Berlin. Paradigmenwechsel in der Nato. Nachdem Frankreich Spähpanzer liefert, ziehen Deutschland und die USA nach. Kriegstreiberei? Mitnichten.

Lange Zeit hatte sich der Westen im Ukraine-Krieg zurückgehalten. Die Lieferung von Flugabwehrsystemen, Panzerhaubitzen, Munition und die Beschaffung von Geheimdienst-Infos waren in Ordnung. Doch bei der Verschickung von Kampf- und Schützenpanzern trat man auf die Bremse.

Diese Kultur der Zurückhaltung kam Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zupass. Er musste nicht in seiner Partei anecken, in der der pazifistische Flügel mit seiner Russland-Romantik noch immer stark ist. Scholz konnte sich hinter dem Zögern der Amerikaner und der Franzosen verschanzen. Doch diese politische Komfortzone war nicht länger haltbar.

Frankreich ging voran

Der neueste Vorstoß Frankreichs und der USA markieren einen Wendepunkt bei der Positionierung des Westens im Krieg. Präsident Emmanuel Macron will "leichte Kampfpanzer" vom Typ AMX-10 RC in die Ukraine entsenden.

Sein amerikanischer Amtskollege Joe Biden erwog die Lieferung von Bradley-Schützenpanzern. Am Donnerstagabend dann die Einigung: Die Bundesrepublik und die USA werden gemeinsam agieren und die Ukraine mit Schützenpanzern unterstützen. Die Verschickung von Panzern mit größerer Kampfkraft ist eine neue Qualität. Sie stärkt die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine.

Michael Backfisch.
Michael Backfisch. © Reto Klar | Reto Klar

Die Ukraine braucht westliche Kampfpanzer

Man muss kein Prophet sein: Dies ist zumindest auf mittlere Sicht der Einstieg in die Entsendung von Kampfpanzern an die Regierung in Kiew. Scholz stand unter Zugzwang, sein Argument, keine deutschen "Alleingänge" zu unternehmen, war mit den Ankündigungen aus Paris und Washington hinfällig. Nun also gibt auch Berlin grünes Licht – und liefert Marder-Schützenpanzer in die Ukraine.

Die nächste Stufe wäre – in Koordinierung mit Frankreich und Amerika – die Verschickung von Kampfpanzern unter Einschluss von Leopard 2. Am besten wäre eine Kampfpanzer-Initiative im Schulterschluss mit den Nato-Partnern.

Dies hat nichts mit Kriegstreiberei zu tun. Es ist vielmehr eine Konsequenz der Brutalisierung des Krieges durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Dessen verstärkte Angriffe auf die ukrainische Zivilbevölkerung, das zynische Kalkül eines Kältewinters durch den Bombenhagel auf Kraftwerke, Folterlager und die massive Zunahme gezielter sexueller Gewalt lassen nur einen Schluss zu: Der Kremlchef will den Durchhaltewillen der Menschen brechen, die Ukraine als unabhängigen Staat auslöschen.

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Die Ukraine braucht westliche Kampfpanzer, um sich gegen Putins Bestialisierung des Krieges zur Wehr zu setzen. Das Land verteidigt Demokratie und Freiheit – Werte des Westens – gegen den neosowjetischen Wahn Putins. Geht die Ukraine unter, bekommen die Macht-Ambitionen des Kremlchefs neue Nahrung.

Scholz muss unbequeme Wahrheit aussprechen

Man soll sich durch die jüngsten Propaganda-Manöver des Meisters im Tarnen und Täuschen nicht blenden lassen: Der ehemalige KGB-Offizier Putin hat sich mit der Ankündigung einer 36-stündigen Waffenruhe über das orthodoxe Weihnachtsfest nicht plötzlich zum barmherzigen Samariter gewandelt. Es ist eine Finte, um die westliche Öffentlichkeit zu täuschen. Der russische Präsident hätte es in der Hand, den Krieg durch den Rückzug aus der Ukraine sofort zu beenden.

Die Entsendung von Panzern an die Ukraine ist nicht nur ein Gebot der Solidarität mit dem attackierten Land. Sie ist auch eine Herausforderung an die Kommunikationsfähigkeit des Kanzlers. Nach einer aktuellen Umfrage glaubt eine knappe Mehrheit der Bundesbürger, dass der Krieg mit diplomatischen Initiativen gestoppt werden könne. Scholz muss den Deutschen jetzt erklären, warum einem Aggressor wie Putin so nicht Einhalt geboten werden kann.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt