Berlin. Der Ukraine-Krieg erschüttert die globale Sicherheitsordnung: Ein Atomkrieg wird wahrscheinlicher. Wie lässt sich die Gefahr stoppen?

Es ist eine erschreckende Erkenntnis aus Wladimir Putins verbrecherischem Angriff auf die Ukraine: Die Welt rückt einem Atomkrieg wieder näher – in Europa, aber keineswegs nur hier. Dass Russland im aktuellen Konflikt eine Atombombe zünden könnte, bleibt zwar trotz aller Einschüchterungsversuche aus Moskau sehr unwahrscheinlich: Zu hoch wäre der Preis für den Kremlherrscher, zu gering der militärische Nutzen. Aber ausgeschlossen ist die Katastrophe eben auch nicht, was den Westen zu einer gewissen Vorsicht bei der Unterstützung für die Ukraine zwingt.

Die russische Drohung mit der Bombe ist nicht nur ein Tabubruch. Sie beschädigt die globale Sicherheitsordnung. Für potenzielle Aggressoren weltweit dürfte das Ziel der Atombewaffnung jetzt noch attraktiver sein, weil Russlands Beispiel zeigt, welchen Schutz der bloße Besitz der Bombe auch bei schlimmsten Kriegsverbrechen bieten kann. Es ist kein Zufall, dass Nordkoreas Diktator Kim Jong-un demonstrativ Raketentests durchführt.

Politik-Korrespondent Christian Kerl
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Konfrontation statt Kooperation: So untergräbt Putin das globale Sicherheitssystem

Putins zerstörerischer Kurs reicht aber viel weiter: Mit der Aussetzung des letzten Rüstungskontrollvertrags zwischen Russland und den USA kündigt er jahrzehntelange Bemühungen auf, einen Atomkrieg durch strategische Stabilität zwischen den Nuklearmächten zu verhindern. Ohne das New-Start-Abkommen fehlt es zwischen Moskau und Washington an Kontrolle, Transparenz, Berechenbarkeit – dafür werden Missverständnisse, Irrtümer und Fehlkalkulationen, die großen Risikofaktoren der Atomrüstung, wahrscheinlicher.

So untergräbt Putin sehenden Auges das bisherige Sicherheitssystem. Er sucht die totale Konfrontation. Ein neuer Rüstungswettlauf zwischen den USA und Russland, den Moskau nicht lange durchhalten könnte, wäre aber nicht das Hauptproblem. Doch ohne Rüstungskontrolle der beiden großen Atommächte wird China, die neue aufstrebende Atommacht, erst recht an seiner Weigerung festhalten, sich durch ein Abkommen in seiner Nuklear-Aufrüstung begrenzen zu lassen – was schnell neue globale Risiken heraufbeschwören würde. Das dürfte Indien veranlassen, sein Arsenal auszubauen, und dann Pakistan, weitere Staaten würden folgen. Dieses Atomwettrüsten mit mehr Akteuren als bisher wäre nur noch schwer kontrollierbar.

Drohendes Atom-Wettrüsten: Wie es noch verhindert werden kann

Noch ist es aber nicht zu spät, die Rüstungsspirale zu stoppen. Den Atomschock aus Moskau muss die internationale Gemeinschaft zum Anlass nehmen, zügig große Energie in einen Neustart der Rüstungskontrolle zu investieren. Dabei sollten die USA alles daransetzen, nach dem Ukraine-Krieg das New-Start-Abkommen mit Russland doch noch zu verlängern; dass beide Seiten vorerst die vereinbarten Obergrenzen weiter einhalten wollen, ist ein Hoffnungsschimmer. China braucht dann Anreize, um sich an erweiterten Rüstungskontrollgesprächen zu beteiligen.

Neue, weltweite Abrüstungsschritte müssen endlich wieder das Ziel sein. Solange sie nicht zu vereinbaren sind, sollte wenigstens Transparenz bei den Waffenarsenalen gesichert werden. Zugleich muss die Weltgemeinschaft alles tun, um die weitere Verbreitung von Atomwaffen zu unterbinden – was auch voraussetzt, dass vor allem die USA ihre Schutzgarantien für Verbündete glaubwürdig verstärken. Sicher, die Bedingungen für einen Neustart sind nicht günstig. Das waren sie aber im Kalten Krieg auch nicht. Dennoch haben die Atommächte damals bewiesen, dass gemeinsame Rüstungskontrolle selbst in schwierigsten Zeiten erfolgreich sein kann.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt