Moskau. Moskau schickt Soldaten, Panzer und Artillerie in das Nachbarland der Ukraine. Tritt Machthaber Lukaschenko nun in den Krieg ein?

Säbelrasseln in Belarus: Seit Wochen gibt es Spekulationen um einen möglichen Kriegseintritt von Minsk an der Seite Moskaus. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hat derartige Absichten stets dementiert, zugleich aber die militärische Zusammenarbeit mit Russland verstärkt. Eine gemeinsame Truppe wird aufgebaut.

Russland schickt bis zu 9000 Soldaten sowie rund 170 Panzer, 200 gepanzerte Kampffahrzeuge und Artillerie ins Nachbarland, so Waleri Rewenko, der Leiter der Abteilung für internationale militärische Zusammenarbeit im belarussischen Verteidigungsministerium. Es wird gemeinsame Militärmanöver geben. Die Regierung in Kiew sieht Belarus als Kriegspartei, weil das Land russischen Truppen seine Militärbasen für Angriffe auf die Ukraine überlassen hatte.

Eine Mobilisierung wie in Russland sei aber nicht geplant, berichtet die belarussische Nachrichtenagentur Belta. Dem widerspricht die belarussische Opposition. Ihr zufolge soll die belarussische Armee durch Mobilisierungsmaßnahmen von etwa 45.000 auf 100.000 Mann aufgestockt werden. Das Verteidigungsministerium in Minsk ist in Erklärungsnot. Zwar würden Reservisten auf ihre Tauglichkeit überprüft, das sei aber keine Mobilisierung. Alles sei Routine.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Ukraine-Krieg: Belarus und Russland bereiten neues Militärmanöver vor

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu bekräftigte bei einem Besuch in Minsk das Ziel einer engen militärischen Zusammenarbeit mit Belarus. Der Aufbau eines gemeinsamen Verteidigungsraums sei besonders wichtig mit Blick auf die sich verschärfende Konfrontation zwischen dem Westen und Russland, sagte Schoigu am Mittwoch bei einem Treffen mit seinem Kollegen Viktor Chrenin. Es gebe bereits unter anderem eine gemeinsame Militärdoktrin und ein System der Luftverteidigung, erklärte Schoigu.

Nach Darstellung von Minister Chrenin in Minsk haben Belarus und Russland mit der Vorbereitung eines neuen Militärmanövers für 2023 zum Schutz des Unionsstaates begonnen.

Schoigu warf der Nato vor, ein gewaltiges System der kollektiven Verteidigung nahe der Grenzen zu Russland aufzubauen. Sie rüste die Ukraine mit Waffen und Munition aus. Die Nato versorge das Land mit militärischen Aufklärungsdaten und schicke Militärberater in das Land. Der Minister behauptete einmal mehr, dass der Westen versuche, Russland etwa mit Sanktionen zu zerstören.

Politikwissenschaftler: „Machthaber Lukaschenko spielt eine zweigleisige Rolle“

Die Nato sieht keine Hinweise darauf, dass sich Belarus aktiv an der „Spezialoperation“ in der Ukraine beteiligen will. Zu groß sei die Angst vor möglichen Sanktionen, so ein Nato-Vertreter. „Zweifellos versteht Lukaschenko, dass in diesem Fall die volle Wucht der Sanktionen, die gegen Russland verhängt wurden, auch gegen Belarus angewandt würden.“

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Zusammenarbeit mit dem russischen Militär und gleichzeitig Abwiegelung. Machthaber Lukaschenko spiele eine zweigleisige Rolle, meint der belarussische Politikwissenschaftler Walerij Karbalewitsch. Belarus sei abhängig von Russland. Politisch und vor allem finanziell. Lukaschenko habe das Kreml-Narrativ bedient, indem er behauptete, der Westen würde den Nazismus in der Ukraine befördern.

Widerstand: „Cyber-Partisanen“ stören Betrieb der Eisenbahn

„Immer häufiger aber mischen sich auch Töne der Kritik und der Distanzierung in Lukaschenkos Reden, was auf die schwierige innenpolitische Lage für den Langzeitautokraten hinweisen könnte.“ Der Grund: 62 Prozent der Bevölkerung seien dagegen, dass Russland belarussisches Staatsgebiet für die „Spezialoperation“ in der Ukraine nutzt, zitiert Karbalewitsch die Untersuchung eines Minsker Meinungsforschers.

Soldaten des ukrainischen Grenzschutzes patrouillieren entlang der Grenze zu Belarus.
Soldaten des ukrainischen Grenzschutzes patrouillieren entlang der Grenze zu Belarus. © Getty Images | Ed Ram

In Belarus wächst der Widerstand, als Aufmarschgebiet russischer Truppen herhalten zu müssen. Selbst ernannte „Cyber-Partisanen“ setzen durch Hacker-Angriffe die Infrastruktur der Eisenbahn, etwa Signalanlagen und Relaisschränke, außer Betrieb. Militärzüge müssen von Hand gesteuert werden und kommen nur langsam voran. Das belarussische Innenministerium spricht von Terrorakten, die Opposition nennt es „Schienenkrieg“, in Anlehnung an den Partisanenmythos des Zweiten Weltkrieges.

Belarus: Anwendung der Todesstrafe wurde ausgeweitet

Damals sprengten sowjetische Partisanen im Kampf gegen die deutsche Wehrmacht Schienenstränge im Hinterland. Einer der „Partisanen“ von heute wurde jetzt zu elf Jahren Straflager-Haft verurteilt, berichtet die Menschenrechtsorganisation Viasna. Deren Gründer, der inhaftierte Ales Bjaljazki, hatte gerade den Friedensnobelpreis erhalten.

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Gegen möglichen Widerstand reagiert das Regime in Minsk wie gewohnt. Jeglicher Protest wird immer hartnäckiger verfolgt. Jüngst wurde sogar die Anwendung der Todesstrafe ausgeweitet. Sie kann jetzt schon bei Vorbereitung und dem „Versuch eines Terroraktes“ verhängt werden, berichtet Amnesty International.

Belarussische Streitkräfte in erhöhter Alarmbereitschaft

Vor wenigen Tagen hat Belarus die Streitkräfte in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Es gebe Informationen, dass „von Seiten bestimmter Nachbarländer Provokationen geplant sind, bis hin zur Besetzung einzelner Gebiete des Territoriums von Belarus“, begründete dies der belarussische Innenminister Wladimir Makej. Man habe „erhöhte Terrorgefahr ausgerufen“, so Machthaber Lukaschenko im russischen Staatsfernsehen.

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Bei allen Schilderungen einer Gefahr von außen: Geschadet habe Präsident Lukaschenko vor allem der Protestsommer 2020, als Hunderttausende auf der Straße gegen die gefälschte Präsidentenwahl demonstrierten, so Walerij Karbalewitsch. „2020 hat Lukaschenko die Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit verloren. Sämtliche unabhängige Experten erklärten einhellig, dass er die Situation nicht ändern kann und bis zum Ende seiner Herrschaft lediglich der Repräsentant einer Minderheit bleiben wird.“

„Wenn du kein Sklave bist, musst du dein Land verteidigen“

Nina Bagingskaja ist vielleicht die letzte Demonstrantin in Belarus. Unverdrossen stand sie immer wieder mit ihrer rot-weißen Protest-Fahne auf den Plätzen der belarussischen Hauptstadt Minsk. Ganz alleine. Damals, im Sommer 2020, war sie das Idol der Menschen, die für ein demokratisches Belarus kämpften. Heute sagt sie nach wie vor: „Wenn du kein Bastard, wenn du kein Sklave bist, musst du dein Land verteidigen.“

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„Ich sehe, dass Belarus in dieser Situation hinter dem Krieg in der Ukraine ein bisschen übersehen wird“, befürchtet Swetlana Tichanowskaja, die belarussische Oppositionsführerin im Exil. Vielleicht ist dem so, doch es gibt in der Opposition noch Hoffnung.

Aus gutem Grund unter Pseudonym schreibt eine belarussische Essayistin auf der Online-Plattform Dekoder: „Das Neue Belarus wird wohl aus dem Chaos entstehen, es wird viele Diskussionen, Kränkungen und Machtkämpfe geben. Die Belarussen werden Parteien gründen und Politik erlernen. Diese Zeiten möchte ich gern noch erleben.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.