Washington. Warum der US-Präsident in der Ukraine-Krise bisher eine gute Figur macht. Die Lernkurve nach dem vermurksten Afghanistan-Abzug ist groß.

Krisen machen aus Staatsmännern Anführer. Oder Gejagte. US-Präsident Joe Biden hat sich in seiner außenpolitisch schwierigsten Phase in der ersten Kategorie eingerichtet. Amerikas innenpolitisch angeschlagener Präsident hat im Ukraine-Konflikt bisher das bewiesen, was ihm oft abgesprochen wird: Nervenstärke. Disziplin beim Aussenden von Botschaften, Augenmaß zwischen Abschreckung und Diplomatie. Transparenz gegenüber Verbündeten. Klarheit über die Dynamik der Ereignisse, die Bewertungen per se als vorläufig erscheinen lässt. Geschick im frühzeitigen Kontern der KGB-geschulten Volksverdummung seines Moskauer Gegenübers.

Das alles muss nicht so bleiben. Der Informationskrieg wird immer ausdifferenzierter. Und wie Biden agierte, wenn wirklich der Ernstfall eintreten sollte, weiß heute noch niemand. Aber bis hier hin - Respekt.

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Kommentarfoto Dirk Hautkapp © Privat | Privat

Steile Lernkurve in der Ukraine-Krise

Nach dem autistisch exekutierten Afghanistan-Abzug im vergangenen Sommer hat die Regierung in Washington eine steile Lernkurve absolviert. Es wird seit Wochen so viel über den Atlantik hinweg kommuniziert, es wird so offen, so schnell und so umfangreich sensibles Wissen ausgetauscht und auf Spitzen-Ebene konferiert wie seit Langem nicht.

Ausdruck der transatlantischen Wiederannäherung nach den Bulldozer-Jahren Donald Trumps ist auch die starke Präsenz der Amerikaner in München. Bei der Sicherheitskonferenz suchen, angeführt von Vizepräsidentin Kamala Harris, mindestens 25 Top-Politiker aus dem Kongress nach Wegen aus der Kriegsgefahr. Russland, das heute mit Präsident Wladimir Putin im Befehlsstand provokativ Atom-Raketen testen lässt, glänzt beim Ballyhoo im Bayerischen Hof durch Abwesenheit. Auch das wirkt.

Dank Biden gibt der Westen ein Bild der Einheit ab

Es ist Bidens Führung zu verdanken, dass der sogenannte Westen bislang jedenfalls ein Bild der Einheit gegenüber Russland abgibt, das so nicht erwartet werden konnte. Brexit-England, Deutschland, Frankreich - alle haben sehr eigene Blickwinkel auf Putins Poker-Spiel und die damit potenziell verbundenen Konsequenzen für ihre Länder. Trotzdem hat bisher niemand der relevanten „player” die gemeinsame Linie aufgekündigt. Putins Kalkül, früh einen Keil in die Europäische Union zu treiben, ist nicht aufgegangen. Im Gegenteil.

Die Nato-Ostgrenze wurde und wird sicherheitstechnisch auch durch US-Truppenpräsenz aufgepolstert. Es gibt Selbstverteidigungswaffen (und Helme) für die Ukraine. Es gibt das ernst gemeinte Versprechen, Russland wirtschaftlich empfindlichst weh zu tun, falls es die Waffen gegen die Ukraine sprechen lässt. Und es gibt das aufrichtige Angebot über eine neue Sicherheits-Architektur in Europa im Geiste der bald 50 Jahre alt werdenden Helsinki-Akte zu reden. Und damit über Rüstungskontrolle, weniger Raketen, weniger Bedrohung, mehr Transparenz; hüben wie drüben. Allerdings ohne erpresserische Methoden und dreiste Maximalforderungen.

Biden ist kein mental eingerosteter Oldie

Mit seiner Linie hat Biden der Nato einen zweckdienlichen Weckruf verpasst. Putins täglich bellizistischer werdende Drohkulisse hat den Blick geschärft, dass die Sicherung der Ost-Grenzen Gemeinschaftsaufgabe ist. Was der französische Präsident Emmanuel Macron vor drei Jahren noch als so gut wie hirntot bezeichnet hatte, präsentiert sich im Moment jedenfalls als hellwach.

Das gilt auch für Biden selbst. Nur noch Böswillige halten ihn für einen mental eingerosteten Oldie, der in der Echtzeit-Politik des 21. Jahrhunderts verloren ist. Alles Kokolores. Das geopolitische Karussell dreht sich um den 79-Jährigen. Amerika führt. Und das nicht von hinten.