kassensturz: Am Dienstagmorgen will Habeck eine „Eröffnungsbilanz“ vorstellen. Und dazu erklären, was er tun will, um aus den klimapolitischen Miesen zu kommen. Erste Details wurden am Montag bekannt.

Kassensturz zum Start: Robert Habeck will schnell den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben.
Kassensturz zum Start: Robert Habeck will schnell den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben. © picture alliance / Flashpic | Jens Krick

Habeck will Tempo machen. Bis Ende April soll das Kabinett den ersten Teil eines geplanten Klimaschutz-Sofortprogramms beschließen, bis zum Jahresende soll der Rest des Programms folgen.

Dreh- und Angelpunkt des Blitzprogramms ist der Umbau der Stromversorgung, weg von fossilen Energieträgern wie Kohle und Gas, hin zu Sonne und Wind. Der Energiesektor ist nicht nur selbst für den größten Teil der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich, er ist auch der Schlüssel zur Klimaneutralität in anderen Sektoren. Wer sein Haus per Wärmepumpe klimaneutral heizen oder mit dem E-Auto unterwegs sein will, der braucht dafür grünen Strom.

Doch dessen Anteil war zuletzt gesunken. Agora Energiewende, jener Thinktank, dem Habecks Staatssekretär Patrick Graichen jahrelang vorstand, bilanzierte kürzlich, dass der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch im vergangenen Jahr bei nur 42,3 Prozent lag. Das sind 3,3 Prozentpunkte weniger als im Jahr davor. Grund war laut Agora vor allem schlechteres Wetter.

Gleichzeitig war der Ausbau vor allem von Windkraftanlagen zuletzt fast zum Erliegen gekommen.

Diesen Trend will Habeck jetzt drehen und dafür schnell eine ganze Liste von Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag auf den Weg bringen: Das EEG soll reformiert und außerdem die ausgeschriebenen Mengen für Wind- und Sonnenstrom nach oben gesetzt werden. Die EEG-Umlage, bislang von Stromkunden und -kundinnen gezahlt, soll stattdessen bald aus dem Bundeshaushalt kommen.

Das Ziel: Viele neue Windräder, und zwar im ganzen Land

Der Ausbau des Ökostroms soll künftig im „überragenden öffentlichen Interesse“ liegen und somit in der Abwägung mit anderen Rechtsgütern Vorrang haben. Ein „Wind-an-Land-Gesetz“ soll verankern, dass zukünftig zwei Prozent der Fläche in Deutschland für Windkraft zur Verfügung stehen. Das wäre deutlich mehr als bislang.

Außerdem soll der Windenergieausbau mit dem Artenschutz „versöhnt“ und die Voraussetzungen für zügigere Planungs- und Genehmigungsverfahren geschaffen werden. Das Ziel, das über alldem steht: möglichst viele neue Windräder, möglichst im ganzen Land. Und auch der Anteil der Sonnenenergie am Strommix soll steigen, unter anderem durch verpflichtende Solaranlagen auf gewerblichen Neubauten und mit Verbesserungen beim sogenannten Mieterstrom.

Ob es so gelingt, einen neuen Boom für regenerative Energie loszutreten, hängt vor allem von den finanziellen Rahmenbedingungen für die Projekte ab, sagte Karsten Neuhoff, Experte für Klimapolitik am DIW. „Wenn viele Akteure einsteigen können, zu klaren Rahmenbedingungen, dann können sehr schnell Projekte umgesetzt werden.“ Davon würden auch die Stromkunden und -kundinnen profitieren. „Wind- und Solaranlagen kosten nicht mehr viel“, sagte Neuhoff. Entscheidend seien die Finanzierungsbedingungen.

Günstige Stromtarife für die, die in der Nähe von Wind- und Solarparks wohnen

„Werden die Anlagen mit Risikokapital gebaut, sind die Kosten um bis zu 30 Prozent höher. Gibt es dagegen klare Finanzierungsrahmenbedingungen, etwa über Differenzverträge, werden diese Kosten eingespart“, so der Energieexperte. Dann könnten erneuerbare Energien auch preisstabilisierend wirken und Schwankungen wie jetzt beim Gaspreis ein Stück weit ausgleichen.

Die Verbraucherzentralen begrüßen den Arbeitseifer beim Ausbau der Erneuerbaren, wollen aber mehr Einbindung von privaten Haushalten: Wenn Verbraucher und Verbraucherinnen Solaranlagen wirtschaftlich betreiben könnten, es bessere Mieterstromangebote gebe und Bürger und Bürgerinnen, die in der Nähe von Wind- und Solarparks wohnen, von günstigen Stromtarifen profitieren würden, „dann wird die Energiewende nicht nur wahrscheinlicher, sondern auch bürgernäher und gerechter“, sagte Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, unserer Redaktion.

Und er fordert mehr sozialen Ausgleich: Neben der Abschaffung der EEG-Umlage müssen die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an die privaten Verbraucher zurückfließen, sagt Müller. „Dafür muss das angekündigte Klimageld in Form einer Pro-Kopf-Pauschale kurzfristig eingeführt werden.“