Erfurt. FDP-Landeschef Thomas Kemmerich ist dank CDU und AfD neuer Ministerpräsident von Thüringen. Vor der FDP-Zentrale formiert sich Protest.

Nach der Wahl des FDP-Landeschefs Thomas Kemmerich zum neuen Ministerpräsidenten in Thüringen regiert größtenteils das Entsetzen. Vor der FDP-Zentrale in Berlin versammelten sich am Mittwochabend über tausend Menschen, um zu protestieren, weil sich Kemmerich mit Hilfe der AfD von Landeschef Björn Höcke hatte wählen lassen.

Dazu aufgerufen hatten am Mittwoch verschiedene linke Gruppen. Vor dem Gebäude der FDP protestierten nach Veranstalterangaben am Abend mehr als 1000 Menschen. Die Polizei ging in der Nacht von 1100 Menschen aus. Bei der CDU wurden demnach etwa 30 Demonstranten gezählt. Die Polizei war vor Ort, Zwischenfälle gab es nach Auskunft eines Polizeisprechers aber nicht. Auch vor anderen Büros der FDP – etwa in Düsseldorf kam es zu Demonstrationen.

In einem Video ist zu sehen, wie Demonstranten in Berlin die Straße blockierten, Autos fanden kein Durchkommen mehr. Berichten zufolge skandierten sie „Schämt euch!“ und „FDP Scheißverein, lässt sich mit den Nazis ein.“

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FDP-Chef Christian Lindner hatte sich zuvor von der AfD distanziert. „Es gibt keine Basis für eine Zusammenarbeit mit der AfD“, sagte Lindner auf einer Pressekonferenz am Mittwochnachmittag. Die Unterstützung der AfD sei überraschend, sagte Lindner. Sie sei rein taktisch motiviert gewesen.

Der FDP-Chef appellierte an Union, SPD und Grüne, Kemmerichs Angebot für Koalitionsgespräche anzunehmen. Sollten sich die Parteien aber verweigern, „sind Neuwahlen zu erwarten und auch nötig“, sagte Lindner. Neuwahlen forderte auch CSU-Chef Markus Söder am Mittwoch in München.

Deutlicher als Lindner wurde sein FDP-Kollege Alexander Graf Lambsdorff. „Man lässt sich nicht von AfD-Faschisten wählen“, schrieb er auf Twitter. Wenn es doch passiere, nehme man die Wahl nicht an.

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Auch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer bezeichnete das Stimmverhalten der Thüringer CDU-Landtagsfraktion als falsch. Die Fraktion habe „ausdrücklich gegen die Empfehlungen, Forderungen und Bitten der Bundespartei“ gehandelt, betonte die Parteivorsitzende am Mittwoch in Straßburg. Sie sei der Auffassung, „dass man darüber reden muss, ob neue Wahlen nicht der sauberste Weg aus dieser Situation sind“.

Den Forderungen nach Neuwahlen will zumindest die Thüringer CDU-Fraktion aber nicht nachkommen. „Wir sehen unsere Verantwortung darin, Stillstand und Neuwahlen zu vermeiden“, erklärte ein Sprecher der Fraktion am Mittwoch.

Ex-Verfassungsschutz-Präsident Maaßen begrüßt Wahl von Kemmerich

Die Galionsfigur der rechtskonservativen CDU-Werteunion, der frühere Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen, begrüßte die Wahl von Kemmerich unterdessen. „Ich glaube, dass Thomas Kemmerich die Chance nutzen wird, in den nächsten fünf Jahren eine für Thüringen gute liberale und konservative Politik zu machen“, sagte er unserer Redaktion.

Er sei mit dem Ergebnis „sehr zufrieden“, da die sozialistische Regierung abgewählt worden sei und nun ein bürgerlicher Ministerpräsident regiere. Maaßen fügte hinzu: „Ich hätte mir allerdings einen CDU-Ministerpräsidenten lieber gewünscht, allerdings fehlte meiner Partei dazu der Mut.“

Thomas Kemmerich gewählt: AKK kritisiert Thüringer CDU

Kemmerich hatte sich bei der Abstimmung am Mittwoch im entscheidenden dritten Wahlgang mit Stimmen der CDU und der AfD gegen den bisherigen Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke) durchgesetzt.

Thomas Kemmerich am Mittwoch im Erfurter Landtag.
Thomas Kemmerich am Mittwoch im Erfurter Landtag. © dpa | Martin Schutt

Die Entscheidung zwischen Kemmerich und Ramelow fiel denkbar knapp aus. Auf den bisherigen Regierungschef entfielen 44 Stimmen, Kemmerich erhielt 45 Stimmen. Es gab eine Enthaltung. Der von der AfD aufgestellte parteilose Kandidat Christoph Kindervater erhielt im dritten Wahlgang keine Stimme.

Kemmerich sagte am Mittwochnachmittag bei einer Rede im Landtag, er wolle mit CDU, SPD und Grünen eine neue Regierung bilden. Es solle eine Regierung der Mitte werden. SPD und Grüne haben einer Zusammenarbeit mit einer Regierung unter Kemmerich jedoch bereits eine Absage erteilt.

Thüringen: FDP-Mann Thomas Kemmerich grenzt sich von der AfD ab

„Ich zeige den höchsten Respekt vor dieser Aufgabe“, sagte er. Er dankte seinem Vorgänger Ramelow. Zugleich grenzte er sich von der AfD ab. Seine Rede wurde immer wieder durch Zwischenrufe unterbrochen. Worte wie „Heuchler“ und „Scharlatan“ waren im Plenum zu hören.

Die Landtagssitzung wurde danach auf Antrag der FDP vertagt. Am Mittwoch werden keine Minister mehr ernannt. Auch eine Kabinettssitzung finde nicht statt, hieß es in einer Mitteilung der Regierungszentrale in Erfurt.

„Die Brandmauern gegenüber der AfD bleiben bestehen“, sagte Kemmerich anschließend vor Journalisten. Es werde weder eine Koalition noch ein Angebot für eine Zusammenarbeit geben. „Ich bin Anti-AfD, ich bin Anti-Höcke“, sagte Kemmerich. Die Brandmauer gebe es auch gegenüber der Linken.

Thüringen: Linke-Chefin wirft Thomas Kemmerich Blumenstrauß vor die Füße

Aus Protest gegen den Ausgang der Wahl hat Linke-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow dem neuen Regierungschef kurz nach der Wahl einen Blumenstrauß vor die Füße geworfen.

Susanne Hennig-Wellsow (r.) wendet sich ab, nachdem sie Thomas Kemmerich Blumen vor die Füße geworfen hat.
Susanne Hennig-Wellsow (r.) wendet sich ab, nachdem sie Thomas Kemmerich Blumen vor die Füße geworfen hat. © dpa | Martin Schutt

Was heute im Landtag passiert sei, sei „von langer Hand geplant“ gewesen, sagte sie im Erfurter Landtag. Mit einem Trick und Zockerei stelle die FDP nun den Regierungschef. Nun sei „ein Fünf-Prozent-Mensch“ Ministerpräsident, der sich mit den Stimmen einer extrem rechten Partei ins Amt habe wählen lassen. Sie schäme sich für Kemmerich.

Auf die Frage, wie die Linke mit dieser Regierung zusammenarbeiten wolle, sagte sie: „Die wird es nicht geben.“ Trotzdem werde ihre Partei weiterarbeiten, wenn auch noch nicht klar sei, wie. „Wir als Partei Die Linke werden nicht aufgeben, weil wir das Land nicht den Rechten überlassen werden.“

Thomas Kemmerich in Thüringen gewählt: Scholz und Kühnert sprechen von Tabubruch

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) warf der FDP und der CDU einen „Tabubruch in der Geschichte der politischen Demokratie in der Bundesrepublik“ vor. Für die SPD stellten sich ernste Fragen an die Spitze der CDU. „Was in Erfurt passiert ist, war kein Zufall, sondern eine abgekartete Sache.“ Eine Zusammenarbeit mit der AfD sei für die SPD „absolut unakzeptabel“.

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Auch Juso-Chef Kevin Kühnert hat der CDU und FDP vorgeworfen, einen Tabubruch begangen zu haben. Der AfD „zu echter Macht verholfen zu haben“, werde für immer mit diesen Parteien verbunden sein, schrieb der SPD-Vize am Mittwoch auf Twitter. „Die Masken sind gefallen.“ Nun sei Wachsamkeit das Gebot der Stunde.

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SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil kommentierte auf Twitter: „Ein Tag, an dem sich ein Ministerpräsident mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD an die Macht wählen lässt, ist ein Tiefpunkt der deutschen Nachkriegsgeschichte.“

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Thüringen: Auch Linke-Chef Bernd Riexinger bezeichnet Wahl als Tabubruch

Die Landes-SPD hat den Liberalen eine „Missachtung des Wählerwillens“ vorgeworfen. Er sei „geschockt, dass die FDP sich hergibt, Spielchen mit der AfD zu machen“, sagte der bisherige Landesinnenminister Georg Maier (SPD). Die Wahl eines FDP-Ministerpräsidenten entspreche nicht dem Votum der Wähler.

Der Linke-Vorsitzende Bernd Riexinger spricht ebenfalls von einem Tabubruch. „Wie weit sind wir gekommen, dass die FDP einen Ministerpräsidenten Kemmerich wählen lässt mit den Stimmen des Faschisten Höcke und der AfD? Dieser Tabubruch habe weitreichende Folgen. Die FDP und CDU müssten jetzt einiges erklären.

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„Das ist ein unfassbares Ergebnis. Die FDP lässt sich von Faschisten ins Amt heben und die CDU ist willfähiger Gehilfe“, schrieb auch die Grünen-Landtagsabgeordnete Madeleine Henfling auf Twitter.

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FDP stellt Ministerpräsidenten in Thüringen: CDU fordert Abgrenzung zur AfD

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kritisiert die FDP scharf. „Jeder anständige Liberale sollte sich schämen, wenn sich ein FDP-Mann in Thüringen mit den Stimmen der AfD wählen lässt. Was sagt die Bundes-FDP zu diesem Dammbruch?“, schrieb Heil auf Twitter.

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Die thüringische CDU hat nach der von ihr unterstützten Wahl Kemmerichs eine Abgrenzung zur AfD gefordert. „Wir haben uns entschieden, den Kandidaten der bürgerlichen Mitte zu unterstützen“, sagte CDU-Partei- und Fraktionschef Mike Mohring nach der Wahl am Mittwoch. „Entscheidend ist nun, dass Kemmerich klarmacht, dass es keine Koalition mit der AfD gibt.“

FDP-Vize Wolfgang Kubicki sagte dagegen: „Es ist ein großartiger Erfolg für Thomas Kemmerich. Ein Kandidat der demokratischen Mitte hat gesiegt. Offensichtlich war für die Mehrheit der Abgeordneten im Thüringer Landtag die Aussicht auf fünf weitere Jahre (Bodo) Ramelow nicht verlockend.“ Was die Verfassung vorsehe, sollte nicht diskreditiert werden, ergänzte er.

Ungeachtet fehlender Mehrheiten nach der Landtagswahl von Ende Oktober wollte Bodo Ramelow sein Linksbündnis, mit dem er bereits fünf Jahre regiert hatte, eigentlich fortsetzen. In den ersten beiden Wahlgängen hatte Ramelow die nötige absolute Mehrheit verfehlt.

Thomas Kemmerich ist erst der zweite Ministerpräsident der FDP in der Geschichte

Im dritten Wahlgang reichte dann die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen für die Wahl zum Ministerpräsidenten. Insgesamt haben die Oppositionsparteien CDU, FDP und AfD zusammen 48 Sitze und damit sechs mehr als Rot-Rot-Grün. Die FDP hatte beschlossen, Kemmerich im dritten Wahlgang ins Rennen zu schicken, wenn der AfD-Kandidat Kindervater weiterhin neben Ramelow antritt.

Kemmerich ist erst der zweite Ministerpräsident der FDP in der Geschichte der Bundesrepublik. Der liberale Politiker Reinhold Maier war von 1945 bis 1952 Ministerpräsident von Württemberg-Baden und dann von April 1952 bis September 1953 Regierungschef des neuen Bundeslandes Baden-Württemberg.

Thomas Kemmerich ist der erste Regierungschef seit 1945, der sich mit den Stimmen der extremen Rechten wählen ließ. Ein Tabubruch, kommentiert Martin Debes. Zuletzt hatte CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring auf eine Verschiebung der Wahl des Ministerpräsidenten gepocht. (dpa/ac/mbr)