Doha. Portugal spielt ohne Ronaldo besser. Die Fans huldigen dem Star trotzdem. Kann einer wie er damit umgehen, nicht mehr wichtig zu sein?

Man hätte schon gerne gewusst, wie sich das für ihn alles angefühlt hatte, Statist und gleichzeitig Hauptdarsteller zu sein. Doch Cristiano Ronaldo zog es vor, sich an den drängelnden Fragestellern vorbeizulächeln. In seinem linken Ohr glitzerte ein Ohrring, die Zähne glänzten künstlich weiß. Kurz wünschte der 37-Jährige der an Krebs erkrankten Fußballlegende Pelé „gute Besserung“, dann verabschiedete er sich in Richtung Mannschaftsbus.

Vielleicht hörte er in diesem noch später, was sein teaminterner Konkurrent so vom Spiel erzählt hatte. Goncalo Ramos, 21 Jahre alt und beschäftigt bei Benfica Lissabon; Infos, die viele vor dem WM-Achtelfinale wohl erst einmal ergoogeln mussten. Plötzlich war er der Ersatz-Ronaldo gewesen, in der Startelf überraschend berücksichtigt anstelle des portugiesischen Rekordnationalspielers. Und Ramos war ein aufsehenerregendes Länderspiel gelungen: Seine drei Tore ebneten am Dienstagabend den Weg zum 6:1 (2:0)-Erfolg über die überforderten Schweizer und zum Einzug ins Viertelfinale. Als Ramos, natürlich der Spieler des Spiels, sich im Lusail-Stadion von Doha bei der Pressekonferenz auf dem Podium niedergelassen hatte, war Ronaldo längst verschwunden. Und trotzdem: die erste Frage? Drehte sich selbstverständlich um den Superstar.

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„Cristiano hat als Kapitän das getan, was er immer tut. Er hat uns geholfen, er hat mit uns gesprochen, nicht nur mit mir, sondern auch mit meinen Teamkollegen“, berichtete Ramos. Was dieser nicht anmerkte, aber jeder vernommen hatte, war die Botschaft seiner drei Treffer: Sie brauchen ihn nicht mehr.

Cristiano Ronaldo: Erstmals seit 2008 bei einem großen Turnier nicht in der Startelf

Aber Ronaldo braucht nun die Selecçao. Erstmals seit 2008 stand der 37-Jährige bei einem großen Turnier nicht in der Startelf, zum ersten Mal seit vielen Jahren musste er die sportliche Verantwortung abgeben und darauf hoffen, dass seine Mannschaft ohne ihn besteht. Diese, das bewies die Leistung gegen die Schweiz, kann noch einiges erreichen. Ins Viertelfinale am Samstag (16 Uhr/ZDF) gegen das Überraschungs-Team aus Marokko ist Portugal Favorit. Gut möglich, dass der erste Halbfinal-Einzug seit 2006 gelingt – damals ging das anschließende Spiel um den dritten Platz mit 1:3 gegen Deutschland verloren. Und dann? Wer weiß.

In Ronaldos Karriere voller Rekorde fehlt noch der WM-Pokal. Es wäre eine Volte des Fußballs, wenn dem gerne ins Egozentrische abdriftende Stürmer der Titelgewinn ausgerechnet in dem Turnier gelingen würde, indem er sich unterordnen muss. Wie im Nachhinein über Ronaldos letzte Weltmeisterschaft gesprochen wird, hängt nun auch davon, wie er mit dieser Situation umgeht. Bockig? Oder mannschaftsdienlich?

Zuschauer rufen Ronaldos Namen

Bei den ersten Toren gegen die Schweiz stürmte Ronaldo gemeinsam mit allen anderen Auswechselspielern auf den Rasen. Nach dem Schlusspfiff applaudierte er jedoch alleine vor den Fans und stampfte bereits in die Kabine, als der Rest sich noch für die Unterstützung bedankte. Überhaupt, dies wurde im Stadion Lusail deutlich, kommen die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer in Katar zu einem Portugal-Spiel, um den Weltstar spielen zu sehen. Sie schienen fast beleidigt zu sein, dass dieser nicht auflaufen durfte, lange vor seiner Einwechslung in der 74. Minuten riefen sie den Namen des Kapitäns.

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„Das ist ganz normal. Er ist der berühmteste Sportler der Welt, die Leute wollen ihn sehen“, sagte Bruno Fernandes, der eigentlich wichtigste Spieler des Europameisters von 2016. Mehrmals versuchte der portugiesische Pressesprecher den Profi von Manchester United wegzuziehen von den Journalisten, Fernandes aber wollte stehen bleiben und die Fragen nach Ronaldo beantworten: „Es ist für keinen Spieler leicht, auf der Bank zu sein. Aber das Wichtigste ist die Antwort, die er gegeben hat, als er reingekommen ist. Er hat der Mannschaft geholfen.“

Ronaldos Ehrgeiz ist beinahe legendär

Es gibt verschiedene Anekdoten, die über Cristiano Ronaldo verbreitet werden. Schon in jungen Jahren soll er mit Gewichten an den Füßen durch die Nachbarschaft gejoggt sein. Patrice Evra, ein ehemaliger Mitspieler bei Manchester United, erzählte einmal, wie er nach dem Training zum Essen bei Ronaldo vorbeigeschaut habe. Auf dem Tisch standen Hähnchenfleisch, Salat und Wasser. „Wir haben angefangen zu essen, und ich dachte, das große Fleisch kommt noch. Aber es kam nichts“, berichtete Evra. Anschließend habe Ronaldo noch an seinem Körper arbeiten wollen. „Er ist eine Maschine. Er will nicht aufhören zu trainieren.“

Kann einer wie er damit umgehen, nicht mehr der Größte, der Schnellste, der Beste, der Wichtigste zu sein?

„Ronaldo und ich verwechseln nie den menschlichen und persönlichen Aspekt mit der Beziehung zwischen Trainer und Spieler“, sagte Trainer Fernando Santos. Welche Rolle der Star jetzt einnehmen werde, „müssen wir sehen. „Ich habe eine sehr enge Beziehung zu ihm und habe ihm gesagt, dass er ein sehr wichtiger Spieler ist.“

Auch bei Manchester United war Ronaldo in die zweite Reihe gerückt

Schon bei Manchester United war Cristiano Ronaldo in die zweite Reihe gerutscht, beleidigt löste er kurz vor der WM seinen Vertrag beim englischen Spitzenklub auf. Seitdem wird über die Zukunft des fünfmaligen Weltfußballers diskutiert. Ein mutmaßlicher Wechsel nach Saudi-Arabien zu Al Nasr Riad scheint nicht zustande zu kommen, romantischer wäre ohnehin die Rückkehr in sein Heimatland zu Sporting Lissabon. Dafür müsste der Multimillionär aber sicherlich auf Geld verzichten.

In der Nacht nach dem Sieg meldete sich der alternde Star doch noch mal zu Wort. „Ein unglaublicher Tag für Portugal mit einem historischen Ergebnis“, erklärte Ronaldo und lobte die portugiesische Auswahl mit den vielen Talenten und jungen Spielern. „Der Traum lebt.“ Auch für ihn. Einmal musste das Idol schon in einem wichtigen Spiel von draußen mitfiebern, beim EM-Finale 2016 wurde der Angreifer früh verletzt ausgewechselt. Portugal gewann ohne ihn mit 1:0 gegen Frankreich – trotzdem wird der Titel seitdem vor allem mit Ronaldo verbunden.