Berlin. Krisenberatung bei der Nato zur Ukraine-Hilfe: Lob für Berlin. Die große Bilanz westlicher Waffenlieferungen überrascht: Wer gibt was?
Nach der neuen Welle von russischen Raketenangriffen schlägt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Alarm. Die Ukraine brauche dringend „Fortschritte bei der Luftverteidigung und Raketenabwehr, weitere Waffen und Munition“, forderte Selenskyj. Im Brüsseler Nato-Hauptquartier berieten am Mittwoch die Verteidigungsminister von 40 westlichen Staaten und der Ukraine über eine Aufstockung der Militärhilfe. „Wir werden unsere Unterstützung für die Ukraine aufstocken, damit sie sich weiter verteidigen und ihr Territorium von russischer Besetzung befreien kann“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
Deutschland bekam bei dem Treffen ungewohntes Lob für die Lieferung eines ersten hochmodernen Flugabwehrsystems Iris-T. „Eine neue Ära der Luftabwehr hat begonnen“, erklärte der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow. Eine Kehrtwende nach viel Kritik an Berlin? Die Bundesregierung steht mit ihrer Ukraine-Hilfe in Europa schon jetzt besser da als vielfach wahrgenommen. Was Deutschland seit Februar an Militärhilfe geleistet hat, wie der internationale Vergleich ausfällt – und was die Ukraine jetzt vor allem braucht.
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Waffen: Was Deutschland schon geliefert hat
Insgesamt hat die Bundesregierung bisher Waffen für 770 Millionen zugesagt und zu 80 Prozent auch geliefert – teils kommt das Material aus Beständen der Bundeswehr, teils finanziert der Bund Lieferungen der Industrie. Die wichtigsten: 30 Gepard-Panzer zur Flugabwehr auf dem Gefechtsfeld, 14 Artilleriegeschütze vom Typ Panzerhaubitze 2000, (davon 10 geliefert), 5 Mehrfach-Raketenwerfer MARS II (davon 2 geliefert), 4 bodengestützte Luftverteidigungssysteme Iris-T SLM gegen anfliegende Raketen (davon 1 soeben geliefert), 20 Raketenwerfer für Pick-ups (noch nicht geliefert).
Dazu kommen 10 Bergepanzer (keiner geliefert), 16 Brückenlegepanzer (keiner geliefert), 10 Antidrohnenkanonen, 54 gepanzerte Truppentransporter mit Bewaffnung, 50 Dingo-Transporter (noch nicht geliefert). Außerdem schickt Deutschland unter anderem Aufklärungsdrohnen, Schwerlasttransporter, Handwaffenmunition (22 Millionen Schuss), Handgranaten (100.000), Munition für Artillerie und Flugabwehr, Panzerabwehrminen, Stinger-Flugabwehrraketen, Sprengladungen, Sanitätsausrüstung, Helme, Schlafsäcke, Nachtsichtbrillen und Winterpakete. Neueste Zusage: Zusammen mit Dänemark und Norwegen finanziert Deutschland die Produktion von slowakischen Zuzana-Haubitzen, die nächstes Jahr geliefert werden sollen.
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Ukraine-Waffenlieferungen: Deutschland im internationalen Vergleich
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat in einer international beachteten Datenbank, dem Ukraine Support Tracker, den aktuellen Stand der Waffenlieferungen von 40 Staaten dokumentiert: Mit Stand Anfang Oktober kommt Deutschland auf Platz fünf. In großem Abstand vorn liegen die USA mit Zusagen im Wert von 15,2 Milliarden Euro – Haubitzen, Raketenwerfer, Hubschrauber, rund 40.000 Panzerabwehrwaffen, 1400 Drohnen, gepanzerte Fahrzeuge, viel Munition. Allerdings haben die USA bislang erst ein Sechstel ihrer Zusagen eingelöst, was den großen Vorsprung stark relativiert.
Noch vor Deutschland liegen bei der zusagten Waffenhilfe auch Polen (1,8 Milliarden Euro), Großbritannien (1,48 Milliarden Euro) und Kanada (0,93 Milliarden Euro). Der Großteil der 40 Staaten liegt deutlich hinter Deutschland: Das militärisch gut gerüstete Frankreich kommt nach den Kieler Daten nicht mal auf ein Drittel der deutschen Zusagen, Italien auf ein Fünftel, Spanien auf ein Zwölftel.
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Schwere Waffen für die Ukraine: So viel Panzer, Haubitzen, Raketenwerfer bekommt sie
Beispiel Kampfpanzer: Der Ukraine wurden 252 Panzer geliefert, 36 zugesagt – das aber nur von drei Staaten: Polen stellt 240 T-72-Panzer sowjetischer Bauart bereit, Tschechien weitere 20, Slowenien schickt 28 T-55-Panzer. Selbst die USA sind bisher nicht bereit, einen ihrer 6000 Kampfpanzer abzugeben. Beispiel Haubitzen: Die Ukraine erhält 241 dieser Artilleriegeschütze gegen Großziele, etwa die Hälfte aus den USA. Deutschland, Großbritannien, Niederlande, Kanada, Portugal, Lettland, Norwegen, Frankreich und Polen steuern jeweils zwischen 4 und 22 Haubitzen bei.
Beispiel Mehrfach-Raketenwerfer: Insgesamt 64 solcher gepanzerten Systeme erhält die Ukraine, die Hälfte aus den USA, weitere Lieferanten sind Tschechien, Deutschland, Großbritannien und Norwegen. Zu den Waffenlieferungen hinzuzurechnen sind finanzielle und humanitäre Hilfen: Insgesamt liegt Deutschland dann mit 3,3 Milliarden Euro auf Platz drei. Kritiker beklagen, gemessen an seiner großen Wirtschaftsleistung belege Deutschland nur Platz 16. Aber mit dem Maßstab des Bruttosozialprodukts rutschen selbst die USA auf Platz 6 ab, Spitzenreiter wäre das kleine Lettland.
Waffenzusagen für die Ukraine: Die USA legen nach, die Europäer zögern
Die USA haben ihre Zusagen zuletzt erneut deutlich ausgeweitet – seit August um knapp 12 Milliarden Euro auf 52 Milliarden Euro an militärischer, finanzieller und humanitärer Hilfe. Das ist fast doppelt so viel wie die 27 Länder der Europäischen Union bereitstellen, die ohnehin deutlich zögerlicher sind: Die europäischen Länder und EU-Institutionen weiteten ihr Engagement im gleichen Zeitraum nur um rund 1,4 Mrd. Euro aus und erreichen jetzt gemeinsam knapp 29 Mrd. Euro, so die Analyse der Kieler Wirtschaftsforscher: „Große europäische Staaten zeigen hier ein schwaches Bild, zumal viele ihrer gemachten Zusagen auch nur sehr verzögert in der Ukraine ankommen“. Der Kieler Teamleiter Christoph Trebesch sagt: „Das niedrige Volumen neuer Zusagen im Sommer scheint sich nun systematisch fortzusetzen.“
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Diese Waffen braucht die Ukraine besonders – und warum das Berlin gelegen kommt
Nato-Generalsekretär Stoltenberg zählt auf: „Die Ukraine benötigt Artillerie, gepanzerte Fahrzeuge, Panzerabwehrwaffen, Mehrfachraketenwerfer, Präzisionsmunition, dazu Ausrüstung wie Winterkleidung oder Kommunikationstechnik“. Die Bandbreite ist groß, US-Generalstabs-Chef Mark Milley sagt: „Kein Waffensystem ist eine Wunderwaffe“. Am dringendsten benötigt die Ukraine aber jetzt Hilfe zur Luftabwehr – sie gilt als Schwachstelle, die der russische Präsident Wladimir Putin mit einer Welle von Raketenangriffen ausnutzt, wobei die russischen Bestände rasch abnehmen. Die Ukraine könne ihr riesiges Territorium kaum ausreichend gegen Luftangriffe schütze, zumal ein Teil der Systeme an die Front verlegt wurde, um die eigenen Truppen zu schützen, erklären Nato-Militärs.
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Bei dem ersten schweren Luftangriff dieser Woche feuerte die russische Armee etwa 80 Cruise Missiles und 24 Drohnen ab – etwa die Hälfte konnte die ukrainische Luftabwehr noch abfangen. Zu schaffen machen ihr jetzt die von Russland eingesetzten iranischen Shahed-Drohnen: Sie sind klein mit hoher Reichweite und fliegen zum Teil im Schwarm, was die Abwehr erschwert. Die Luftverteidigung sei nun „Nummer eins“ auf der Prioritätenliste, erklärt Selenskyj. Stoltenberg meinte, das Land brauche ganz verschiedene Luftabwehrsysteme zum Schutz seiner vielen Städte, etwa gegen ballistische Raketen, Marschflugkörper und Drohnen. Die Debatte um moderne Kampfpanzer für die Ukraine etwa aus Deutschland verblasst dahinter, was der Bundesregierung sehr entgegenkommt. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) machte in Brüssel deutlich, dass sie das heikle Thema vorerst für erledigt hält: „Die Ukraine braucht jetzt ganz dringend Luftverteidigung und Artillerie“, sagte die Ministerin. „Und das ist das, was Deutschland liefert“.
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