Berlin . Nach der Invasion der Ostukraine wurden Sanktionen gegen Russland verhängt. Aber wie wirkungsvoll sind sie wirklich? Kommt noch was?

Die EU, die USA und weitere Staaten – Großbritannien, Kanada, Japan, Australien – haben im Ukraine-Konflikt Wirtschaftssanktionen gegen Russland angekündigt oder verhängt. Sie reagieren darauf, dass Präsident Wladimir Putin die Grenzen zur Ukraine einseitig neu gezogen hat, als er die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk als unabhängig anerkannte und Truppen in diese Gebiete entsandte. Aber: Wie wirkungsvoll sind die Sanktionen?

Sanktionen: Lässt sich Putin stoppen?

Dass Putin alles rückgängig macht, ist unwahrscheinlich. Nach Lage der Dinge wäre es ein Erfolg, wenn er es beim Einmarsch in die Ostukraine beließe. Auch diese Hoffnung hat allerdings einen hohen Wunschdenken-Faktor.

Keiner weiß das besser als die Ukrainer. "Heute hat das natürlich gewisse Auswirkungen, aber wahrscheinlich keine dramatischen auf die Entschlossenheit von Putin, diesen Krieg zu führen. Und wenn ich sage "Krieg", so der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk am Mittwoch im Deutschlandfunk, "dann bedeutet das regelrecht, er möchte die Ukraine aus der Karte löschen".

Was nützen Sanktionen, wenn Putin eskaliert?

Ökonomisch ist es suboptimal, an Sanktionen festzuhalten, die ihr Ziel nicht erreicht haben, aber den eigenen Schaden vermehren. Politisch sieht die Rechnung anders aus: Der Preis soll Putin abschrecken; ihn von weiteren Abenteuern abhalten. Dazu passt, dass die USA und die EU im schlimmsten Szenario weitere Sanktionen verhängen würden. „Wir haben weitere Munition zur Hand“, beteuerte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell.

Welche Sanktionen greifen jetzt?

Es gibt drei Kategorien: Wirtschafts-, Finanzsanktionen sowie Einschränkungen für Putin-Unterstützer.

Was bringen die Strafen gegen Personen?

Sie können nicht in die USA, nach Kanada, Australien, Japan oder nach Großbritannien reisen und kommen nicht an ihre Konten und Anlagen heran. Ihre Vermögenswerte werden eingefroren. Von den US-Maßnahmen gegen Personen sind fünf Russen und zwei ihrer Söhne betroffen, weitere drei Personen von den britischen Sanktionen. "Das ist ein Witz", schimpfte Elisabeth Schimpfössl von der London School of Economics.

Mehrere Hundert Personen sind auf der EU-Sanktionsliste, darunter die rund 350 Abgeordnete des russischen Parlaments. Alle Betroffenen hatten genug (Vorwarn-)Zeit, Vorkehrungen zu treffen. Für sie gilt, was Ex-Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) generell vermutet: dass die Strafmaßnahmen „längst einkalkuliert“ sind. Wirkungsfaktor: niedrig.

Tun die Finanzverbote weh?

Die USA haben zwei russische Staatsbanken vom Finanzsystem abgeschnitten. Es sind große Banken mit Einlagen in Höhe von 85 Milliarden US-Dollar. Unklar blieb, wie viel davon in Amerika tatsächlich eingefroren werden kann. Kanada verbietet Finanzgeschäfte mit russischen Banken mit Verbindungen zum Staat, Transaktionen zu den Separatisten-Gebieten und den Ankauf von russischen Staatsanleihen.

Japan stoppte den Handel mit russischen Staatsanleihen. Der französische Europaminister Clément Beaune glaubt, "der russische Staat, die russischen Banken werden sich nicht mehr auf den europäischen Märkten finanzieren können“. Wirkungsfaktor: kurzfristig niedrig, langfristig hoch. "Russland hat zwar zur Zeit gefüllte Staatskassen, weil die Energiepreise hoch sind, aber das Land ist keineswegs in gutem Zustand“, erläuterte Gabriel.

Wie wirksam sind die Wirtschaftssanktionen?

Viele Staaten haben den Handel mit den besetzten Gebieten in der Ostukraine eingestellt. Das sollte vom Volumen her nicht ins Gewicht fallen. Auch das vorläufige Aus für Nord Stream 2 wirkt sich nicht sofort verlustreich aus, weil über die Pipeline noch kein Gas fließt. Freilich kostete der Bau rund 7,4 Milliarden Euro. Wenn nicht nur die Milliardensumme abgeschrieben werden muss, sondern auch die Handelsperspektiven langfristig gegen Null tendieren, wäre der Wirkungsfaktor: hoch.

Allerdings gerät schnell in Vergessenheit, dass die europäischen Energiekonzerne Engie (Frankreich), Shell (Großbritannien), OMV (Österreich) sowie Wintershall DEA und Uniper (beide Deutschland) Geldgeber des Projektes sind. Bei einer endgültigen Stilllegung könnten sie – Vorbild Atomindustrie – von der Bundesregierung Schadensersatz verlangen.

Kann der Westen nachlegen?

Die USA erwägen, den Verkauf von Techprodukten an Russland zu verbieten, die das Land dringend braucht, etwa Computer, Halbleiter, Flugzeugteile. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen deutete einen anderen mächtigen Hebel an: "Finanzsanktionen würden bedeuten, dass Russland praktisch abgeschnitten wird von internationalen Finanzmärkten." Damit könnte der Ausschluss Russlands aus dem internationale Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift gemeint sein.

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Ein Energieembargo der EU gegen Russland würde die russische Wirtschaft nach Einschätzung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) hart treffen. „Demnach hätte ein Handelsstopp mit Gas einen Einbruch der russischen Wirtschaftsleistung um knapp drei Prozent zur Folge, ein Handelsstopp mit Öl einen Einbruch um gut ein Prozent“, so der IfW-Ökonom Hendrik Mahlkow.

Wie groß ist der Rückstoß für Deutschland?

Einen vollständigen Stopp der Gaslieferungen hält die Leiterin des ifo Zentrums für Außenwirtschaft, Lisandra Flach, "eher für unwahrscheinlich". Sie sagte unserer Redaktion: "Es ist zu erwarten, dass sich die neuen Sanktionen für Russland wesentlich stärker negativ auswirken werden als für Deutschland." Erstens, nur zwei Prozent der deutschen Exporte gehen nach Russland – und nur zwei Prozent der deutschen Importe stammen aus Russland. Zweitens, Deutschland exportiert hauptsächlich Industriegüter nach Russland, knapp ein Viertel davon im Maschinenbau, die in vielen Fällen kurzfristig nur schwer durch eigene Produktion oder Einfuhren aus anderen Ländern zu ersetzen wären.

Wer sind die Profiteure von Sanktionen?

Ökonomisch schon jetzt: die USA und Katar, die Lieferanten von Flüssiggas. Je mehr der Gaspreis steigt, desto konkurrenzfähiger wird das teurere Flüssiggas. Hinzu kommt, dass Deutschland und die EU grundsätzlich ihre Abhängigkeit von Russland reduzieren wollen. Auch das spielt den USA und Katar in die Karten.