Antwerpen. Wegen der Niederlage gegen die Niederlande müssen die Damen in die Olympia-Qualifikation in Mönchengladbach.

Natürlich war es kein Mangel an Respekt, dass sich Xavier Reckinger die ihm zugeteilte Silbermedaille nicht um den Hals legen ließ. Der Bundestrainer der deutschen Hockeydamen hat Anstand und Fachverstand genug, um eine 0:2-Niederlage im EM-Finale gegen die Niederlande, die beste Mannschaft der Welt, ein- und wertschätzen zu können. Vielmehr war die Plakette als Trost für seinen vier Jahre alten Sohn Jules gedacht, den er an seiner Hand auf das Siegerpodest geführt hatte. „Er muss während der Vorbereitung und der Durchführung eines solchen Turniers viel auf mich verzichten, deshalb wollte ich ihm diese Medaille widmen“, sagte der Belgier.

Während der 35-Jährige, der seine Rolle als Architekt im Hintergrund interpretiert, also gefasst und sachlich das Gesehene analysierte, war die Enttäuschung bei seinem Team unermesslich. „Es wird einige Tage dauern, bis wir mit dem zweiten Platz unseren Frieden machen“, sagte Hanna Granitzki. Die Außenverteidigerin vom deutschen Meister Club an der Alster hatte auch im Finale eine hervorragende Leistung geboten, die 22-Jährige durfte als Sinnbild gelten für die junge Generation im deutschen Lager, die nachhaltig auf sich aufmerksam machen konnte in den Tagen von Antwerpen.

Mutige Angriffe

Vor einem Jahr war Reckingers Auswahl bei der WM in London im Viertelfinale mit 0:1 an Spanien gescheitert, weil ihr in entscheidenden Momenten Kaltschnäuzigkeit und der Glaube an die eigenen Stärken gefehlt hatten. Bei diesem Turnier in Belgien war immerhin dieser Glaube allgegenwärtig, was sich im Finale daran zeigte, dass nach einer verhaltenen ersten Halbzeit, in der aber immerhin die Defensive ihre Arbeit zupackend verrichtete, in den zweiten 30 Minuten mutig und mit mehr Überzeugung angegriffen wurde.

Und das war alles andere als selbstverständlich gegen einen Gegner, der im Halbfinale England, das die deutsche Vorrundengruppe gewonnen hatte, mit 8:0 überrollt hatte. Die Statistik konnte den Deutschen auch nicht gerade Mut machen. Die letzten 20 Spiele gegen Oranje gingen verloren, im Juni 2013 gewann man im World-League-Finale nach Penaltyschießen letztmals, nach regulärer Spielzeit gar 2004 im Olympiafinale.

Es fehlte Cleverness

Der Unterschied, der auch in diesem Jahr aus Deutschland den Herausforderer und aus dem Welt- und Rekordeuropameister, der seinen zehnten EM-Titel holte, den Champion machte: Holland hat mit Kelly Jonker und der zur besten Turnierspielerin gewählten Lidewij Welten zwei Angreiferinnen, die die sich bietenden Lücken zu den siegbringenden Toren nutzten. Deutschland fehlte diese Cleverness, diese Extraklasse im Schusskreis in einigen Szenen, die über Wohl und Wehe entschieden. Aber: Mit der vom Club Raffelberg zu RW Köln wechselnden Pia Maertens (20) stellte man immerhin die beste Nachwuchsspielerin des Turniers, die mittelfristig zur Topstürmerin reifen wird.

Außerdem dürften bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio auch die Hamburgerin Charlotte Stapenhorst (24/Uhlenhorster HC), die aktuell einen Kreuzbandriss auskuriert, und auch die kürzlich zum zweiten Mal Mutter gewordene Lisa Altenburg (29/Club an der Alster) Reckingers Offensivauswahl vergrößern. Deshalb ordnete Spielführerin Janne Müller-Wieland (32/UHC) die EM mit Überzeugung als „grundsätzlich positiv“ ein. „Wir müssen uns Schritt für Schritt an das Niveau der Niederländerinnen heranarbeiten. Aber gebt uns noch ein Jahr, dann sieht es hoffentlich anders aus.“ Das glaubt auch Hanna Granitzki. „Wir werden unsere Lehren ziehen und das nächste Entscheidungsspiel gegen die Niederlande gewinnen!“

Xavier Reckinger optimistisch

Xavier Reckinger wertete die Mischung aus Enttäuschung und Trotz, mit der seine Spielerinnen die 91. Niederlage im 150. Duell mit dem Erzrivalen aufnahmen, als Bestätigung dafür, auf dem richtigen Weg zu sein. „Die Niederlande sind die beste Mannschaft, die es momentan auf der Welt gibt. Das erkennen wir an, arbeiten aber daran, sie einzuholen“, sagte er. Luft nach oben hat er in allen Aspekten des Spiels erkannt, „aber ich glaube, dass es uns gelingen kann, in den kommenden Monaten die nächste Niveaustufe zu erreichen.“

Die Verbandsspitze hat volles Vertrauen in die Arbeit des ersten ausländischen Bundestrainers. „Die Entwicklung ist absolut positiv, die Mannschaft ist gereift, aber noch längst nicht am Ende. Und Reck ist menschlich und fachlich ein großer Gewinn“, sagte Sportdirektor Heino Knuf. Dass sich das Team Anfang November, wenn es in Mönchengladbach bei einem Doppelevent mit den Herren in zwei Play-off-Heimspielen gegen einen in der Weltrangliste schwächer eingestuften Gegner antreten muss, für Olympia qualifiziert, bezweifelt im Verband niemand. Im Gegenteil: Die Zielvereinbarung mit dem Bundesinnenministerium, in Tokio zwei Medaillen zu holen, dürfte nach den Erfahrungen dieser EM nicht an den Damen scheitern.