Berlin. In keinem Dezember seit Kriegsende sind so viele Menschen gestorben wie Ende 2022. Es überrascht, weil die Pandemie doch vorbei ist.

Die seit Monaten anhaltende Übersterblichkeit hat zum Jahresende eine traurige Rekordmarke erreicht. "In einem Dezember gab es noch nie so viele Sterbefälle In Deutschland wie im Jahr 2022", erklärte der Experte für Demografie und Sterbefallzahlen im Statistischen Bundesamt, Felix zur Nieden, unserer Redaktion. Dabei gehen die Zahlenreihen bis 1946 zurück, bis zum ersten Nachkriegsjahr. Die Pandemie allein reicht als Begründung für die Entwicklung nicht aus – Top-Virologen wie Christian Drosten hatten sie gerade erst für beendet erklärt.

1,06 Millionen Menschen sind 2022 gestorben, 3,4 Prozent mehr als im Vorjahr, 111.403 Fälle allein im letzten Monat. Die Dezemberzahlen seien "außergewöhnlich hoch", so zur Nieden. Sie lagen um 19 Prozent über dem mittleren Wert der Vorjahre 2018 bis 2021. Und dieser Trend setzte sich in der ersten Januarwoche 2023 fort.

Sterbezahlen im Dezember 2022: Ausgeprägte Kombination von Grippewelle und Coronafällen?

Im Prinzip erwartet man seit etwa 20 Jahren steigende Zahlen, weil die Bevölkerung zunehmend älter wird. Aber nur etwa ein Fünftel des Anstiegs im Jahr 2022 kann "mit der steigenden Zahl älterer Menschen erklärt werden", so das Statistische Bundesamt.

Die Grippewelle, die allmählich abflacht, ist für zur Nieden eine "naheliegende Hauptursache", die Covid-19-Todesfälle sind eine weitere. Darunter dürften auch Spätfolgen von Corona-Infektionen und von verschobenen Operationen und Vorsorgeuntersuchungen während der Pandemie fallen. Der Statistiker spricht von einer "ausgeprägten Kombination" beider Faktoren – Grippe und Corona. Lesen Sie auch: Virologe gibt Entwarnung – Grippewelle flacht bereits ab

Zu Jahresbeginn 2022 hatte sich das Sterbegeschehen in Deutschland schon "annähernd normalisiert", so das Statistische Bundesamt. Von März bis Mai erklärte eine neuerliche Coronawelle den Anstieg der Zahlen, von Juni bis August waren es dann die Hitzerekorde. Die ab September weiter auffällig hohen Zahlen irritierten dann allerdings selbst Gesundheitsexperten.

Übersterblichkeit: Lauterbach suchte schon im Oktober nach Erklärungen

Im Oktober bekannte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) via Twitter, die Gründe für die Übersterblichkeit seien "nicht endgültig geklärt". Und daran sollte sich in den Folgemonaten nichts ändern. Das könnte Sie auch interessieren: Plötzlich Übersterblichkeit – Rätselraten über Todesstatistik

Laut dem aktuellen Influenza-Wochenbericht des Robert Koch-Instituts wurde ab November ein Niveau bei Atemwegserkrankungen erreicht, "das über dem Höhepunkt schwerer Grippewellen der Vorjahre lag". Auch die Zahl der Gestorbenen im Dezember 2022 geht für das Statistische Bundesamt "über das von Grippewellen bekannte Ausmaß hinaus".

Die Grippe ist weder die Auflösung des Rätsels noch die einzige Erklärung für die Rekordzahlen im Dezember, aber sehr wohl die stärkste Spur. Zur Nieden bittet um Geduld, vertiefte Analysen und Datenquellen stünden aus "und werden auch aus der Wissenschaft noch erwartet."

Warum 2022 ein schwarzes Jahr und der Dezember der traurige Schlusspunkt war

Vor der Pandemie war die Lebenserwartung tendenziell gestiegen. In den Pandemiejahren 2020 und 2021 waren die Sterbezahlen dann erwartungsgemäß höher "als in fast allen Jahren zuvor", so die Wiesbadener Statistiker. 2022 sind aber noch einmal 35.000 Menschen mehr gestorben als im Coronajahr 2021. Anders als 2020 und 2021 nahmen die Sterbefallzahlen bei den Frauen (plus 4,3 Prozent) stärker als bei den Männern (plus 2,5 Prozent) zu.

Die Tabelle des Statistischen Bundesamt gibt die Zahlen im Laufe des Jahres 2022 und den Anstieg im Vergleich zum mittleren Wert der Jahre 2018 bis 2021 wieder. 2022 war ein schwarzes Jahr. Und der Dezember setzte einen traurigen Schlusspunkt.

 Todesfälle 2022Differenz zum mittleren Wert (2018-2021)
Januar89.432+4389
Februar82.787+1187
März93.708+6640
April86.167+5459
Mai81.751+5999
Juni79.396+6575
Juli85.857+9702
August86.307+8921
September80.583+7950
Oktober93.713+15.319
November87.616+5432
Dezember111.403+18.153

Stand: 9. Januar 2023