Brüssel. Die EU-Staatsanwaltschaft zieht Bilanz: Steuerbetrug und Korruption – Deutschland liegt bei den Ermittlungen weit vorne. Die Gründe.

Steuerbetrug, Geldwäsche, Korruption, Schwindel bei Fördermitteln: Kriminelle Banden prellen die Steuerzahler in Europa um viele Milliarden Euro. Allein durch Mehrwertsteuerbetrug entgehen dem Fiskus jährlich rund 50 Milliarden. Jetzt macht eine neue, unabhängige EU-Behörde Jagd auf solche Kriminellen: Die Europäische Staatsanwaltschaft in Luxemburg hat vergangenes Jahr in 1.117 Fällen ermittelt – und ist einem geschätzten Schaden von rund 14 Milliarden Euro auf die Spur gekommen.

„Der grenzüberschreitende Ansatz hat sich bewährt“, sagte Andrés Ritter, Vizechef der Behörde und stellvertretender Europäischer Generalstaatsanwalt, unserer Redaktion. „Wenn wir Ermittlungen in einem Land zum Anlass nehmen, Parallelverfahren in anderen Ländern zu starten, kann das sehr erfolgreich sein.“

Mehrwertsteuerbetrug in der EU: Schaden in Milliardenhöhe

Wie aus einem kleinen Einzelkomplex ein sehr großes Verfahren wird, zeigt die „Operation Admiral“: Ende 2022 hat die Staatsanwaltschaft ein Netzwerk internationaler Steuerbetrüger aufgedeckt, an dem mehr als 600 Menschen in 14 Ländern beteiligt waren, auch in Deutschland.

Ein gigantisches Firmengeflecht verschob Handys und anderen elektronische Geräte hin und her, um sich im großen Stil Mehrwertsteuer-Rückerstattungen von nationalen Behörden zu ergaunern. Anfangs sei es um elf beteiligte Unternehmen gegangen, am Ende seien es Tausende gewesen, sagt Ritter. Und: Die Schadenssumme stieg von 47 Millionen auf 2,2 Milliarden Euro. Der große Vorteil: Die europaweiten Ermittlungen der EU-Staatsanwaltschaft ermöglichten eine „Hubschraubersicht“ und führten lose Fäden zusammen, betont Ritter, der zuvor in Deutschland verschiedene Staatsanwaltschaften geleitet hatte.

Betrug: Darum ist Deutschland im Visier der EU-Ermittler

In der neuen Jahresbilanz der Behörde fällt auf: Deutschland ist stark im Visier der Ermittler. Bei den laufenden Untersuchungen liegt die Bundesrepublik auf Platz drei mit 114 Untersuchungen und einem geschätzten Schaden von 1,8 Milliarden Euro – hinter Spitzenreiter Italien und Bulgarien.

Und in keinem beteiligten EU-Land hat die Behörde mehr Verfahren wegen Mehrwertsteuerbetrug eingeleitet als hierzulande: 66 der aktuellen Untersuchungen – mehr als ein Drittel – betreffen Deutschland. Der vermutete Schaden: 1,5 Milliarden Euro. Deutschland liegt damit gleichauf mit Italien, das als besonders gefährdet für Umsatzsteuerbetrug gilt.

Doch Ritter stellt klar: „Der relativ große Anteil von Ermittlungsfällen in Deutschland zeigt, dass die deutschen Behörden schon sehr gut mit uns kooperieren. Und sie zeigen den hohen Grad der Aufdeckung solcher Fälle – da ist Deutschland wirklich gut, vor allem bei der Aufdeckung von Mehrwertsteuerbetrug.“

Hintermänner sind nur schwer zu fassen

Bei der großangelegten „Operation Admiral“ der Europäischen Staatsanwaltschaft wurden Stapel mit Bargeld und Vermögensgegenstände beschlagnahmt.
Bei der großangelegten „Operation Admiral“ der Europäischen Staatsanwaltschaft wurden Stapel mit Bargeld und Vermögensgegenstände beschlagnahmt. © EPPO | EPPO

An solchen Betrugssystemen sind stets mehrere Unternehmen in mehreren EU-Staaten beteiligt. Die Kriminellen versuchen, den Abzug oder die Erstattung der Mehrwertsteuer auf eine Warenlieferung innerhalb der EU zu erhalten, obwohl diese Steuer nicht an die zuständige Steuerbehörde abgeführt wurde.

Fliegt der Schwindel auf, sind die Firmen oft längst aufgelöst und die Hintermänner verschwunden. In München waren die EU-Ermittler an der Enttarnung einer anderen Bande beteiligt, die eine ähnliche Masche beim Handel mit Platin-Münzen betrieb. Insgesamt ermittelt die Europäische Staatsanwaltschaft in 185 solcher Fälle.

Milliarden im EU-Wiederaufbaufonds: Das Missbrauchsrisiko ist sehr groß

Andere Kriminelle versuchen, EU-Fördermittel zu erschleichen: So wurden in Lettland eine Bande enttarnt, die ein Ausschreibungsverfahren für eine Heizkörper-Fabrik mit gefälschten Dokumenten so manipuliert hatte, dass sie ungerechtfertigt 780.000 an EU-Mitteln erhielt. Vier Beteiligte sind in Riga inzwischen wegen Betrugs verurteilt. In Tschechien ermittelten die EU-Staatsanwälte unter anderem wegen Subventionsbetrugs, bei dem sich Forschungsmitarbeiter jahrelang über 5 Millionen Euro für Projekte zu Nanobots erschlichen, die so gar nicht durchgeführt wurden.

Große Aufmerksamkeit widmen die Staatsanwälte jetzt der Verwendung jener 700 Milliarden Euro, die die EU im Wiederaufbau-Fonds vorwiegend südeuropäischen Ländern zur wirtschaftlichen Gesundung nach der Corona-Pandemie zur Verfügung stellt. Diese Mittel sollen nach dem EU-Plan möglichst unbürokratisch und zügig eingesetzt werden. „Dadurch ist das Missbrauchsrisiko sehr groß“, warnt Ritter.

Die Staatsanwaltschaft sei aber darauf eingestellt. Inzwischen untersucht die Behörde auch Betrugsfälle im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Dabei geht es in mindestens einem Fall um die Beschaffung von Impfstoff für viele Milliarden Euro durch die Europäische Union. Einzelheiten hält die Staatsanwaltschaft aber weiter geheim.

Neue Behörde mahnt bessere Kooperation an

Die Behörde hatte Mitte 2021 die Arbeit aufgenommen. Sie soll Betrug im Zusammenhang mit EU-Geldern untersuchen, wenn es um mehr als 10.000 Euro geht, und bei grenzüberschreitendem Mehrwertsteuer-Betrug mit Schäden über zehn Millionen Euro ermitteln. Allerdings gebe es in einigen Mitgliedstaaten Verbesserungsbedarf bei der Zusammenarbeit mit den EU-Ermittlern, sagt Ritter.

Im Jahresbericht wird mehr Unterstützung der Mitgliedstaaten angemahnt, etwa durch spezialisierte Fahnder, die länderübergreifend an komplexen Fällen arbeiten könnten. Nur so lasse sich die Wirtschafts- und Finanzkriminalität wirksam bekämpfen. „Wir sind auf dem richtigen Weg”, heißt es im Report, „aber wir müssen mehr tun“.