Kiew. Ivan Honzyk ist ukrainischer Soldat und lebt offen homosexuell. Russland setzt das ein, um Propaganda gegen die Ukraine zu betreiben.

Ivan Honzyk nestelt sein Telefon aus der Tasche und zeigt einen Ausschnitt eines Berichtes des russischen Fernsehens. Da ist er zu sehen, wie er an einer Pole-Dance-Stange tanzt oder wie er sich in einem Katzenkostüm räkelt. Es sind Aufnahmen, die er selbst in die sozialen Medien gestellt hat. Für die russische Propaganda sind sie Ausweis der angeblichen Dekadenz und Verderbtheit vieler Ukrainer. „Wenn die Russen mich gefangen nehmen würden, wäre das mein Todesurteil“, sagt der junge Mann.

Die Gefahr ist real. Honzyk, ein Aktivist für die Rechte von schwulen, lesbischen und queeren Menschen, ist als Sanitäter im umkämpften Bachmut im Osten der Ukraine eingesetzt. Der staatlich verordnete russische Schwulenhass war für ihn ein Grund, weswegen er sich am 24. Februar vergangenen Jahres freiwillig zum Militärdienst gemeldet hat.

Putin verteidigt Überfall der Ukraine mit homophoben Tiraden

Der russische Überfall auf die Ukraine ist für die Moskauer Elite weit mehr als ein Krieg aus rein geopolitischen Erwägungen. Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin oder den einflussreichen Moskauer Patriarchen Kyrill I. ist dieser Krieg vor allem ein Abwehrkampf gegen den westlichen Liberalismus.

Die „Pseudowerte“ des Westens führten zu „Degradierung und Entartung“, da „sie gegen die menschliche Natur selbst gerichtet sind“, verkündete Putin am Tag des Überfalls auf die Ukraine. Kyrill I. hat die völkerrechtswidrige Invasion wiederholt und wortreich mit homophoben Tiraden verteidigt. Man müsse die Gläubigen vor Schwulenparaden schützen, die ein „Verstoß gegen die Gesetze Gottes“ seien, ließ der orthodoxe Geistliche Gottesdienstbesucher wissen.

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Russische Herrschaft wäre für Honzyk der Tod

Auf dem Mykhailivska-Platz in der ukrainischen Hauptstadt stehen die Wracks russischer Panzer, die im vergangenen Frühjahr bei der gescheiterten Offensive auf Kiew zerstört wurden. Ivan Honzyk posiert vor einem der Wracks für ein Foto, er macht es mit lässiger Routine.

Vor dem russischen Überfall hat er als Model, Friseur und als Makeup-Künstler gearbeitet. In der weltoffenen Atmosphäre der Hauptstadt fühlt er sich wohl, viel wohler als in der kleinen Stadt in der Region Cherson im Südosten der Ukraine, in der er aufgewachsen ist. Die queere Szene in Kiew ist groß, es gibt Clubs, Paraden, Organisationen. Der russische Angriff auf die Ukraine ist für sie eine Bedrohung. „Unter russischer Herrschaft zu leben, wäre ein Horror. Es wäre der Tod“, sagt Honzyk.

Der homosexuelle ukrainische Soldat Ivan vor einem Mahnmal mit russischen Panzern in der Kiewer Innenstadt.
Der homosexuelle ukrainische Soldat Ivan vor einem Mahnmal mit russischen Panzern in der Kiewer Innenstadt. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

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Der 27-Jährige trägt heute eine Jeans und eine Militärjacke, an einem Bein ist eine Erste-Hilfe-Tasche befestigt. Er hat eine Ausbildung zum Krankenpfleger absolviert, zwischen 2015 und 2018 hat bereits militärische Erfahrungen bei den Kämpfen im Osten der Ukraine gesammelt. „Dieser Krieg ist aber anders als alles, was ich damals erlebt habe.“

Outing von Honzyk wird von russischer Propaganda genutzt

Am Tag des Überfalls meldet sich der junge Mann freiwillig bei den territorialen Verteidigungskräften. Zunächst dient er in Kiew. Im Januar wird er nach Bachmut verlegt, der Kleinstadt in der Region Donezk, um die seit Monaten heftig gekämpft wird. „Wenn man nach Bachmut hereinfährt, gibt es da einen Bogen, er ist wie ein Tor. Ich sage immer, das ist das Tor zur Hölle“, sagt Honzyk.

Im März vergangenen Jahres hat sich der 27-Jährige in den sozialen Medien geoutet. Er postet ein Bild von sich in Uniform, und eines, auf dem er im Anzug und High-Heels posiert. Seitdem wird er von der russischen Propaganda genutzt, um gegen die Ukraine und die ukrainischen Streitkräfte zu agitieren.

Seitdem ist Honzyk aber auch Ansprechpartner für andere queere Menschen im Militär. Von mindestens 150 weiß er, die sich wie er freiwillig gemeldet haben und offen mit ihrer sexuellen Orientierung umgehen. Sehr viel mehr verheimlichten sie jedoch.

Honzyk will mit Make-up Schönheit in die Hölle bringen

Auch bei den ukrainischen Streitkräften gebe es Diskriminierung, sagt er. „Es wird nicht so schnell verschwinden. Die ukrainische Gesellschaft wird sich nicht in zwei oder drei Jahren ändern. Aber es wird in der Zukunft Veränderungen geben, da bin ich sicher.“ Honzyk sagt, er kämpfe derzeit drei Kriege. „Den gegen Russland, den für die Rechte der queeren Gemeinschaft und den für die Rechte der Frauen in der Armee.“

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Für die Soldatinnen hat er sich ein besonderes Projekt ausgedacht. „Ich habe Beauty-Boxen mit Makeup zusammengestellt und zeige den Frauen, wie sich schminken können.“ Er lacht und zeigt auf seinem Telefon Bilder von Soldatinnen, bevor er sie geschminkt hat und danach. „Ich finde, auch im Schützengraben kann man gut aussehen.“ Er versucht, ein wenig Schönheit in diese Hölle zu bringen.

Vor wenigen Tagen ist Honzyk aus Bachmut zurückgekehrt, um sich in Kiew zu erholen. Hier geht das Leben trotz des Krieges weiter. „Ich habe schon die ersten Einladungen zu queeren Partys bekommen“, sagt er. Ihm ist unwohl bei dem Gedanken daran zu feiern, während seine Kameraden an der Front sterben. „Aber vielleicht kann ich die Gelegenheit nutzen, um Geld für die Armee zu sammeln.“ Zunächst will Honzyk aber zum Psychiater gehen. Er muss irgendwie verarbeiteten, was er in Bachmut erlebt hat.